Die SRG-Schweizer: Nun doch die Schweizerinnen
Nun werden die Frauen also doch zum Thema in dem grossen Themenmonat der SRG SSR über «Die Schweizer». Die Schweizer sind bekanntlich knapp die Hälfte der in der Schweiz wohnhaften Bevölkerung mit Schweizer Pass.
«Cherchez la femme!»
Für die grössere Hälfte, also die Schweizerinnen, galt – und gilt immer noch weitestgehend – das reizvolle Wort «Cherchez la femme». Es hat in diesem Fall allerdings seinen Charme verloren, wie wir wissen. Nur wer angestrengt sucht, findet die Frauen im historischen Teil dieses gewaltigen Programms. In den Hauptsendezeiten des Leitmediums Fernsehen (SRF1), abends um 20 Uhr, stehen die Männer im Zentrum des Fernsehgeschehens – mit Ausnahme des Themenabends am 7. November, wo man für die Frauen nach ihren unüberhörbaren Protesten noch Platz geschaffen hat. Platz für eine zusätzliche Diskussion in einem «Club extra» mit dem sinnigen Titel: «Wo sind die Schweizerinnen?», und für die Wiederholung einer Dokumentation über die lange unterschätzte, grosse Schweizer Künstlerin Sophie Täuber Arp, die schon am Sonntag davor in der «Sternstunde Kunst» als Wiederholung gelaufen ist. – Es ist eine Notfallaktion, weil die Proteste zu gewichtig und die Lücke zu offenkundig war und bleibt. Aber auch das soll gesagt sein: Der Film lohnt eine zweite (oder dritte) Besichtigung.
Ansonsten gilt die Feststellung: Während die grossen, aufwendigen Filme zur besten Sendezeit die alten Männer propagieren, werden die grossen historischen Frauen in die Randzeiten verbannt: in die «Sternstunden» zwischen 11 und 13 Uhr am Sonntagvormittag, wenn Brunch, Frühschoppen oder Familientisch angesagt sind, oder in die Zeit nach Mitternacht (um 00.10 Uhr), wo wir dann Wiederholungen der Dok-Filme über die erste Bundesrätin Elisabeth Kopp finden und die Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross und die wohl international bekannteste zeitgenössische Künstlerin Pipilotti Rist (man wird uns sagen, wir könnten die Filme ja «on demand» im Internet sehen, als ob nicht Fernsehen nach wie vor ein Angebotsmedium wäre).
Politisches Zwei-Klassen-Fernsehen
Doch damit wollen wir’s belassen; es ist genug Salz in die klaffende Wunde gestreut. Heilen wird die Wunde aber nur, wenn die SRG SSR sich nicht nur der Kritik stellt – was sie respektabel leistet, das sei in aller Fairness festgehalten -, sondern in den kommenden Monaten und Jahren auch die Themenfelder beackert, die jetzt von der flammenden Kritik ins Licht gerückt worden sind.
Allerdings: wenn es dabei bleibt, ist das ein Zwei-Klassen-Fernsehen: Kunst, Kultur und neuere oder weniger breit bekannte wissenschaftliche Einsichten, zum Beispiel über die Rolle der Frauen, bleiben jener Minderheit des Fernseh-Publikums vorbehalten, die sich eben diese differenzierte Wissenschaft, Kultur und Kunst am Sonntagmorgen oder spät nach Mitternacht abholt, während man das gemeine Mehrheitspublikum mit den alten Geschichten einer alten und fragwürdig gewordenen Geschichtsauffassung abspeist. Zur Befriedigung der rechts-bürgerlichen Parteien und Fraktionen, die seit dem 19. Jahrhundert bis heute dieses Geschichtsbild für ihre Zwecke und ihr Staatsverständnis nutzen.
Ausradierte Frauengeschichte
Das ist sehr klar geworden in der «Sternstunde Geschichte» zur Eröffnung des Themenmonats auf SRF1. Katja Gentinetta hatte dazu eine ansehnliche Runde versammelt: den Historiker Simon Teuscher (Universität Zürich) und die beiden Historikerinnen Brigitte Schnegg (Universität Bern) und Susanna Burghartz (Universität Basel). Sie haben sehr schnell klar gemacht, dass im 19. Jahrhundert – also im Gründungsjahrhundert des Schweizerischen Bundesstaats – Geschichtsschreibung auch als Rechtfertigungslehre für die neuen Macht- und Herrschaftsverhältnisse betrieben wurde.
Eine so bedeutende Figur wie Königin Agnes von Ungarn – in Wirklichkeit eine Habsburgerin mit Wohnsitz im aargauischen Kloster Königsfelden, das sie gegründet hatte -, fand in dieser «offiziellen» Schweizer Geschichte keinen Platz. Vielleicht weil sie zu katholisch war, und die neuen freisinnigen Herren der republikanischen Schweiz stammten durchwegs aus dem protestantischen Bürgertum*. Vielleicht weil sie als Habsburgerin europäisch vernetzt war. Und die helvetische Konföderation musste sich als neuer Staat nach aussen abgrenzen und gegen Habsburg sowieso. Und vielleicht ganz einfach, weil sie Frau war – und das war eine entscheidende Machtfrage.
*[Michael Gisiger – siehe unten: Meinung – macht mich zu Recht darauf aufmerksam, dass die beiden Mitglieder des ersten Bundesrates Stefano Franscini und Martin J. Munzinger katholisch waren. Selbstverständlich waren sie aber wie alle damaligen Bundesräte Mitglieder der liberal-radikalen Fraktion, also der heutigen FDP]
Die Männer-Republik oder: die Entmachtung der Frauen
Die Habsburgerin Agnes (1281 – 1364) lebte und herrschte zur Zeit, zu der die offizielle Schweizer Geschichte die Entstehung der Eidgenossenschaft ansetzt – Teuscher: In Wirklichkeit war das nichts anderes als eines der zahllosen Bündnisse in der damaligen Zeit –, und zu dieser Zeit, so Susanna Burghartz, hatten die adligen Frauen Anteil an der Herrschaft und der Familienmacht: sie hatten Anteil am Territorium und brachten ihren Besitz ein in die Ehe, sprich: mit der Heirat wurden auch neue Herrschaftsterritorien geschaffen.
Aber schon die damaligen Habsburger versuchten, das Erbe nur noch auf der männlichen Linie (später: nur noch an die Erstgeborenen) weiter zu geben und die Frauen aus diesem Erbrecht auszuschliessen. Und die Republik der Eidgenossen und der freisinnigen Schweizer setzte diese Auffassung rigide durch: wirtschaftliche Kompetenz und politische Macht wurden ausschliesslich den Männern zugewiesen und zugeschrieben.
Gegen das Weiberregiment oder: das missliebige Management
So wurde die ökonomische Rolle der Frauen reduziert auf das «Heimchen am Herd», obwohl zumindest die Frauen der freien Bauern (Dorothee von Flüe), der Hauptleute der Schweizer Söldnertruppen oder der städtischen Zunftherren eigentliche betriebswirtschaftliche Managementaufgaben wahrgenommen haben. Manche herrschaftliche Paläste vom Wallis bis nach Schwyz, Glarus und Graubünden könnten wir heute ohne die erfolgreiche Leitung der «Home Base» durch die Ehefrauen nicht bewundern. Aber die offizielle Anerkennung dieser Leistungen durch die «offizielle» Geschichtsschreibung der Männer-Republik hätte die ausschliessliche politische (und wirtschaftliche) Machtausübung der Männer in Frage gestellt.
Das «Weiberregiment», das seit Jahrhunderten verunglimpft und bekämpft wurde, war abgeschafft. Beispielhaft dafür , so Susanne Burghartz in der «Sternstunde», war Salome Burckhardt-Schönauer (1640 – 1691). Sie war in zweiter Ehe verheiratet mit dem Basler Oberzunftmeister Christoph Burckhardt und zog mit ihren Beziehungen und den Mitteln ihres eigenen Vermögens auch die politischen Fäden hinter den Kulissen: Es war Ausübung informeller Macht, ausserhalb der politischen Institutionen durch Networking und Schenkungen.
Nebenbei: «Weiberregiment» ist, nach Wikipedia von 2013, «ein in der Kunst des 16. bis 19. Jahrhunderts variiertes Motiv, das die Beherrschung eines (eigentlich überlegenen) Mannes durch eine Frau darstellt.» – Das stimmt selbstverständlich bis heute.
Das europäische Netzwerk: politisch, wirtschaftlich, kulturell
Für Salome Burckhardt-Schönauer galt ebenso wie für Julie Bondeli, die weder schöne noch reiche und doch weit strahlende Berner Patriziertochter – Goethe: «ein Frauenzimmer von Sinn und Verdienst» – und selbstverständlich für die Habsburgerin Agnes: sie alle waren über die Grenzen ihrer Stadt hinaus europäisch vernetzt mit den Denkern und, wie Agnes, den Machthabern ihrer Zeit und übten über die Grenzen der eidgenössischen Bündnisse hinaus kulturellen und politischen Einfluss aus.
Das Gespräch in der «Sternstunde» gab einen anderen Blick auf die Schweiz als das schweizerisch-volksparteilich-freisinnige Geschichtsbild der Männer-Republik, das uns auch in der SRG-Serie über «Die Schweizer» droht. Es ist nicht die eingezäunte, stachlig abwehrbereite Schweiz, begründet auf einem Männerbund mit den Frauen und dem Volk als Staffage. Es ist das Bild einer – zumindest auch – politisch, wirtschaftlich und kulturell über die eigenen Grenzen hinaus vernetzten Schweiz, die sich der Welt aussetzt und Einfluss nimmt auf die Welt.
Es ist eine Schweiz, in der man atmen kann.
Offene Felder – Fernsehfelder für die Zukunft
Es war ein guter Einstieg in den Themenmonat über «Die Schweizer». Katja Gentinetta hat mit den zwei Historikerinnen und dem einen Historiker drei kompetente, kritische und zugleich gelassene Gesprächgäste zusammen gebracht.
Die Runde hat Geschichten erzählt und über Geschichte gesprochen und damit Bildung betrieben im besten, unterhaltsamen Sinn. Auch wenn man sich die Runde künftig etwas kontroverser wünschte. Der Rechtfertigungsbedarf sollte die ergiebig gegensätzliche Debatte nicht ausschliessen.
Ohnehin wird man den Bogen weiter spannen müssen. Die erste «Sternstunde Geschichte» hat nicht nur gezeigt, dass eine durchaus «politische» Geschichte der Schweiz auch und gerade mit Frauen im Zentrum geschrieben und gezeigt werden könnte – nein: müsste. Allein schon die Geschichte der Entmachtung der Frauen ist ein gewaltiges Stück Politik. Und die Runde hat, wie in einem «Brain Storming», etliche weite und viel versprechende Themenfelder aufgetan. Die Geschichte der Sexualität – einschliesslich ihrer institutionalisierten Formen von der Monogamie über die Scheidung bis zu ihrer politisch-ökonomischen Befreiung – ist ebenso politisch wie die Geschichte der Armut, die Geschichte der Arbeit, die reale Geschichte der Demokratie – wer regiert die Schweiz?
Der Themenmonat über «Die Schweizer» drohte mit seinem Griff in die historische «Mottenkiste» (Scheurer) von Anfang an zu scheitern. Die «Sternstunde Geschichte» hat gezeigt, dass ein solches Projekt unser kollektives Gedächtnis durchlüften, mit neuem Sauerstoff versorgen und mit zukunftsträchtigen Bildern anreichern könnte. Wenn «Die Schweizer» denn nur der Anfang ist und nicht schon wieder das Ende.
«Sternstunde Geschichte» (3. November 2013): «Einflussreich und intrigant – Frauen in der frühen Schweizer Geschichte». Mit Simon Teuscher (Universität Zürich), Susanna Burghartz (Universität Basel), Brigitte Schnegg (Universität Bern). Moderation: Katja Gentinetta
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Der Autor war bis 2004 Mitarbeiter von SRG und Schweizer Fernsehen in verschiedenen Funktionen.
Es gilt zunächst einmal festzuhalten, dass die Gleichstellung der Frau bis heute der grosse Tolggen im Demokratie-Reinheft unseres Landes ist. Das lässt sich nicht wegdiskutieren und wirkt bis heute nach. So gesehen ist auch die Kritik an der Sendereihe und am Gründungsmythos, den sich der Bundesstaat geschaffen hat, in weiten Zügen berechtigt. Zumindest jedenfalls die Kritik, die im Rahmen der Sternstunde-Sendung geäussert wurde.
Ihre Kritik, mit Verlaub Herr Ruoff, hingegen ist ebenso schwarz-weiss malend politisch wie jene «der rechts-bürgerlichen Parteien und Fraktionen, die seit dem 19. Jahrhundert bis heute dieses Geschichtsbild für ihre Zwecke und ihr Staatsverständnis nutzen", welches Sie kritisieren. Sie schreiben ein «schweizerisch-volksparteilich-freisinnige[s] Geschichtsbild» herbei und konstruieren so eine geistes- und ideengeschichtliche Gemeinsamkeit von SVP und Freisinn, die so nicht haltbar ist – zumindest nicht für die heute real-existierende SVP. Die jüngst erfolgte Abspaltung der BDP bezeugt dies. Sowohl die BGB wie später auch die DP enstanden in klarer Abgrenzung zum Liberalismus. Dort, wo dies nicht der Fall war – DP in Zürich und die Fortschrittliche Bürgerpartei in Basel -, fusionierten die entsprechenden Parteien wieder mit dem Freisinn.
Der Umstand, dass Sie sich ebenso wie die von Ihnen – zurecht! – kritisierten rechtsbürgerlichen Kreise Ihr Geschichtsbild passend schreiben, wird exemplarisch in dieser Aussage deutlich: «[…] und die neuen freisinnigen Herren der republikanischen Schweiz stammten durchwegs aus dem protestantischen Bürgertum.» Nein, stammten sie nicht. Alleine die beiden – logischerweise liberal-radikalen – Bundesräte der ersten Stunde Josef Munzinger (SO) und Stefano Franscini (TI) waren katholisch, so wie es in beiden Kantonen überhaupt eine starke katholisch-liberale Tradition gab und gibt, die in ihrem Selbstverständnis dem westschweizer Freisinn radikaler Prägung näher steht als dem Zürcher Rechts-(Wirtschafts-)freisinn.
Aber zurück zur Sternstunde-Sendung: Betrachten wir die genannten historischen Frauenfiguren, dann ist ihnen eines gemein, sie stammen durchwegs aus der dünnen Schicht der jeweils herrschenden Elite, entweder vom obersten Rand wie Agnes von Ungarn oder vom unteren, eher lokalen Rand wie Julie Bondeli. Insofern ist die «Weiterschreibung» der Personen- und Ereignisgeschichte anhand von Frauen auch wieder nur eine Herrschaftsgeschichte, die die Lebensumstände der breiten Bevölkerung, die nicht in der kalten Burg oder im Patrizierhaus an der Herren- bzw. Junkerngasse wohnte, kaum oder gar nicht beachtet. Alle in Ihrem Artikel genannten Beispiele tragen so nämlich nichts bei zu einer Geschichte der Armut, der Arbeit oder der «realen» Geschichte der Demokratie. Da nützt es auch nichts, die vermeintliche «Schweiz, in der man atmen kann» der Frauen gegen die angebliche «eingezäunte, stachlig abwehrbereite Schweiz» der Männer auszuspielen. Für beide Konstrukte liessen sich unzählige Gegenbeispiele finden. Eines kam gestern ebenfalls auf SRF, nämlich ein Portrait von Meta von Salis im rätoromanischen Programm. Ich sage nur Freundschaft mit Nietzsche, Bewunderung für das wilhelminische Deutschland und Sympathien für die Rassenirrlehre.
Alles in allem ist Kurt Martis Kritik an der Sendereihe, die man hier lesen konnte, historisch fundierter als Ihre pseudo-historische Abrechnung eines Achtundsechzigers mit dem Mief seiner Elterngeneration.
@Michael Gisiger. Sie haben erstens recht mit Ihrem Hinweis, dass Munzinger und Franscini Katholiken waren. Meine innere Stimme hatte mich gewarnt (nachprüfen!), aber ich habe die Nachprüfung wegen der unbestritten liberal-radikalen Dominanz bis zur Wahl des ersten Katholisch-Konservativen in den Bundesrat (Josef Zemp 1891) unterlassen – ein Fehler, also: danke für die Korrektur.
Die Bezeichnung «schweizerisch-volksparteilich-freisinnige» Geschichtsschreibung – zweitens – ist grob geschnitzt (und man könnte sogar die K-K dazu nehmen). Ich habe für meinen Text insbesondere die politische Instrumentalisierung der Mythen für eine Schweiz in Abwehrhaltung im Auge – Reduitdenken, Fremdenangst, Gestaltung der Aussenbeziehungen nach rein wirtschaftlichen, sprich: ökonomistischen Leitlinien. Selbstverständlich gibt es abweichende Minderheiten (wie die Befürworter des EU-Beitritts in der FDP) und keine einfache Identität, also ist die Formel polemisch zugespitzt.
Dem steht – drittens – die Schweiz als offenes Land gegenüber, wie sie in den Frauengeschichten der «Sternstunde» aufscheint: Vernetzt mit Europa und der Welt, die gute Nachbarschaften und pflegt, für die der Respekt vor anderen Rechtssystemen und vor Menschenrechten eine leitende Rolle spielt.
Diese Offenheit schafft – viertens – ein Klima, in dem man atmen kann. Das bedeutet aber noch nicht, dass ich die historischen Zustände und die Rolle der erwähnten hochgestellten Frauen idealisiere. Ich spreche hingegen – fünftens – davon, dass es Aufgabe der SRG als Service Public wäre, die (von Frau Burghartz) erwähnten Geschichts-Felder der Sexualität, der Armut, der Arbeit (und anderer) mit ebenso viel Engagement aufzuarbeiten. In den «Klassikern» zur Geschichte der Schweiz und der Schweizer (Thomas Maissen, Ulrich im Hof u.a.) findet sich zu den erwähnten Themen wenig, in der «Geschichte der Schweiz» des Freiburgers Volker Reinhardt «Geschichte der Schweiz» immerhin ein paar skizzierte Hinweise; er erinnert an Thomas Platter und seinen Weg vom Alphirten zum humanistisch gebildeten Drucker und Lehrer und stellt im Übrigen fest: «nur durch ideologische Verklärung wird aus (dem) nüchternen Überlebensbündnis eine heroische Schicksalsgemeinschaft». Es geht also auch darum, die Geschichte der Schweiz auch als Geschichte einer Gesellschaft zu zeigen, die in ihrer ganzen Entwicklung keine mythologische Einheit war sondern immer von Spannungen durchzogen.
Abrechnung? Mief in meinem liberal-radikalen und auch konservativen Elternhaus? (Wie kommen Sie darauf?) – Nein. Versuch einer anregenden Auseinandersetzung . In der Verkürzung offenbar missverständlich. Dieser Hinweis ist nützlich, danke.
Herrn Ruoffs Hinweis auf Agnes wird bestätigt durch eine dreistellige Zahl von Königsfelder Urkunden, die ihren Einfluss und ihre Macht, in der Regel als Schiedsrichterin zur Vermeidung v. Kriegen und Konflikten, bezeugen. Dass man sie auch geistig nicht unterschätzen darf, bestätigt das ihr gewidmete Werk von Meister Eckhart «Buch der göttlichen Tröstung", ein Hauptzeugnis der deutschen Mystik. Hoffe dies bis in ca. 2 Jahren in Buchform darstellen zu können. Hingegen phantasiert Herr Ruoff im Zusammenhang mit Management-Aufgaben der Dorothea von Flüe, die stets mit dem Mädchennamen Namen Dorothea Wyss in den Quellen aufscheint. Der Eremit Klaus von Flüe, der seine Familie nie verliess, 250 Meter von ihr in seiner Zelle lebte, war von seinen beiden Söhnen Hans von Flüe und Walter von Flüe, beide schon jung Landammänner, in wirtschaftlicher Hinsicht faktisch bevormundet. Schon vor 1467 war Hans der eigentliche Senn, während der Vater nur noch Hilfsarbeiten machte. Dorothea von Flüe, die angesehenste Bäuerin ihrer Zeit, erhielt Geschenke, z.B. von Prinzessin Eleonore v. Schottland, Gemahlin v. Herzog Sigismund v. Österreich, nahm täglich an den Gottesdiensten in der Kapelle teil und hatte nach dem Tod ihres Mannes eine mystische Vision. Sie ernährte den Miteremiten Bruder Ulrich und ist mutmasslich die einzige Person, die wissen konnte, wovon Klaus von Flüe lebte. Quellen bestätigen eine fromme, schöne Frau. Viehwirtschaft und religiöse Propaganda blieben aber Männersache.
Vortrefflich auf den Punkt gebracht Herr Ruoff; herzlichen Dank! Offizielle Geschichtsschreibung wurde mehrheitlich von Männern geschrieben (his-story); her-story bleibt weitgehend unsichtbar, bzw. muss aus Traditionen oraler Überlieferung oder Quellen eruiert werden. Darüber hinaus wurde Geschichte einseitig aus der Sicht der Herrschenden geschrieben. Wer sucht, der findet; wenn nicht in Büchern, so doch im kollektiven Gedächtnis. Halt nicht in den Sphären der tonangebenden Eliten, sondern im Bodensatz schweizerischer Alltagsrealität. So würde der “Mount Rushmore der CH”, wie er sich uns auf dem Plakat von SRF präsentiert glaubwürdiger: Anstatt blutrünstiger Schlachten mit bärtigen Männern würden jene Frauen gezeigt, die einen Beitrag zu einer friedlicheren Schweiz geleistet haben. Z. Bsp. Katharina von Zimmern, letzte Äbtissin am Fraumünster und formell noch Stadtherrin. 1524 übergab sie die Schlüssel und den gesamten Besitz an die Stadt und leistete damit einen entscheidenden Beitrag zur unblutigen Einführung der Reformation in Zürich. Der folgende Satz stammt von dieser Bewahrerin des religiösen und politischen Friedens: «Die Stadt vor Unruhe und Ungemach bewahren und tun, was Zürich lieb und dienlich ist.» Ihre Geschichte wäre weniger blutrünstig und gewaltverherrlichend gewesen als jener mit dem Kriegstreiber Hans Waldmann. Dieser würde nach heutigen Masstäben als Kriegsverbrecher verfolgt, wie wahrscheinlich die meisten Eidgenossen zu jener Zeit!
@Pirmin Meier erfreut uns immer wieder mit seiner historischen Bildung. Meiers Darstellung der Dorothee Wyss-von Flüe krankt aber daran, dass er den Anfang ihrer Geschichte auf 1567 ansetzt, also etwa zwanzig Jahre nach der Heirat, als von Flüe die Familie für seine religiöse Sendung verliess. Aber es gab auch ein Leben vor dem „Ausstieg“. Wir wissen, dass Niklaus von Flüe überaus aktiv war in seiner Zeit: politisch als Ratsherr und Richter, militärisch in den Zürichkriegen und wirtschaftlich als Landwirt in der Zeit, in der die Viehzucht und der Fleischexport nach Norditalien für die Waldstätte wachsende Bedeutung bekamen. – Schweizer Historikerinnen und Kennerinnen der Geschichte der Wyss-von Flüe gehen heute selbstverständlich davon aus, dass Dorothee in der „Produktions- und Konsumeinheit“ des damaligen Bauernhofes Teil des „Ehepaars als Arbeitseinheit“ war, und dass sie standesgemässe „Herrschaftsfunktionen“ auf dem Hof ausgeübt hat, in den Zeiten der Abwesenheit des von Flüe sowieso. Daran ändert auch nichts, dass der älteste Sohn Hans früh vom Vater in die Lehre genommen wurde, und dass die Viehwirtschaft im späten Mittelalter zur Männersache geworden war. Wer nicht in einem humanistisch-patriarchalischen Geschichtsbild befangen ist, darf daraus auch für die Zeit nach von Flües Weggang durchaus den Schluss ziehen, dass die Ratsherrentochter und «angesehenste Bäuerin ihrer Zeit» (Meier) eine gewichtige Rolle im «Management» ihres Bauernbetriebs gespielt hat.
Kollege Ruoff vermerkt mit Recht, dass die Viehwirtschaft im späten Mittelalter Männersache geworden war; historisch keine Kleinigkeit, für das Werden der Eidgenossenschaft wichtiger als Tell u. Winkelried; der zunehmende Viehtrieb über die Pässe förderte Geldwirtschaft. In meiner 580-Seiten Biographie, deren 3. Auflage im Februar erscheint, verweise ich darauf, dass der Vater von Niklaus von Flüe noch zu Acker gefahren war, während in den folgenden Generationen ab der Zeit des Zürichkrieges, eines Wirtschaftskrieges mit Getreidesperre, spezialisierte Viehwirtschaft und damit in vergrössertem Masse die Geldwirtschaft begann, was dem frommen Klaus Mühe machte. Grossvieh wurde Haupterwerbsquelle; Marchenstreite wurden deswegen die grundlegende politische Gegebenheit im 13. u. 14. Jahrhundert in der Innerschweiz. Was Dorothea betrifft, leben kaum noch 6 Forschende mit direkter Quellenkenntnis; habe auch den ersten Prozess über häusliche Gewalt in der Schweiz in meinem Bruder-Klaus-Buch dargestellt, betraf eine Ratsherrenfrau in Obwalden; desgleichen fast alle Dokumente in Obwalden u. Nidwalden verwertet, wo Frauen vorkommen. In meinem dokumentierten Jugendbuch «St. Gotthard u. der Schmied v. Göschenen» stelle ich eine leibeigene Frau im 13. Jahrhundert dar, die mit 2 Kühen, 1 Stier u. 1 Hof einem Miterbauer der Teufelsbrücke als Teil des Hofes verschenkt werden konnte. Dorothea war Tochter eines freien Bauern u. «Dienstkollegen» v. Klaus von Flüe, zu Lebzeiten schon hochgeehrt.
Auch nach der zweiten Folge von «Wir Schweizer» komme ich zum selben Schluss. Das vernichtenden Urteil ist verfehlt! Die Beispiele, Königin Agnes von Ungarn, eine in der Schweiz wohnhafte Habsburgerin und Salome Burckhardt zeichnen nicht das Bild der Schweizer Frau im Mittelalter, sie mögen den Kritikern für einen vermehrten europäischen Weg der Schweiz dienen. – Tatsache ist, dass Frauen eben schon in früherer Zeit dem Mann den Rücken frei hielten. Es gibt genügend berühmte Schweizerinnen, so Germaine de Stael, Johanna Spyri, Isabelle Kaiser, Corinne Bille, Marie Tussaud, Adèle d´Affry, Marie Heim und Verena Konzett, diese Damen wurden aber alle erst im 18. Jahrhundert geboren und lebten zum Teil bis weit ins 20. Jahrhundert. Die bisherigen Folgen haben sich aber nicht mit dieser Zeitepoche beschäftigt! Und diese Frauen waren mit Ausnahme von Marie Heim und Verena Konzett nicht in Politik und Wirtschaft tätig.
@Beda Dügelin: Die ganzen Kostümorgien in den Doku-Soaps über das Mittelalter hätte mann durchaus an weiblichen Figuren festmachen können: Den ersten an der Stauffacherin, den zweiten an Katharina von Zimmern und Dorothea von Flüe (cf. mein obiger Beitrag vom 7.11.2013). Und mit Verlaub: Geschichte ist nicht nur Wirtschafts- und Machtgeschichte, sondern auch Alltags- und Mentalitätsgeschichte. Und weshalb überhaupt ins MA zurück gehen, wenn die Neuzeit doch so viel hergibt?!
@Esther Fischer: Ich verstehe ja die Forderung nach Gleichberechtigung, allerdings werden wir nie ein Schiedsgericht einsetzen können, welches darüber waltet, dass beide Geschlechter im gleichen Masse in Beiträgen Berücksichtigung finden. Alltags- und Mentalitätsgeschichte vor 700 Jahren zu rekonstruieren dürfte noch viel schwieriger und umstrittener sein, als die von Ihnen kritisierte Wirtschafts- und «Macht"geschichte. Vielleicht gelingt dies in hundert Jahren, wenn einst ein Geschichtsfilm des 21. Jahrhunderts über Andrea Stauffacher in einer Hauptrolle gedreht wird……Sie ist ja auch eine Stauffacherin!
@Beda Düggelin: Sie machen sich über mein berechtigtes Anliegen lustig; es sei Ihnen unbenommen! Ein Film über Andrea Stauffacher vom «schwarzen Block» wäre u.U. genauso gewaltverherrlichend wie jener über den blutrünstigen Hans Waldmann. Ich behaupte sogar, dass jener somit gegen die Bestimmungen verstösst, wie sie im Bundesgesetz über Radio und Fernsehen vom 24. März 2006 festgehalten sind. Da steht in Art 4:
1 Alle Sendungen eines Radio- oder Fernsehprogramms müssen die Grundrechte beachten. Die Sendungen haben insbesondere die Menschenwürde zu achten, dürfen weder dirskriminierend sein noch zu Rassenhass beitragen noch die öffentliche Sittlichkeit gefährden noch Gewalt verherrlichen oder verharmlosen. QED.
Last but not least: Ich heisse Esther Gisler F.; Doppelnamen gemäss ZGB; Ledigennamen vorgestellt; auch wenn dieser aus patrilinearem Weg zu Stande gekommen ist. 😉 Nach neuem Namenrecht nicht mehr möglich …
Was Esther Gisler Fischer über die Alltagsgeschichte im Mittelalter vermerkt, kann ich von der Mystikforschung, die über weite Strecken Frauenforschung ist, nur unterstützen. Zum Namen: die Frau hiess, liebe Frau Gisler Fischer, Dorothea Wyssin, nicht etwa Dorothea von Flüe. Die soziale Geschlechterdifferenz wurde in der späteren Geschichte des Kapitalismus z.T. eher grösser als im Mittelalter, so wie noch im 19. Jahrhundert die traditionellen altbernischen Bäuerinnen bei Jeremias Gotthelf dank ihrer ökonomischen Unentbehrlichkeit emanzipierter waren als vergleichsweise verwöhnte, aber sich langweilende Bürger- und Junkerfrauen bei Theodor Fontane, deren Beitrag zum familiären Wohlstand hauptsächlich aus ihrem Erbgut bzw. Frauengut bestand, weniger aus Arbeitsleistung. «Sie tat die Arbeit nicht nur", schreibt Gotthelf von einer tüchtigen Bernerbäuerin, «sie sah sie auch und tat sie ungeheissen, eine geborene Meisterfrau". Nicht zuletzt die Begabung zur familiären Diktatur war, z.B. bei Anne Bäbi Jowäger, hoch entwickelt. Entlebucher Frauen konnten schon früh mit der Waffe umgehen und eindrucksvoll ist im Kanton LU nach 1830 der Durchbruch der Mantelmode bei den Frauen, für die Selbstachtung einer der bedeutendsten Emanzipationsschritte vor dem Durchbruch des vom kath. Frauenbund noch vor 70 Jahren bekämpften Frauenstimmrechts.
PS. Altbernische Bäuerinnen konnten gegen häusliche Gewalt klagen u. Schwängerer zu Heirat verpflichten usw., sie waren keineswegs bloss «Objekte".
Ich bin Ihnen dankbar Herr Pirmin Meier für Ihre klärenden und erhellenden Ausführungen! Ich wusste schon, dass Dorothea Wyss hiess; die abgeleitete Identität des von Flüe war wohl falsch verstandener vorauseilender Gehorsam. Irgendwie zeigt die SRF-"die Schweizer"-Gehirnwäsche halt doch ihre Wirkung …
@Liebe Frau Esther Gisler F, mir ist noch immer nicht klar, was Sie mit Ihren Rechtfertigungen erreichen wollen. Ich denke, dass Sie der Frauenzunft, der Gesellschaft zu Fraumünster angehören könnten, welche darum kämpft, endlich in den Zug der Zünfte aufgenommen zu werden. Selbst wenn dies der Fall wäre, entstände ja noch längst nicht Parität im Zürcher Zunftwesen, das Sie aufgrund der Rolle von Hans Waldmann als diskriminierend, zu Rassenhass beitragend, die öffentliche Sittlichkeit gefährdend und Gewalt verherrlichend beurteilen (zumindest jenes Zunftwesen zur Zeit von Hans Waldmann). Ich wiederhole meinen Aufruf, keine übermässige Kritik an einer SRF Sendung zu üben, sondern sie einfach zu akzeptieren, so wie sie ist. Ich denke, die Filmemacher und Historiker, welche dafür verantwortlich sind, waren sicherlich nicht gedankenlos!
Ueberdies gehe ich nicht davon aus, dass das Fernsehen SRF mit diese Doku-Serie Propaganda für die SVP-Familieninitiative machen wollte. (Heimchen am Herd, wie Robert Ruoff die ökonomische Rolle der Frauen zu dieser Zeit charakterisierte).
Gruss Beda Düggelin-H.
Lieber Herr Düggelin
In keiner meiner Kommentare habe ich eine Rechtfertigung von was auch immer gemacht, sondern einzig und allein den Miteinbezug anderer Perspektiven in die Planung dieser Film-Serie gefordert; notabene das Hauptverdienst eines Quoten-Romanen. So hätte mit Katharina von Zimmern und anderen Quotenfrauen (sic!) von Anbeginn ein differenzierteres Geschichtsverständnis Einzug halten können. Ich bin nicht Mitglied der Gesellschaft zu Fraumünster und habe mich auch in keinster Weise auf die Zünfte bezogen, sondern einzig auch die Figur Hans Waldmann. Als Mitglied der Hälfte der hiesigen Bürgerschaft und als Konzessionszahlerin ist es mein gutes Recht Kritik zu üben. Im Gegensatz zu Ihnen denke ich, dass die Filmemacher und Historiker, welche dafür verantwortlich sind, gedankenlos waren! Hätten mehr Historikerinnen und Filmemacherinnen mitgemischt, wäre es vielleicht ein wenig anders gekommen …
Freundlich grüsst Sie
Esther Gisler Fischer.
Liebe Frau Esther Gisler F. Sie scheinen eine sehr selbstsichere, eigenständige Frau zu sein, doch ich verstehe Ihre Entrüstung wirklich nicht…..! Da hätte ich schon viele Male Anlass gehabt, mich über Radio und Fernsehen zu entrüsten oder mich in Rage zu versetzen. Es geht doch nicht um Quotenfrauen, sondern doch nur um das angenehme Miteinander, das schliesst selbstverständlich auf die Respektierung Ihrer Meinung mit ein. Damit beende ich meinen Beitrag, denn ich konzentriere mich normalerweise auf wesentlichere Herausforderungen unserer Gesellschaft! Vergangenheitserinnerung ist gut und wertvoll es muss nicht immer Vergangenheits"bewältigung» sein!
Ich wünsche Ihnen einen guten Sonntag und Gruss an Ihren Gemahl, Herrn F.
Lieber Herr Düggelin-H (Alianznamen nach ZBG?);-)
Ich hatte einen guten Sonntag; danke! Ich habe am Jubiläum zu «50 Jahren Frauen im Pfarramt» mit Festakt im Grossmünster und anschliessender Feier im Stadthaus teil genommen. Dieses gehörte im MA als Kreuzgang zur Abtei zu Fraumünster. Wir Pfarrerinnen der ev.-ref. Landeskirche haben uns an die Vorkämpferinnen erinnert und die Errungenschaften gefeiert.
Nicht nur in der Kirche ist der angemesse Einbezug von Frauen in allen Belangen unserer Gesellschaft «crucial» und nicht «nice to have", um es auf neudeutsch zu sagen. Auch ich beende hiermit unseren Austausch, denn ich brauche meine Zeit lieber, um dieser wesentliche Herausforderung zum Durchbruch zu verhelfen, als gedankliche Entwicklungshilfe leisten zu müssen.
Mit frohem Nachtgruss
Esther Gisler Fischer.