Schwule im Profifussball – das grosse Tabu
(Red.) Der frühere deutsche Nationalspieler Thomas Hitzlsperger (52 Länderspiele) hat sich in einem Interview mit der «Zeit» als erster deutscher Fussball-Profi als Homosexueller geoutet: «Ich äussere mich zu meiner Homosexualität, weil ich die Diskussion über Homosexualität unter Profisportlern voranbringen möchte.» Aus aktuellem Anlass wiederholen wir den Beitrag von Jürg Lehmann, der am 16. Juli 2013 auf Infosperber erschienen ist.
Jetzt spielen sie wieder: Von Basel bis Thun, von St. Gallen bis Sion. Die Super League in der Schweiz hat die Saison 2013/2014 in Angriff genommen. Die Vorschauen mit ihren Statistiken und Tabellen sind gelesen, die ersten Spielanalysen geschrieben – aber ein Thema wird hartnäckig umkurvt: Homosexualität im Profifussball und der Kampf gegen Homophobie (Schwulenfeindlichkeit) auf und neben dem Feld.
Schwule Profifussballer: Gibt es das in der Schweiz überhaupt? Gegenfrage: Warum sollte es sie nicht geben? Wir kennen sie nicht, weil sich keiner dazu bekennt. Nicht in der Schweiz, nicht in Deutschland, England oder irgendwo sonst in Europa. Schwulsein ist in der Macho-Welt Fussball ein Tabu. Im Gegensatz zu den Frauen, wo das Outing homo- oder bisexueller Top-Spielerinnen heute gang und gäbe ist. Trotzdem hält sich in den Sportredaktionen, wie anlässlich der aktuellen Frauenfussball-EM in Schweden, das Klischee von den «sexy Kickerinnen», die Männern anturnen sollen.
«Was ist los mit dir, bist du schwul?»
Wer nur schon in einer unteren Liga Fussball gespielt hat, weiss, wie es auf dem Feld, in den Zuschauerrängen und in der Kabine zu und her gehen kann. «Schwul» gehört zum gängigen diskriminierenden Vokabular: «Was für ein schwuler Pass» – «was ist los mit dir, bist du schwul?» – «du spielst wie ein Mädchen» – «schwule Sau». Das Gespräch dreht sich unter Kollegen um Frauen, Geld und Autos. Valentin Stocker, Profi beim FC Basel und Nationalspieler, bestätigt das Macho-Gehabe, als er im Interview mit dem «Tages-Anzeiger» kürzlich sagte: «Die Garderobe ist eine fiese Gegend. Sie ist ein Ort, im dem tüchtig Sprüche geklopft werden. Eine ernsthafte Diskussion wird selten geführt.»
Der US-Profi Robbie Rogers hat das nicht mehr ausgehalten und am 15. Februar dieses Jahres sein Bekenntnis zur Homosexualität als «Letter of Life» ins Netz gestellt. «In den vergangenen 25 Jahren hatte ich Angst – Angst zu zeigen, wer ich wirklich bin.» Jetzt, wo er dieses Geheimnis gelüftet habe, fühle er sich befreit: «Das Leben ist voll wunderbarer Dinge. Ich realisierte, dass ich es nur in vollen Zügen geniessen kann, wenn ich ehrlich bin.» Danach gab Rogers seinen Rücktritt vom Profifussball bekannt.
Rogers› Outing: Keiner tat es ihm gleich
Die Sympathiekundgebungen waren enorm. Fifa-Präsident Sepp Blatter twitterte: «Das ist 2013. Danke.» Im Mai kam Rogers auf seinen Rücktritt zurück und unterschrieb ein Angebot der Los Angeles Galaxy in der US-Profiliga MLS. Am 27. Mai gab er sein Debut. Er wurde eingewechselt, die Zuschauer jubelten ihm zu. «Es ist gut, zurück zu sein», sagte Robbie Rogers später. Seinem Outing aber ist seither kein Profifussballer mehr gefolgt.
Vor seinem Outing hatte Rogers unter anderem in England für Leeds United aus der zweiten Profiliga gespielt. Im britischen Fussball und bei seinen Fans ist nicht nur das Thema Rassismus virulent. Auch auf Homophobie ist man besonders sensiblisiert. Das hat seinen Grund. Der schwarze Profi Justin Fashanu outete sich 1990 nach langen verzweifelten inneren Kämpfen und Anfeindungen bei Nottingham Forest und anderen Clubs (Nottinghams Trainer Brian Clough hatte ihn vor der Mannschaft als «verdammte Schwuchtel» verunglimpft) im Boulevardblatt «Sun» als homosexuell: «I am gay!»
Danach wurde Fashanu in Talkshows und in der Presse herumgereicht, es gab Skandalgeschichten. Die schwarze Community distanzierte sich von ihm, sein Bruder bezeichnete ihn einem Interview als «Augestossenen». In den USA wurde Fashanu, wo er als Jugendtrainer arbeitete, beschuldigt, einen 17-Jährigen vergewaltigt zu haben, was er bestritt. Er wurde mit einem internationalen Haftbefehl gesucht. Zurück in London erhängte er sich am 2. Mai 1998. In seinem Abschiedsbrief heisst es: «Schwul und eine Person des öffentlichen Lebens zu sein, ist hart (…) Bevor ich meinen Freunden und meiner Familie weiteres Unglück zufüge, will ich lieber sterben.»
Das Trauma nach Justin Fashanus Suzid
Der Fall Fashanu steckt dem englischen Fussball bis heute tief in den Knochen. Es gibt diverse Organisationen, die sich mit Kampagnen und Aktionen gegen Homophobie ausdauernd engagieren. 2009 veröffentlichte die Vereinigung «Kick It Out» einen Report in dem sie aufrief, entschiedener gegen Homophobie vorzugehen. Auch die 1989 gegründete Organisation Stonewall, die sich generell für die Rechte von Schwulen und Lesben in der Gesellschaft einsetzt, forderte eine Null-Toleranz-Politik auf und neben dem Feld.
Der englische Fussballverband FA (Football Association) steht bei diesen Bemühungen nicht abseits. Er unterstützt die Aktivitäten. Im Februar 2012 teilte er mit, dass alle 20 Klubs der Premier League eine Charta gegen Homophobie unterzeichnet hatten.
Zu den aktivsten Profivereinen, die mitmachen, gehört der europäische Top-Klub FC Arsenal im Londoner Stadtteil Islington mit seinen Fans in der ganzen Welt. Das mag auch damit zu tun haben, dass der schwarze Spieler Sol Campbell von Fans des FC Tottenham jahrelang ungestraft rassistisch und mit Schwulen-Sprüchen eingedeckt wurde, weil er zum Stadtrivalen Arsenal gewechselt hatte. Erst 2008 griff die Polizei ein und forderte ihrerseits die FA zum Handeln auf.
Plakat in der Spielerkabine des FC Arsenal
So kommt es, dass man heute auf der Besichtigungs-Tour durch das Emirates Stadium von Arsenal in der grosszügig ausgestatteten Spielerkabine an der Wand am Eingang unvermittelt ein Plakat sieht (siehe Bild), das zwei Spielerleibchen zeigt. Das eine mit der Aufschrift «Gay» (schwul), das andere mit «Straight» (hetero). Daneben der Satz: «Wenn Du Teil eines Teams bist, bist Du nie allein.» Darunter der Spruch: «Wir sind alle Gewinner.» Das Plakat ist von der FA, der Premier League, der zweiten Liga, der Spielervereinigung, der Trainer-Organisation und Kick It Out unterzeichnet.
Im Jahr ihres 150-jährigen Bestehens legt die FA jetzt noch einen Zacken zu: Sie fördert energisch die laufende Kampagne «Football v Homophobia» und hat den 92 englischen Profivereinen ein Toolkit gesandt. Das 43-seitige Dokument zählt auf, wie man mit dem Thema Homosexualität und Transsexualität umgehen sollte und was dazu nötig ist. Ausserdem will die FA erreichen, dass sich 150 englische Fussballklubs ausdrücklich hinter die Kampagne 2013 stellen. Sie hat zu diesem Zweck ein «Leaderboard» eröffnet. Bisher haben sich 58 Klubs darauf registriert, erster auf der Liste ist der FC Arsenal.
Über eine App Diskriminierungen melden
Auf die Saison 2013/2014 hin stellt Kick It Out ausserdem eine App bereit, die es Fans erlaubt, diskriminierende Vorfälle und Äusserungen ausserhalb des Feldes oder auf den Social Media online oder offline (Telefon-Hotline) den zuständigen Stellen zu melden (Polizei, FA, Stewards im Stadion) Das kann auch anonym geschehen. Die Meldungen werden an die betreffenden Clubs geschickt, eine Kopie geht an die FA. Identifzierte homophobe Fans müssen Sanktionen gewärtigen (z.B. Verweise, Bussen, Stadionsperren). Wer als Profispieler homophobe Sprüche macht, soll für fünf Spiele gesperrt werden. Beim zweiten Mal sind es mindestens zehn Partien. Kritiker werfen der FA vor, sie gehe zu milde vor. Die UEFA plant für ihre Wettbewerbe (Champions League, Europa-League) zehn Spielsperren schon beim ersten Mal.
Wie auch immer: Jedenfalls attackiert England Homophobie frontal und transparent. Das ist anderswo nicht so. In Deutschland hätte eine Homophobie-Leitfaden durch den Deutschen Fussball-Bund DFB Ende Februar veröffentlicht werden sollen. Aber die Sache hat sich verzögert. «Es ist eben ein hartes Brett, ein äusserst heikles Thema und immer noch eine der grössten Schwächen des deutschen Fussballs», sagt dazu Marcus Urban. Der ehemaligen Junioren-Nationalspieler der DDR hatte sich 2007 als homosexuell geoutet und ist an der Erstellung des Leitfadens beteiligt.
SRF läuft beim Fussballverband auf
Auf die Schweiz trifft sein Statement noch viel mehr zu. Urban ist auch einer der Protagonisten im Beitrag der «Sportlounge» von SRF vom Februar 2011 «Schwule Fussballer – das letzte grosse Tabu». Kein Profi stellte sich vor die Kamera, zu Wort kommen nur anonyme Amateurfussballer. Der Schweizerische Fussballverband schrieb dem Autor auf dessen Fragen hin einzig zurück: «Wie kommen Sie auf die Idee, homosexuelle Fussballer seien bei uns ein Tabuthema?»
Nach dem Outing von Robbie Roberts stellte blick.ch die Frage: «Wie schwulenfreundlich ist die Super League?». Die befragten Super-League-Spieler äusserten durchwegs ihren Respekt vor Roberts’ Outing und meinten, sie hätten kein Problem mit einem schwulen Mitspieler in ihrer Mannschaft. Nur: Von der Akzeptanz bis zum eigenen Outing mit dem Risiko, die Karriere aufs Spiel zu setzen, ist es noch ein grosser Schritt. «Würden Sie sich im Teamsport als schwul outen?», fragte blick.ch. Die Antworten widerspiegeln die Ambivalenz trefflich: 52 Prozent sagten Ja, 48 Prozent Nein.
Swiss Football League schweigt
Und was sagt die Swiss Football League (SFL) selber? Man ist am deutschen Leitfaden interessiert. Blick.ch zitierte CEO Claudius Schäfer so: «Diskriminierung gehört weder auf noch neben den Fussballplatz. Herkunft, Religion und sexuelle Orientierung dürfen keine Rolle spielen.» Schön gesagt: Aber was läuft konkret? Infosperber hätte es gerne in Erfahrung gebracht. Doch SFL-Medienmann Philippe Guggisberg hat bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht auf ein Mail vom 9. Juli geantwortet.
Schwule im Profifussball: Schweigen in der Schweiz, Transparenz in England. So unterschiedlich können Fussballkulturen gelebt und kommuniziert werden.
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DIE SFL SCHICKTE NACH DER PUBLIKATION OBIGEN ARTIKELS INFOSPERBER FOLGENDE STELLUNGNAHME ZU:
Die Swiss Football League wartet weiterhin mit grossem Interesse auf das Strategiepapier des DFB. Die lange Erarbeitungszeit zeigt die Komplexität der Thematik exemplarisch auf. Die SFL kann mit ihren personellen Ressourcen im Moment eine solche Grundlagenarbeit kaum bewältigen.Für die SFL steht an oberster Stelle, dass Intoleranz und Diskriminierungen jeglicher Art weder auf noch neben den Fussballplatz gehören. Herkunft, Religion oder sexuelle Orientierung dürfen bei der Beurteilung eines Spielers keine Rolle spielen. Was zählt, ist der sportliche Erfolg. Die Liga unterstützt zu diesem Zweck seit vielen Saisons die jährlich stattfindende Aktionswoche gegen Gewalt und Rassismus des FARE-Netzwerks und setzt sich damit gegen jegliche Art von Diskriminierung ein, darunter auch Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung, worauf in den letzten Jahren grosser Wert gelegt wurde. Das FARE Netzwerk führt mit www.farenet.ch und der Hotline 0800 48 0800 eine Meldestelle für rassistische und diskriminierende Ereignisse in und um den Sport.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine