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Freihandelsabkommen Schweiz/China: die Profiteure

Christian Müller /  Freihandelsabkommen sind gut für die Grossen und Grössten. Streitigkeiten daraus werden auf Kosten des Steuerzahlers gelöst.

Viel Applaus von Politik und Medien: Anfang Juli 2013 konnte ein von Bundesrat Johann N. Schneider-Ammann bzw. vom Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) ausgehandeltes Freihandelsabkommen zwischen China und der Schweiz unterzeichnet werden, noch bevor etwas Vergleichbares zwischen China und der EU zustande gekommen ist. Profitieren soll von diesem Abkommen vor allem die Schweizer Exportwirtschaft, da Importzölle in China reduziert werden und teilweise ganz wegfallen.

Gab es auch kritische Töne?

Nicht wirklich. Nachdenklich allerdings stimmte den aufmerksamen Leser und die kritische Leserin in eben jenen Tagen Anfang Juli allerdings ein Artikel in der «Süddeutschen Zeitung» zum Thema Freihandelsabkommen USA / EU. Der Autor, Fritz Glunk, Herausgeber des deutschen Politmagazins «Die Gazette», machte darin auf weitestgehend unbekannte Punkte solcher Freihandelsabkommen aufmerksam, speziell im Bereich des sogenannten Investitionsschutzes. Denn wer meint, dass Firmen jetzt ihre Investitionen einfach leichter realisieren könnten, dies aber trotz allem auf eigenes Risiko tun müssten, der irrt. Auch Infosperber machte bereits am 23. Juni 2013 darauf aufmerksam, wie da hinter den Kulissen gemauschelt wird, wenn so eine Investition aufgrund des politischen Umfeldes nicht ganz so profitabel wird, wie erwartet. Denn auch hier gilt, wie so oft: am Schluss zahlt der Staat.

«Was den Gewinn schmälert, gilt künftig als ‚kalte Enteignung’» (SZ)

Glunk wörtlich: «Hier hat sich kaum sichtbar ein paralleles Rechtssystem entwickelt. Auf den ersten Blick sieht es nach Verfahren in einem privatrechtlichen Streit aus. Das Urteil jedoch hat plötzlich öffentlich-rechtliche Wirkung: Es ist der öffentliche, mit Steuern finanzierte Haushalt, aus dem das Privat-Unternehmen die Entschädigung erhält. Mit anderen Worten: In einem Geheimprozess wird gegen den wehrlosen Steuerzahler eine Strafe verhängt, ohne dass er weiß, wie sie zustande kam – eine perverse Public-Private-Partnership.

Die Antreiber hinter dem Freihandelsabkommen sind, verständlicherweise, die großen Firmen, insbesondere die Energie-Unternehmen. Und sie üben auf ihren Staat gehörigen Druck aus, damit der Schutz ihrer Investitionen und, man staune, ihrer Gewinnerwartungen möglichst umfassend ist. Die Unternehmen arbeiten bei enttäuschten Erwartungen gern mit dem Begriff der ‹indirekten Enteignung›: Edward Scott, Vizepräsident von Chevron, verlangt in einem Brief vom 7. Mai 2013 von der US-Delegation zur ‚Transatlantic Trade and Investment Partnership’ TTIP die Einführung eines Verbots, ‚legitime investitionsgestützte Erwartungen zu untergraben’. Chevron zufolge bedeutet dies auch das Verbot der ‚indirekten Enteignung’ durch strengere Umweltgesetze oder jede andere Politik, die die Gewinne oder auch nur die Hoffnungen des Unternehmens auf zukünftige Gewinne dämpfen könnte.»

Konkret: Beschliesst die Politik, zum Beispiel aufgrund eines demokratischen Entscheidungsprozesses, eine Gesetzesänderung und sind davon Firmen aus der Gegenseite eines Freihandelsabkommens betroffen, können diese nicht nur den möglichen Wertverlust der Investition, sondern auch erwartete – aber nun wohl nicht mehr voll realisierbare – Gewinne als zu vergütenden Schaden einklagen. Zuständig ist dann das ICSID, das «International Center for Settlement of Investment Disputes».

(Der Artikel von Fritz Glunk ist in seiner Originalversion unten als pdf einsehbar und kann dort auch downgeloadet werden.)

Zu den grossen Profiteuren zählen die Anwälte

Wer sich für die Details dieser geheimen Schiedsgerichte interessiert, stösst auf höchst bemerkenswerte Fakten: Die Händel vor dem ICSID haben in den letzten Jahren sowohl anzahlmässig wie auch im Umfang des Streitwertes massiv zugenommen. Und diese Händel sind zum Big Business der Anwälte geworden. Die zehn grössten auf solche Händel spezialisierten Anwaltskanzleien (die meisten von ihnen in den USA angesiedelt), machten im Jahr 2011 zusammen mit rund 200 Fällen über 14 Milliarden Dollar Honorarumsatz, im Durchschnitt 70 Millionen Dollar pro Streitfall! Bezahlt werden diese Streitigkeiten vor dem völlig intransparenten Schiedsgericht in den USA von den betroffenen Staaten, sprich: von dessen Steuerzahlern! Die Honorarsätze der involvierten Anwälte liegen regelmässig über 1000 Dollar pro aufgewendete Stunde pro Person!

Auch die Schweiz anerkennt das Schiedsgericht ICSID

Das von der «Süddeutschen Zeitung» monierte Schiedsgerichtsverfahren gilt nun aber nicht etwa nur für die EU und ihr künftiges Freihandelsabkommen mit den USA, sondern bereits seit dem 13. April 2010 auch für Schweiz. Wörtlich:

Abkommen zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung der Volksrepublik China über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Investitionen, abgeschlossen am 27. Januar 2009, von der Bundesversammlung genehmigt am 15. März 2010, in Kraft getreten durch Notenaustausch am 13. April 2010:

Art. 11:

«(2) Führen diese Beratungen innerhalb von sechs Monaten seit dem schriftlichen Begehren, solche aufzunehmen, nicht zu einer Lösung, so kann der Investor die Streitigkeit entweder den Gerichten beziehungsweise den Verwaltungsgerichten derjenigen Vertragspartei, auf deren Hoheitsgebiet die Investition getätigt wurde, oder internationaler Schiedsgerichtsbarkeit unterbreiten. Im letzteren Fall hat der Investor die Wahl zwischen:
(a) dem Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID), welches durch das am 18. März 1965 in Washington zur Unterzeichnung aufgelegte Übereinkommen zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Angehörigen anderer Staaten geschaffen wurde; oder
(b) einem Ad-hoc-Schiedsgericht, das, sofern von den Streitparteien nicht anders vereinbart, gemäss den Schiedsregeln der UNO-Kommission für internationales Handelsrecht (UNCITRAL) bestellt wird.
(3) Jede Vertragspartei erteilt hiermit ihre Zustimmung, Streitigkeiten über Investitionen der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit zu unterbreiten.»

Konkret heisst das: Wenn beispielsweise einzelne Bestimmungen zum Umweltschutz bei uns verschärft werden, können chinesische Investoren die Schweiz für mögliche entgangene (künftige) Gewinne verklagen. Entscheiden tut dann auf Wunsch dieser Investoren das ICSID in den USA, dessen Schiedsrichter, wie es aktenkundig ist, in anderen Fällen die Anwälte der klagenden transnationalen Konzerne waren und sind. Und die Anwaltshonorare in Millionenhöhe zahlen wir Steuerzahler.

Detaillierte Informationen zum (Un-)Wesen des ICSID gibt eine Publikation des Corporate Europe Observatory CEO, mit vielen Zahlen, unten unter «weiterführende Informationen» zum Downloaden.

Fazit: einmal mehr wird ein Profit von der Privatwirtschaft eingesteckt, das dazugehörende Risiko aber auf den Staat abgewälzt. Die Schweizer Parlamentarier tun gut daran, das heissgelobte Abkommen noch etwas genauer anzuschauen, bis sie es durchwinken.

(Das Zitat aus dem Artikel von Fritz Glunk ist dem Originalartikel entnommen, den wir mit freundlicher Genehmigung des Autors unten vollständig wiedergeben.)


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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Eine Meinung zu

  • am 17.03.2014 um 19:00 Uhr
    Permalink

    Weshalb ist es nicht möglich, eine Initiative gegen diesen Unsinn zu lancieren? Weiss das hier jemand?
    Übrigens, schon jetzt ist es mir unmöglich, einen Radio oder eine LED-Lampe zu kaufen, die nicht aus China kommen. Ich verzichte nun auf neue elektronische Produkte. Wir sollten nicht Freihandel, sondern Importzölle haben.
    Nützt es wenigsten den Chinesen? Ich denke nicht. Sie wachsen sich zu Tode.

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