Lokaljournalismus: De Schepper flattiert Wanner
Am letzten Montag berichtete die Solothurner Zeitung (SZ) über die Ehrung des abtretenden Solothurner FDP-Regierungsrats Christian Wanner. «Endlich wieder ein Freudentag für Christian Wanner», atmete SZ-Chefredaktor Theodor Eckert auf. Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf war «in aufgeräumter Stimmung» und im «lauschigen Schlosshof» von Waldegg unterhielten sich die ehemalige Bundeskanzlerin Annemarie Huber-Hotz, Unternehmer Ernst Thomke, Verleger Peter Wanner und der Kabarettist Emil Steinberger. Laut SZ war Alpiq-Präsident Hans E. Schweickardt und Alpiq-Chefin Jasmin Staiblin «zwar anwesend», aber das Thema «Verwaltungsratshonorare der Alpiq» wurde «geflissentlich ausgeklammert». Profunder SZ-Kommentar: «Die rund 120 Gäste wussten es sichtlich zu schätzen.»
VR-Honorar angeblich «vollumfänglich in die Staatskasse»
Zweimal schon stellte Infosperber die gigantische Misswirtschaft und die horrenden Honorare des Alpiq-Konzerns an den Pranger, ohne dass die Schweizer Medien davon Notiz nahmen, geschweige denn die Solothurnischen. Insbesondere Alpiq-Vizepräsident Christian Wanner kam im Infosperber-Report gar nicht gut weg. Der langjährige Solothurner FDP-Regierungsrat und Präsident der Finanzdirektorenkonferenz ist einer der politischen Hauptverantwortlichen des Alpiq-Finanzdebakels: Vor allem die spekulativen Investitionen in ausländische Gas- und Kohlekraftwerke führten in den Jahren 2011 und 2012 zu einem Gesamtverlust von 2,4 Milliarden Franken.
Trotz dieser Milliarden-Verluste stiegen die Vergütungen der Alpiq-Verwaltungsräte von 2,9 Millionen (2010) auf 3,7 Millionen (2012) an. Zum Vergleich: Der Axpo-Verwaltungsrat kassierte mit 1,2 Millionen Franken nur einen Drittel. Allein der Alpiq-Vize Wanner konnte sein Honorar im Krisenjahr 2011 um 35 Prozent von 225 000 auf 304 000 Franken steigern. Weil das Amt des Regierungsrates ein Vollamt ist, wollte Infospeber im April 2012 wissen, wer diese Vergütungen einkassiert. Darauf erklärte der Solothurner Staatsschreiber Andreas Eng, Regierungsrat Wanner müsse sein VR-Honorar «vollumfänglich in die Staatskasse abliefern». Eine Behauptung, die sich inzwischen als nicht ganz korrekt erwies.
Denn laut Recherchen der «Weltwoche» hat Wanner rund 107 050 Franken seiner Jahresvergütung als Sitzungsgelder, Spesen und Vorsorgegelder in die eigene Tasche gesteckt. Diese Praxis stützte er auf das Staatspersonalgesetz, das laut Weltwoche im Grunde eine «Lex Wanner» ist. Die Weltwoche-Geschichte schlug vor allem im Kanton Solothurn hohe Wellen. Inzwischen hat der Solothurner Kantonsrat die Sitzungsgelder auf 700 Franken pro Tag begrenzt und Wanner will ab jetzt «gratis» für den Alpiq-Verwaltungsrat arbeiten.
Das «Monument» hat «gar keine Probleme»
Der TalkTäglich-Moderator Werner de Schepper hätte also für sein Gespräch, das er mit Wanner am 18. Juni führte, aus dem Vollen schöpfen können (siehe Link unten). Doch was der ehemalige Blick-Chef und Vize-Chef der Aargauer Zeitung sowie der aktuelle Chef von TeleBärn im TalkTäglich aufführte, müsste eigentlich von allen journalistischen Ausbildungsstätten der Schweiz als abschreckendes Lehrbeispiel auf den Stundenplan gesetzt werden.
Zu Beginn des Gesprächs dirigiert de Schepper die Zuschauer selbstverliebt wie ein Puppenspieler mit beiden Zeigefingern auf seinen Gast Christian Wanner. Der studierte Theologe De Schepper, der auch schon als FDP-Kandidat für das Stadtpräsidium von Olten gehandelt wurde, ist gespannt wie eine Feder. Bei der Vorstellung des Gastes überschlägt sich seine Stimme voller Begeisterung immer wieder. Seine Übermotivation erinnert stark an einen bekannten Ringier-Mann mit ähnlichen Allüren.
Und gleich fängt de Schepper an zu tänzeln und scharwenzeln. Was muss dem «Monument der Solothurner Politik» wohl alles durch den Kopf gehen, wenn es nun am Schluss noch als «Abzocker » dasteht, möchte de Schepper gerne wissen. Das «Monument» hat damit «gar keine Probleme». Es hat «das Leben lang nie etwas Ungesetzliches gemacht» und auch «nie einen Franken zu Unrecht angenommen». Und vor allem kenne man ja die «Herkunft der Vorwürfe». Das «Monument» durfte sein Sprüchlein aufsagen.
«Mein Vater war Bauer und Störmetzger»
Der Moderator erlaubt sich höflich eine «kritische» Nachfrage: Kann Wanner es trotzdem verstehen, dass es Kritik an seinen Sitzungsgeldern gibt? Erneut ist die Frage so allgemein und kumpelhaft gestellt, dass Wanner gar nicht anders kann, als auf demselben Niveau zu antworten. Er könne die Kritik «sehr gut» verstehen, denn schliesslich komme er ja «aus bescheidenen Verhältnissen». Sein Vater sei «Bauer und Störmetzger» gewesen. Aber nochmals: Er habe «nichts zu Unrecht gemacht».
Dann meldet sich am freisinnigen Stammtisch wiederum der Moderator mit einer Übertreibung, damit Wanner bequem dementieren kann: Hat er denn wirklich 10 000 Franken pro Sitzung genommen? Die Antwort kommt auf Knopfdruck: «Das stimmt ganz und gar nicht. Es ist nicht die Hälfte. Aber ich lasse mich nicht auf Zahlen ein.»
Keine gezielten Fragen zu brisanten Themen
Und so ging die Runde munter weiter. Keine wirklich gezielten Fragen zu den Milliardenverlusten des Alpiq-Konzerns, zu den skandalösen Investitionen in ausländische Gas- und Kohlekraftwerke, zu den exorbitanten Vergütungen des Alpiq-Verwaltungsrates und der Alpiq-Geschäftsleitung sowie zum vergoldeten Abgang des Alpiq-Chefs Giovanni Leonardi.
So sieht Regionaljournalismus pur aus, wie er überall in diesem Land grassiert! Grosszügig subventioniert mit Konzessionsgeldern in der Höhe von jährlich rund 2,4 Millionen Franken, welche Tele M 1 kassiert, auf dem TalkTäglich läuft.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Dieser Beitrag, mit dem sicherlich nicht alle Leserinnen und Leser einverstanden sein werden, zeigt meines Erachtens als Mahnung zu kritischerem Lokaljournalismus und zu kritischerem Journalismus überhaupt die wahren Stärken des Publizisten Kurt Marti. Dass er über Rousseau, der im Wallis gewiss nie ein Kreuz abgehängt hätte, oder General Dufour, der sich nie für einen Putsch hergegeben hätte, weniger im Bild ist, bleibt ihm nicht gross zu verargen. Übrigens ist gute Geschichtsschreibung immer auch Lokalgeschichtsschreibung, weil am Ende alles, was passiert, «vor Ort» passiert, besonders in Ägypten oder Palästina oder Moskau und wo auch immer.