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Er hat Asyl in der ecuadorianischen Botschaft, aber wie sieht die Zukunft für Julian Assange aus? © mrfeek/flickr/cc

Julian Assange spielt auf Zeit – London auch

Jürg Lehmann /  Seit genau einem Jahr lebt der Wikileaks-Gründer in der Botschaft Ecuadors in Grossbritannien. Das kann so noch lange weitergehen.

Vor zehn Tagen machte Julian Assange (41) wieder einmal auf sich aufmerksam. Er nannte Whistleblower Edward Snowden einen «Helden». Snowden hatte die globalen Überwachungspraktiken des US-Geheimdienstes NSA öffentlich gemacht und tauchte in Hongkong unter. Assange forderte Staaten auf, die sich nicht vor den USA duckten und die Meinungsfreiheit hochhielten, Snowden Asyl zu gewähren. Snowden sei zur Zeit in einer «sehr, sehr schwierigen Position», sagte er zum TV-Sender Sky News.

Assange weiss, wovon er spricht. In Schweden läuft gegen den Australier ein Verfahren wegen sexueller Übergriffe gegen zwei Frauen (was er bestreitet). In den USA fürchtet er sich vor einer Anklage wegen Geheimnisverrats, nachdem die Wikileaks-Plattform hunderttausende geheimer US-Depeschen publizierte. Bevor ihn die britischen Behörden an Schweden ausliefern konnten, flüchtete Assange am 19. Juni 2012 in die Botschaft Ecuadors in London. Im August des gleichen Jahres gewährte ihm das Land Asyl.

Polizei-Bewachung rund um die Uhr

Ecuador verlangt freies Geleit für Assange nach Lateinamerika, was die Briten verweigern. Stattdessen haben sie vor dem viktorianischen Gebäude im eleganten Viertel Knightsbridge im Zentrum Londons, wo Ecuador seine Botschaft in einem Stockwerk betreibt, rund um die Uhr ein Sicherheitsdispositiv aufgezogen. Sollte Julian Assange irgendwie das Gebäude verlassen wollen, würde er sofort festgenommen.

Die Botschaft, die gleich hinter dem Luxus-Kaufhaus Harrods liegt, ist unübersehbar mit zwei ecuadorianischen Flaggen markiert. Der «Evening Standard» vermutet, dass acht Polizisten ständig im Dienst sind. Ein Polizeifahrzeug ist in der Nähe parkiert, ein Beamter markiert Dauerpräsenz auf der Treppe. Er kontrolliert Besucher, die ein und aus gehen. Assange empfängt regelmässig buntgemischte Prominenz zum Gespräch. Bisher addieren sich die Bewachungskosten laut der Londoner Polizei auf umgerechnet 5,5 Millionen Franken.

22 Minuten an der frischen Luft

Im letzten Oktober erschien überraschend Pop-Star Lady Gaga zu Besuch. Sie blieb fünf Stunden. Die britische Mode-Ikone Vivienne Westwood erklärte nach einem Gespräch in der Botschaft sogar: «Ich bin Assange.» Er selber hat bisher 22 Minuten an der frischen Luft verbracht, wie der «Evening Standard» schreibt – Assange zeigte sich im August und im Dezember zweimal auf dem Balkon der Botschaft, um zu seinen Anhängern zu sprechen.

«Er befindet sich in einem Zustand zwischen Optimismus und Resignation», sagt der britische Dichter John Perry Barlow, der Assange letzte Woche aufsuchte. Und was macht er die ganze Zeit? Just zum Jahrestag äusserte sich Assange selber gegenüber Journalisten. Er arbeite jeden Tag bis zu siebzehn Stunden in einem Zimmer im hinteren Teil der Botschaft, zitiert ihn der «Guardian», und versuche, sich körperlich fit zu halten.

Ken Loach lieferte Assange ein Laufband

Assange hält die Wikileaks-Plattform am Laufen. Er sagt, seit seinem Eintritt in die Botschaft über zwei Millionen Dokumente «geleakt» zu haben, die meisten syrische E-Mails von Politikern, Ministerien und regimetreuen Firmen aus der Zeit zwischen August 2006 und März 2012. Und er versendet Tweets (innerhalb eines Jahres wurden vom Wikileaks-Account über 10’000 registriert).

Filmemacher Ken Loach hat ihm ein Laufband geschenkt, auf dem er trainiert (Loach und andere Sympathisanten mussten sich die für Assange gestellte Kaution von über 400’000 Franken ans Bein streichen). Essen bestellt sich Assange bei Take aways in der Nähe. Das, schätzt der «Evening Standard», dürfte bisher eine Summe von 13’000 Franken ausmachen. Müsste er für die Mietkosten in der Botschaft selber aufkommen, hätte er an dieser Lage für seine Bleibe pro Jahr rund 50’000 Franken aufzubringen.

Vitamin-D-Mangel kann kritisch werden

Wie steht es um seine Gesundheit? Assange sagt, es brauche Disziplin, um durchzuhalten. Aber Storys über angebliche Lungen-Probleme seien Geschwätz. Der «Evening Standard» zitiert die Ärztin Clare Gerada, die sagt: «Sie müssen eine ziemliche robuste Konstitution haben, um in diesen Lebensumständen nicht in eine Depression zu verfallen.» Man benötige eigentlich täglich eine halbe Stunde Sonne, um genügend Vitamin-D-Zufuhr zu erhalten. Fehle dies wie bei Assange könnten sich brüchige Knochen, Müdigkeit und Muskelschmerzen entwickeln.

«Es ist sicher nicht gesund, unter solchen Umständen zu leben», sagt Assange. Doch er markiert Entschlossenheit und erklärte, dass er die Botschaft auch dann nicht verlassen würde, wenn Schweden das Verfahren gegen ihn fallen liesse. Seine Anwälte hätten ihm abgeraten, weil das Risiko bestehe, dass er unmittelbar danach verhaftet und an die USA ausgeliefert würde. Er kritisiert die britische Regierung für ihre rigorose Haltung.

Genau das ist das Problem. Gespräche zwischen Ecuador und Grossbritannien über eine Einigung haben im letzten September nichts gebracht. Inzwischen hat Ecuadors Präsident Rafael Correa seine Botschafterin in London ausgwechselt. Aussenminister Ricardo Patiño und sein Kollege William Hague sind am Montag in der britischen Hauptstadt übereingekommen, eine bilaterale Arbeitsgruppe einzusetzen. Das Gremium aus Juristen beider Staaten soll bei der Suche nach einer Lösung helfen.

Assange würde auch fünf Jahre aushalten

Assange seinerseits sagt, er habe von Beginn weg gedacht, sein Fall könnte im Zeitraum von sechs Monaten bis zu zwei Jahren gelöst werden. Daran glaube er immer noch. Skeptisch gibt sich inzwischen Aussenminister Patiño. «Wir hoffen, dass Julian Assange in unserer Botschaft nicht alt wird und stirbt», sagte er gemäss «Evening Standard». Soweit muss es nicht kommen. Immerhin sei Julian Assange bereit, so Patiño nach einem Treffen mit ihm am Sonntag, notfalls fünf Jahre in der Botschaft zu verbringen.

Das wäre nicht einmal ein Novum. Die BBC verwies kürzlich auf den Fall des ungarischen Kardinals József Mindszenty, der sich 1956 in die US-Botschaft in Budapest flüchtete. Er verliess sie erst nach 15 Jahren wieder.


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