Federbälle – China in Alarmstimmung!
Hundert Millionen Chinesinnen und Chinesen spielen Federball. Einige Zehntausend Badminton. Und jetzt das. Vogelgrippe H7N9! Gänse und Enten werden zu Hunderttausenden gekeult. Die Federn teurer – und somit auch der Massensport. Alarm!
Die Lage ist ernst. Die Lieblingssportart vieler Asiaten und Asiatinnen ist in grosser Gefahr. Federball beziehungsweise Badminton sowie Feder-Fussball werden massiv teurer. Federproduzenten in China schlagen Alarm. Wegen der Vogelgrippe H7N9 werden Gänse- und Entenfedern knapp. Selbst für die noch wenigen existierenden marxistisch-leninistisch denkenden Ökonomen ist in der «sozialistischen Marktwirtschaft chinesischer Prägung» klar, dass bei sinkendem Angebot und steigender Nachfrage die Preise explodieren. Weil Hunderttausende von Gänsen und Enten wegen der Vogelgrippe gekeult werden mussten, sehen sich die Produzenten von Federbällen in einem Engpass.
Li Min, der für Federball-Produzenten Federn liefert, formuliert es so: «Der Markt für Federn befindet sich derzeit in einem totalen Chaos». Die Preise seien nach Ausbruch der Vogelgrippe um vierzig Prozent hochgeschnellt. Doch selbst zu diesen Preisen könne nicht mehr genug geliefert werden. Der Feder-Händler Tian Yongyun wiederum wird in der Regierungszeitung «China Daily» mit den Worten zitiert, dass er noch im April 10’000 bis 15’000 Kilogramm Entenfedern kaufen konnte, heute seien es gerade einmal noch rund 3’000 Kilo.
Ausweichen auf synthetische Federbälle?
Natürlich gibt es auch synthetisch hergestellte Federbälle. Doch wenn es um Federball oder gar um den ernsthaften Sport Badminton geht, kennen Chinesinnen und Chinesen kein Pardon. Die rund hundert Millionen, die im Reich der Mitte Federball spielen, bevorzugen denn auch das Echte, d.h. «Bälle» mit Gänse- oder Entenfedern. Die Profis gehen in ihrem Qualitätsbewusstsein noch einen Schritt weiter. Sie bevorzugen der Flugeigenschaften wegen Gänsefedern. Doch diese sind noch teuerer als Entenfedern. Ein Paket mit zwölf Federbällen – im Fachjargon Shuttlecocks genannt – kostet derzeit in China zwischen 30 und 60 Yuan (umgerechnet fünf bis zehn Franken). In Europa gehen Federbälle pro Stück für bis zu einem Euro über den Ladentisch. Die Naturfederbälle werden meist von Hand gefertigt und bestehen aus einem Kork-Kopf und 16 Gänse- oder Entenfedern. Da Naturfedern leicht brechen, ist der Ball-Verschleiss sehr hoch. Pro Jahr werden so weit über eine Milliarde Federbälle verkauft. Jetzt kann der Sport der Massen doch recht kostspielig werden. Amateure, Freizeit-Federballspieler und Kampfsportler der unteren Badminton-Ligen spielten deshalb schon vor der Feder-Krise oft mit synthetischen Federbällen. Ein Badminton-Profi dagegen würde nicht im Traum ein synthetisches Bällchen in die Hand nehmen, es sei denn für lukrative Werbezwecke.
Der Federball-Sport ist in China, Vietnam, Korea, Indonesien, Malaysia, Singapur, Laos, Kambodscha, Thailand, Indien oder auch Burma äusserst populär. Es ist Volkssport per se und fördert der hohen konditionellen Anforderungen wegen die Volksgesundheit. Neben dem Massensport ist Badminton, die kampfsportliche Variante, so populär wie in Europa, den USA oder Lateinamerika etwa Fussball, Baseball oder Basketball. Weltweit betreiben rund 14 Millionen linzenzierte Badminton-Spieler in 164 Ländern den raffinierten, trickreichen und körperlich fordernden Sport. In Europa besonders stark ist Dänemark. Die Dänen sind neben den Indonesiern denn auch die einzigen, die hin und wieder gegen die Chinesen einen Satz gewinnen.
Der Sport kommt aus Indien
Für einmal kann nicht das Reich der Mitte beanspruchen, diese populäre Sportart erfunden zu haben. Vor über zweitausend Jahren nämlich haben, wie Höhlenzeichnungen beweisen, schon Inder mit Schlaghölzern Hühnerfeder-gespickte Holzbällchen herumgeschlagen. Vor über tausend Jahren haben etwa auch Inkas und Azteken sich mit Federbällen ertüchtigt und vergnügt. In Europa schliesslich amüsierte sich der Hochadel seit dem 17. Jahrhundert am Hofe Louis XIV und anderswo mit dem «Jeu de Volant» oder eben dem Shuttlecock, möglicherweise importiert aus Südamerika.
Den Hochleistungssport Badminton dagegen gibt es – fast gleichzeitig mit dem Lawn-Tennis – erst seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Wie so viele moderne Sportarten hat er seinen Ursprung in England. Ein britischer Kolonialoffizier brachte den Federball aus Indien mit. Er stellte den Sport auf dem Landsitz des Duke of Beaufort, dem Badminton House, in der Grafschaft Cloucestershire vor. Daher der Name Badminton. Der Sport trat unter der Ägide der Badminton World Federation (BWF) seinen Siegeszug um die Welt an und ist seit Barcelona 1992 eine olympische Sportart.
Badminton ist nicht Federball
Federball und Badminton sind schon von den Regeln her ziemlich unterschiedliche Spiele. Völlig tabu und eine Beleidigung ist es deshalb, einen Badminton-Spieler einen Federball-Spieler zu nennen. Sprachlich zu beachten gilt es zudem, den Ausdruck Shuttlecock korrekt anzuwenden. Er bezeichnet zum einen den Naturfederball. Zum andern aber heisst auch eine ganz andere, faszinierende Sportart so. Shuttelcock, Federfussball, ist vor allem in südostasiatischen Ländern weit verbreitet. In Burma gibt es gar spannende Shuttlecock-Meisterschaften. Das Spielfeld ist etwa gleich gross wie ein Badmintonfeld. Mannschaften aus je drei Spielern treten die Gänsefederbälle per pedem über ein Netz. Der Federfussball aber steht – Buddha sei Dank – nicht unter dem Kommando von Sepp Blatters FIFA, sondern hat sich in der International Shuttlecock Federation (ISF) zusammengeschlossen, die verschiedene Open sowie Europa- und Weltmeisterschaften veranstaltet.
All diese Sportarten sind nun wegen der Vogelgrippe H7N9 akut gefährdet. Natürlich könnten auch synthetische Bälle verwendet werden. Doch das wäre das Gleiche, wie wenn Federer anstatt Filz- plötzlich Federbälle übers Netz dreschen würde. Immerhin: Nadal, Djokovic, Murray, Ferrer oder Berdych – von Wrawrinka ganz zu schweigen – wären Gänse-federerleicht für einmal wehrlos geschlagen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine