Europa und die Schweiz – Beitritt war kein Thema
Eine hochrenommierte Veranstaltung, mit dem KKL in Luzern ein perfekter Ort für einen anspruchsvollen Event, eine sinnvolle Mischung aus Seminar und öffentlichem Podium. Eigentlich würde alles stimmen. Etliche sehr gute Referenten, aufmerksame Moderatorinnen, ein namhaftes Publikum: die Ausgangslage könnte nicht besser sein. Das Europa Forum Luzern hat sich unter Führung von Geschäftsführer Christof Wicki zu einem hochkarätigen Anlass entwickelt.
Aber es gibt ein Aber: Obwohl das Europa Forum Luzern ein Forum ist, ein Marktplatz der Meinungen also, und obwohl es das Wort Europa im Namen führt: Auch das Europa Forum Luzern tubuisiert – genauso wie die Grosszahl der Schweizer Politiker – das eine Thema: über einen «Beitritt der Schweiz zur EU» darf nicht gesprochen werden!
Gute Informationen; schwache Meinungen
Die Frühlingsveranstaltung des Europa Forum Luzern bestand wie immer aus einem (kostenpflichtigen) Seminarteil und einem (unentgeltlichen) öffentlichen Teil. Am Seminar gaben in einem ersten Block Adrienne Hèritier, Professorin für Vergleichende und Europäische Politik am Politischen und Sozialen Institut des Europäischen Hochschulinstituts in Florenz, Lars P. Feld, Direktor des Walter Eucken Instituts in Freiburg i.Br., Jean-Pierre Roth, ehemaliger Direktionspräsident der SNB, und Hugo Brady, Mitarbeiter des britischen Think Tanks «Center for European Reform» Informationen zur Krise Europas aus ihrer Sicht. Wenigstens Jean-Pierre Roth wagte sich dabei etwas hervor. Er beklagte das Wiederaufleben des nationalstaatlichen Denkens und forderte klar, Europa habe «als Kontinent» zu operieren. Optimistisch gab er sich allerdings nicht. Es fehle an Leadership. «Die Politik reagiert nur unter Druck», meinte er etwas resigniert.
In einem zweiten Block berichtete der Schweizer Diplomat Henri Gétaz über die bilateralen Verhandlungen der Schweiz mit der EU. Spätestens hier wurde klar, dass das Thema «Beitritt» kein Thema war – kein Thema sein durfte. Richard Jones, Leiter der für die Schweiz zuständigen Delegation der EU, referierte ebenfalls, hielt sich aber – im echten Sinne des Wortes – diplomatisch zurück. Roland Mayer, Leiter des Bereichs Aussenpolitik der Konferenz der Kantonsregierungen KdK, gab einen (klagereichen) Überblick über den Europa-verursachten schwindenden Einfluss der Kantone beim Bund. Und Jörg Walker, COO der KPMG, zeigte auf, dass auch die Anderen alles tun, um Steuern zu umgehen.
An einem Zweiergespräch zwischen Hans Hess, Präsident von Swissmem, und Richard Jager, CEO von Randstad Schweiz, prophezeite Jager für Europa einen zunehmenden Mangel an Arbeitskräften.
Schliesslich trat auch noch Markus J. Beyrer auf, Generaldirektor der mächtigsten Industrie-Lobby-Organisation «Businesseurope» in Brüssel. Er machte darauf aufmerksam, dass die Industrie für das Wohl der Leute wirtschaftlich immer noch wichtiger ist als der Dienstleistungssektor.
Sandra Lavenex, Politik-Professorin an der Uni Luzern, führte durchs Programm, Ursula Hürzeler, Redaktorin des «Echo der Zeit» bei Radio SRF, moderierte jeweils die anschliessenden Podien.
Öffentliche Veranstaltung mit Bundesrat Didier Burkhalter
Zwei Tage vor dem Entscheid des Bundesrates zur Anrufung der sogenannten Ventilklausel war man natürlich vor allem gespannt auf die Rede von Bundesrat Didier Burkhalter zur Eröffnung des öffentlichen Teils der Veranstaltung am Abend (Die grossen Medien haben darüber bereits berichtet). Obwohl man daraus heraushören konnte, dass mindestens er die Anrufung der Ventilklausel nicht befürworten würde, war gleichzeitig auch zu erahnen, dass auch er der Sache nicht traute und eine Anrufung der Ventilklausel aus innenpolitischem Opportunismus einiger Bundesräte befürchtete, sonst hätte er sich vielleicht etwas mehr hervorgewagt.
Dem schwedischen Diplomaten Frank Belfrage blieb es vorbehalten, über positive Erfahrungen seines Landes in den vergangenen 18 Jahren seit dem Beitritt zu berichten. Rudolf Wehrli, Präsident des Wirtschaftsverbandes economiesuisse, referierte über die Zukunftsfähigkeit der europäischen Wirtschaft. Zum abschliessenden Podiumsgespräch stiessen auch noch der Zuger Regierungsrat Matthias Michel und Axel P. Lehmann, Chief Risk Officer der «Zurich Insurance Group» und VR-Mitglied der UBS.
Ursula Hürzeler moderierte jetzt – publikumsgerecht – deutlich provokativer. Ob er denn als UBS-VR noch gut schlafen könne, angesichts des Geständnisses von Uli Hoeness, des hochgeschätzten Präsidenten des FC Bayern, in der Schweiz ein geheimes Konto zu haben, um Steuern zu hinterziehen, fragte sie etwa Axel P. Lehmann. Doch der UBS-Verwaltungsrat liess sich darauf nicht ein. Man müsse die Dinge nehmen, wie sie seien, sagte er, und man müsse halt cool bleiben. Und als sie den schwedischen Diplomaten Frank Belfrage fragte, was er denn der Schweiz in puncto Beitritt zur EU empfehlen würde, winkte auch der ab. Es sei nicht seine Sache, der Schweiz Ratschläge zu erteilen.
«Bedeutendste Plattform, wenn es um die Beziehung Schweiz-Europa geht»
Den öffentlichen Teil der Veranstaltung eröffnete Luzerns Stadtpräsident Stefan Roth. Das Europa Forum Luzern sei die «bedeutendste Plattform, wenn es um Fragen der Beziehung zwischen der Schweiz und Europa geht», sagte er wörtlich. Wirklich?
Nicht alle gingen an diesem Montag zufrieden nach Hause. Das Thema des Forums «Baustelle Europa und die Schweiz» hatte hohe Erwartungen geweckt, hier werde nun endlich diskutiert, was in der Schweizer Politik seit einigen Jahren schlicht tabu ist: ein Beitritt der Schweiz zur EU. Nomen est omen, pflegt man gelegentlich zu sagen: der Name ist Programm. Doch das Europa Forum Luzern widerlegte diesen Sinnspruch. Selbst als Forum und selbst als Europa Forum unterzog es sich freiwillig – und wohl nicht zufällig – einer offenen Diskussion. Es blieb beim Tabu.
Eine verpasste Chance.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Zur Zeit sind in Europa die zentrifugalen Kräfte stärker als die zentripetalen. Das kann auch das Europa Forum Luzern nicht ändern. Auch die oft vorgebrachte Kritik an mangelnder Führungsstärke der politisch Verantwortlichen greift zu kurz.
Es ist die Furcht vor einer ungewissen Zukunft, die die Menschen ergriffen hat und die sie – wenn überhaupt – nur ganz kleine Schritte tun lässt.