Laufzeit-Entscheid liegt bei Aufsichtsbehörde Ensi
upg. Vor einem Monat hat das Bundesgericht die befristete Laufzeit des KKW Mühleberg aufgehoben. In einem ersten Teil brachten wir die parteigefärbten Argumente der Bundesrichter. Die Mehrheit von ihnen urteilte zudem, dass sich das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation Uvek an die Sicherheitsbeurteilung der Aufsichtsbehörde Ensi halten muss. Die Beratung in Lausanne war öffentlich, doch haben die Medien kaum über die unterschiedlichen Positionen der fünf Richter berichtet. Jurist Benjamin Märkli war dabei, hat die Beratung protokolliert und im Newsletter der Weblaw.ch veröffentlicht. Infosperber bringt die wichtigsten Passagen im Folgenden wörtlich. Einzig die Parteizugehörigkeit der Richter hat Infosperber hinzugefügt, um auch diesbezüglich Transparenz zu schaffen. Bundesrichter werden nach dem Partei-Proporz gewählt. Gerade bei diesem Urteil zeigt sich, wie die Parteifarbe auf die (bei weitem nicht nur juristische) Argumentation abfärbt. Das vollständige Protokoll ist im Anhang abrufbar. Die schriftliche Urteilsbegründung, die das Bundesgericht nach einiger Zeit veröffentlichen wird, muss die mündlich vorgetragenen Erwägungen nicht alle übernehmen.
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AUS DEM VERHANDLUNGS-PROTOKOLL VON BENJAMIN MÄRKLI
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Zuständigkeit von Uvek und Verwaltungsgericht
Unbestritten war, dass das Uvek für die Erteilung und allenfalls Befristung der Betriebsbewilligung und das Ensi für die laufende Aufsicht über die Sicherheit der KKW zuständig ist. Hingegen waren sich die Bundesrichter uneinig, ob das Uvek bezüglich der Sicherheit eines KKW an die Einschätzung des Ensi gebunden ist resp., ob es eine eigene Sicherheitsüberprüfung vornehmen darf. Zwar ist auch gemäss Bundesrichter Hansjörg Seiler (SVP) die Sicherheit als Bewilligungsvoraussetzung nicht nur im Rahmen der laufenden Aufsicht zu prüfen, sondern ebenso beim Erlass der Bewilligung.
Die periodische Neubewilligung bei einer Befristung könne die Sicherheit also gleichsam subsidiär zur laufenden Aufsicht gewährleisten. Diese Prüfung habe aber gestützt auf die Gutachten des Ensi zu erfolgen. Die Feststellung des Bundesverwaltungsgerichts, das Uvek verfüge mit dem Bundesamt für Energie über eine fachkompetente Behörde, sei offensichtlich unrichtig. Die Fachkompetenz für Nuklearsicherheit sei bei der Bildung des Ensi aus dem Uvek ausgelagert worden.
«Ensi ist fachkundig und unabhängig»
Bundesrichter Thomas Stadelmann (CVP) war ähnlicher Meinung und wies darauf hin, dass das Ensi fachkundig und unabhängig sei. Wenn das Uvek sich auf dessen Gutachten stützt, gehe es korrekt vor. Auch SP-Bundesrichter Zünd gewichtete die Unabhängigkeit des Ensi hoch und wies auf das Übereinkommen über nukleare Sicherheit hin. Es fordere die Unabhängigkeit des Ensi. Das Uvek sei an dessen Einschätzung gebunden; es dürfe höchstens einen strengeren Massstab an die Sicherheit anlegen.
Demgegenüber forderte Bundesrichterin Aubry Girardin (Grüne) primär, die Aufsichtsfunktion auch des Uvek stärker zu betonen. Die laufende Aufsicht sei von der Sicherheitsprüfung zur Erteilung der Bewilligung ganz verschieden. Bei der Kernkraft sei eine parallele, mithin eine redundante, Sicherheitszuständigkeit besonders wichtig, da von ihr immense Gefahren ausgingen.
Auch bei der Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts war im Grundsatz unbestritten, dass es als Beschwerdeinstanz gleichsam in die Schuhe des Uvek trete und über die gleiche Zuständigkeit verfüge. Bundesrichter Hansjörg Seiler (SVP) wies aber mehrfach darauf hin, dass es somit auch an die Einschätzung des Ensi gebunden gewesen wäre, da sie nicht offensichtlich unrichtig gewesen sei. Da es sich zudem um eine sehr technische Materie handle, betonte Bundesrichter Thomas Stadelmann (CVP), hätte es sich Zurückhaltung aufzuerlegen gehabt. Es dürfe sich nicht ohne Not über die Ermessensentscheide und Feststellungen der fachkundigen Vorinstanz hinwegsetzen, ausser ein Richter verfüge zufällig über besondere Fachkompetenz.
Auch SVP-Bundesrichter Yves Donzallaz gelangte zu einem ähnlichen Ergebnis. Er sah in der Sicherheitsbeurteilung eine Sachverhaltsfeststellung. Solange diese nicht offensichtlich unrichtig sei, dürfe ein Gericht nicht davon abweichen.
Sicherheit
Gemäss Bundesrichter Hansjörg Seiler (SVP) überschritt das Bundesverwaltungsgericht seine Kompetenz, indem es sich nicht detailliert mit dem Gutachten des Ensi auseinandersetzte. Aus diesem Grund prüfte er die Sicherheit des KKW Mühleberg anhand der Einschätzung des Ensi selbst, wobei er auf die drei mangelhaften Sicherheitsbereiche einging, die das Bundesverwaltungsgericht eruiert hat. Es sei zu prüfen, ob die laufende Aufsicht in einem Masse ungenügend zur Behebung der Mängel sei, das den Entzug der Bewilligung rechtfertige.
Diese Voraussetzung sei nicht bereits erfüllt, sobald ein Risiko bestehe. Bezüglich der Sicherheit sei kein Nullrisiko gefordert, das nur bei einem gänzlichen Verbot der Kernkraft zu erzielen wäre. Vielmehr gelte es, Sicherheitsstandards einzuhalten, sowohl für den Normalbetrieb als auch für Störfälle. Nur Risiken, die mit einiger Wahrscheinlichkeit einträten, müssten deterministisch verhindert werden; für weniger wahrscheinliche Risiken genüge ein probabilistischer Sicherheitsnachweis.
Kernmantel
Die durch Zuganker provisorisch gesicherten Risse im Kernmantel seien unbestrittenermassen ein Mangel und damit zu beheben. Sie stellten jedoch kein Sicherheitsrisiko dar, da der Schutz sogar ohne die angebrachten Zuganker gewährleistet wäre. Die vom Bundesverwaltungsgericht erwähnte Gefahr sei nur in einem hypothetischen Szenario gegeben. Dieses sei in den Berichten zwar genannt, aktuell aber gar nicht aufgetreten oder zu erwarten. Der Mangel sei also kein gravierender.
Erdbebensicherheit
Auch die Erdbebensicherheit, die insbesondere nach dem Reaktorunglück in Japan eingehend geprüft wurde, sei beim KKW selbst nicht zu beanstanden. Eine Gefahr ginge nur vom Wohlenseestaudamm aus, der im Falle eines 10’000-Jahre-Erdbebens brechen und das KKW gefährden könnte. Aus zwei Gründen rechtfertige das aber keinen Entzug der Bewilligung. Erstens habe das Bundesverwaltungsgericht den Bericht falsch gelesen. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Unfall auftritt, sei wesentlich geringer als es annimmt.
Die Sicherheit müsse also nur probabilistisch garantiert werden, und dieser Nachweis sei erbracht. Zweitens gebiete das Störerprinzip eher, den Staudamm stillzulegen, da die Gefahr von ihm ausgehe und er überdies weniger Strom produziere. SP-Bundesrichter Zünd entgegnete zwar, dass die Abwägung, welches Kraftwerk stillzulegen sei, der BKW obliege. Auch seien die Folgen eines Atomunfalls langfristiger und weiträumiger als jene eines Staudammbruchs. Bundesrichter Hansjörg Seiler (SVP) wollte dies jedoch nicht gelten lassen, da auch ein «blosser» Staudamm-Bruch zu ungeheuren Schäden an Mensch und Umwelt führe.
Kühlsystem
Die fehlende Redundanz des Kühlsystems sei tatsächlich ein Mangel. Er sei jedoch nicht unmittelbar sicherheitsrelevant und eher ein Hinweis darauf, dass die laufende Aufsicht gut funktioniere. Schliesslich habe das Ensi den Mangel erkannt und gerügt. Er könne ohne weiteres aufsichtsrechtlich behoben werden.
Abschliessend könne festgestellt werden, dass die laufende Aufsicht durch das Ensi ausreiche, um die Sicherheit des KKW Mühleberg zu gewährleisten. Daher komme ein Entzug der Betriebsbewilligung nicht in Frage und es falle auch die Möglichkeit zur Befristung weg.
[Red. Auf das Risiko eines gezielten Flugzeugangriffs gingen die Bundesrichter nicht ein]
Anträge und Kosten
Der Hauptantrag von Bundesrichter Hansjörg Seiler (SVP), der mit vier Stimmen eine Mehrheit der Richter fand, war, die Beschwerde gutzuheissen und die angefochtenen Ziffern des vorinstanzlichen Urteils antragsgemäss aufzuheben.
Der Gegenantrag war, die Beschwerde zwar teilweise gutzuheissen und ebenfalls die angefochtenen Ziffern des vorinstanzlichen Urteils aufzuheben, dann die Sache aber zur Erteilung einer angemessenen Befristung an das Uvek zurückzuweisen und in der Zwischenzeit eine provisorische Bewilligung zu erteilen, um die übergangsweise Abschaltung des Reaktors zu verhindern, da die neue Frist wohl nicht bis zum bisherigen Termin vom 28. Juni 2013 hätte ausgearbeitet werden können.
Die Verfahrenskosten und Parteientschädigung wurden auf je Fr. 50’000 zugunsten der BKW festgesetzt. Bundesrichter Thomas Stadelmann (CVP) befürchtete, derart hohe Kosten könnten eine prohibitive Wirkung entfalten, zumal die Beschwerdegegner mit dem Einsatz für die Sicherheit von KKW ein öffentliches Interesse verfolgten. Die hohe Anzahl der Beschwerdegegner erlaube aber eine Verteilung der Kosten auf über hundert Personen, so dass die Wirkung deutlich gemildert werde.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine