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Hunderttausende von Verdingkindern mussten in der Schweiz Zwangsarbeit leisten © www.waisenkinder-verdingkinder.ch/vu

Verdingkinder: Runder Tisch statt klare Antworten

Niklaus Ramseyer /  Am «Gedenkanlass» für die «Opfer administrativer Zwangsmassnahmen» gab es Entschuldigungen, aber der Anlass blieb unverbindlich.

«Es war genau wie damals bei Widmer-Schlumpf in Hindelbank», sagte ein sichtlich enttäuschter Betroffener im Pensionsalter nach dem Anlass vor dem Berner Casino draussen: «Allenthalben Entschuldigungen – aber sonst nur lauter Unverbindlichkeiten.» Im Berner Frauengefängnis Hindelbank hatte sich die damalige Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf schon 2010 bei willkürlich eingesperrten Frauen «entschuldigt». Doch im Gesetz, welches dieses Unrecht danach legal anerkennen sollte, steht jetzt eigens ein Artikel, der jegliche Entschädigung kurzerhand ausschliesst.

Erschütternde Berichte der Opfer

Die 100 000en von Verdingkindern, die im letzten Jahrhundert noch bis weit nach dem Krieg auf Bauernhöfen in der Schweiz Zwangsarbeit leisten mussten, waren in diesem Gesetz vergessen worden. Jetzt hat Bundesrätin Simonetta Sommaruga auch die 10 000 Überlebenden dieses Unrechts an einem musikalisch umrahmten «Gedenkanlass» in Bern «von ganzem Herzen um Entschuldigung» gebeten.

Sie war dabei die letzte in einer ganzen Reihe von Entschuldigern – von einem Regierungsrat als Vertreter der Kantone, Gemeinden und Städte über den Präsidenten der Bischofskonferenz, Markus Büchel, der die Kirchen repräsentierte, bis zum Präsidenten des Bauernverbandes, CVP-Nationalrat Markus Ritter. Doch in Kontrast zu den teils erschütternd konkreten Berichten der Opfer, die zuvor zu hören gewesen waren, blieben alle Vertreter der Täterschaft eher vage und sprachen in Passivsätzen.

Runder Tisch statt mutige Taten

Bischof Büchel meinte gar: Die begangenen Vergehen und Verbrechen lasteten «schwer auf den Kirchen» – gerade so, als ob sie die Opfer wären. Und als Bauernpräsident Ritter jene Ausnahmefälle betonte, in denen Verdingkinder auf Bauernhöfen «korrekt behandelt wurden», erntete er empörte Zwischenrufe und Pfiffe aus dem Publikum.

Applaus erntete hingegen Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Doch auch ihre lange erwartete Rede blieb im Passiven und Unverbindlichen. «Das ist ein wichtiger Tag – weil Sie wichtig sind», sagte sie den im nur schummrig beleuchteten Saal versammelten Opfern zwar. Täter und institutionelle Tatorte zu benennen vermied aber auch sie. In ihrer Sprachreglung sind die Täter «Akteure». Und diese sollen jetzt mit den überlebenden Opfern an einen «runden Tisch» sitzen. Zudem will die Justizministerin nicht etwa das Unrecht oder die Straftaten endlich aufklären – sondern bloss die Thematik historisch und rechtlich «aufarbeiten lassen». Was immer das heisst.

«Finanzielle Fragen» statt klare Antworten

Historiker sind seit Jahrzehnten schon daran diese Geschichte aufzuarbeiten. Zur Forderung der 10 000 überlebenden Opfer auf Wiedergutmachung sagte die Bundesrätin bloss: «Darüber hinaus stellen sich finanzielle und möglicherweise auch noch weitere Fragen.» Dass jetzt ein Gesetz auf dem Tisch liegt, das diese «finanziellen Fragen» längst abschlägig beantwortet hat, verschwieg sie.

Dafür geben die ehemaligen Verdingkinder, die inzwischen gut organisiert sind, jetzt dazu neue Antworten: Um die Not der Überlebenden zu lindern, könnte doch der Bund aus seinem Milliarden-Budget für die Schweizer Landwirtschaft jedes Jahr ein paar Millionen in einen «Verdingkinder-Fonds» geben, fordern sie. Ein Anwesender brachte es so auf den Punkt: «Direktzahlungen für Verdingkinder, statt für Grossbauern!»

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2 Meinungen

  • am 12.04.2013 um 15:19 Uhr
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    Die Gemeinden, Kantone und der Bund müssen unbedingt auch materielle Wiedergutmachung bezahlen. Natürlich auch die Verantwortlichen persönlich! Eine Entschuldigung kostet ja nichts und ist auch nicht viel wert, wenn sie keine Konsequenzen nach sich zieht. Immerhin ist mir aufgefallen, dass sich BR Sommaruga nicht einfach für die Fehler des BUndes entschuldigt hat, sie hat bei den Geschädigten um Entschuldigung gebeten. Ein kleiner aber wesentlicher Unterschied, der sehrwohl von Betroffenen gehört wurde!
    Es sei nur ein Anfang, ja und jetzt muss es mit Kostenfolge weiter gehen!!!!
    Da bekam auch ein ehemaliges Heimkind und Verdingbub eine Einladung zu dieser ehrenhaften Gedenkfeier, doch er durfte nicht hingehen, er bekam keinen Urlaub aus der Verwahrung…
    Ob wirklich immer die «richtigen» eingesperrt sind? Doch wer interessiert sich für Details, wichtig sind doch periodisch inszenierte Entrüstungen über die andern, die bösen…
    http://fair-wahrt.ch/

  • am 22.04.2013 um 19:39 Uhr
    Permalink

    Wieso ich an der Glaubwürdigkeit von diesem Anlass berechtigte Zweifel haben muss, können Sie nachlesen unter: http://www.kinderheime-schweiz.ch/forum/viewtopic.php?f=125&t=127
    Und worüber ich mich unsäglich ärgere, sind diverse Kommentare welche uns Geldgier unterstellen, weil wir auch finanzielle Forderungen gegenüber der Gesellschaft haben. Dabei scheinen diese Menschen zu vergessen, dass viele unter uns aus dem Grund zu den sozial Schwächsten gehören, weil uns eine freie Entfaltung gemäss unserer Eignungen während unserer Kindheit und Jugend verwehrt blieb. Weil uns Narben zugefügt wurden, mit welchen wir keinen Platz mehr in dieser Gesellschaft finden, was letztendlich auch in vielen Fällen unsere Erwerbsmöglichkeiten schwerwiegend einschränkt.

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