Pfleiderer_Hoerster_Sternstunde

Theologe Georg Pfleiderer (links), Philosoph Norbert Hoerster: Primat der Philosophie © srf

SRF-Sternstunde: Philosoph zerpflückt Theologie

Kurt Marti /  Der Philosoph Norbert Hoerster machte aus der Sternstunde Religion eine Sternstunde Philosophie und entzauberte die Theologie.

«Macht Religion die Menschen moralisch besser?» lautete das angekündigte Thema der SRF-Sternstunde Religion vom letzten Sonntag (siehe Link unten). Der Philosoph Norbert Hoerster und der Theologe Georg Pfleiderer diskutierten unter der Leitung von Judith Hardegger. Hoerster (76) lehrte von 1974 bis 1998 Rechts- und Sozialphilosophie an der Universität Mainz. Pfleiderer (53) ist Ordinarius für Systematische Theologie/Ethik an der Universität Basel, Mitglied der Synode der evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt und Präsident der Eidgenössischen Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich (EKAH). Die Gesprächsleiterin Hardegger (42) ist ebenfalls Theologin und war früher Redaktorin der Zeitschrift «forum-Pfarrblatt der katholischen Kirche im Kanton Zürich».

Taugt die christliche Religion zur Begründung der Moral?

Das angekündigte Thema wurde nur kurz gestreift. Dann übernahm Hoerster die faktische Gesprächsleitung zum revidierten Thema: «Taugt die christliche Religion zur Begründung der Moral in einer aufgeklärten Gesellschaft?» Dabei drängte er den Theologen Pfleiderer immer mehr in die Enge. In der Regel diskutieren in der Sternstunde Religion die Theologen und Gläubigen unter sich und genügen sich oft mit gemütlichen Plaudereien. Diesmal hingegen sollte es ganz anders werden.

Dem berühmten Diktum Dostojewskis «Wenn es keinen Gott gibt, dann ist alles erlaubt» setzte Hoerster eine Moralbegründung in «säkularer, aufklärerischer Weise» entgegen. Auch Pfleiderer zog die Evidenz dieses Diktums in Zweifel und gab erstaunlicherweise zu, «dass Regeln sich auch ohne ausdrücklich theologische und religiöse Begründung einleuchtend machen lassen», insbesondere bei kleinen Kindern. Das sei doch ein «relativ evidenter Sachverhalt». Der Mensch könne «auch ohne Gott Sinn erfahren».

Der Philosoph lockte den Theologen aufs theologische Glatteis

Diesen Steilpass nahm der Philosoph Hoerster dankbar an und setzte zu seiner ersten Frage an: «Sie würden also sagen, wir brauchen die Religion und auch das Christentum nicht, um unsere Werte und die Moral plausibel zu begründen?» Doch, antwortete Pfleiderer, man sollte darauf nicht verzichten, «weil der christliche Glaube gute Begründungen für Moral hat». Während Hoerster die Moral mit dem «menschlichen Wohlergehen» begründete und daraus die Menschenrechte ableitete, war Pfleiderer der Meinung, dass «Nützlichkeitserwägungen» keine Grundlage für die Moral seien. Nutzenfragen seien «in ihrer Wurzel nicht zwingend moralische Fragen».

In der Rolle des sokratisch Fragenden lockte nun der Philosoph den Theologen weiter aufs theologische Glatteis: «Wie kann man denn moralische Werte erkennen und begründen, ganz unabhängig davon, ob sie dem Wohl des Menschen zuträglich sind?» Durch die «Menschenwürde», erklärte Pfleiderer, und durch die Überzeugung, dass der Mensch einen «intrinsischen, absoluten Wert» habe.

Der Begriff der Menschenwürde ist eine «Leerformel»

Hierauf stellte Hoerster seine dritte Frage: «Würden Sie diesen Wert in der Gottebenbildlichkeit des Menschen sehen oder in der Beseelung des Menschen oder worin? Wo kommt da die Religion ins Spiel?» Pfleiderer wich aus: «Ich glaube, es ist wichtig, dass man nicht sofort gewissermassen nach den Eigenschaften des Menschen – wie die Vernunft – fragt, die als Kriterien herangezogen werden. Es ist gut, dass der Gedanke der Menschenwürde gerade diese Frage nach den Kriterien zurückstellt».

Ob soviel theologischer Unklarheit platzierte Hoerster seine vierte Frage: «Was verstehen Sie unter Menschenwürde? Das ist doch ein wahnsinnig vager Begriff, der einer Leerformel gleichkommt. Da kann man alles hineinpacken, was immer man will». Darauf brachte Pfleiderer ein weiteres, theologisches Konstrukt ins Spiel: «Gerade im Christentum liegen gute Möglichkeiten vor, zur Begründung der Menschenwürde. Denken Sie nicht nur an die Gottebenbildlichkeit des Menschen, sondern – und das ist sogar wichtiger – an die Gotteskindschaft, welche in der Bibel eine grössere Rolle spielt.»

Pfleiderer lieferte den Beweis für die «Leerformel» gleich selbst

Hoerster liess nicht locker und setzte zur fünften Frage an: «Aber was folgt daraus? Das ist doch so vage und allgemein. Sind da nicht zum Beispiel die neuzeitlichen Menschenrechte viel aussagekräftiger? Damit kann man doch etwas anfangen und die haben Folgen». Damit leitete Hoerster die Diskussion auf die praktische Ebene: Der Begriff der Menschenwürde sage nichts darüber aus, wie man konkret handeln solle. Zum Beispiel bei «schwierigen Grenzfragen am Anfang des Lebens. Wann beginnt das Leben? Mit der Befruchtung oder im Verlauf der Schwangerschaft?»

Dazu verwies Hoerster auf «eine Erklärung, die vor etwa 20 Jahren vom Rat der evangelischen Kirche in Deutschland gemeinsam mit der deutschen Bischofskonferenz erlassen wurde, wo ausdrücklich gesagt wird, das Recht auf Leben beginnt mit der Befruchtung. Damit ist jede Abtreibung verbots- und auch strafwürdig. Und warum beginnt das Leben mit der Befruchtung? Weil dann das Entscheidende, was den Menschen ausmacht, die Gottebenbildlichkeit und die unsterbliche Seele, dem Menschen gegeben wird. Das ist die Meinung der christlichen Kirche.»

Auf diese Kritik musste Pfleiderer zugeben: «Es ist völlig richtig, dass sich aus dem ethischen Grundbegriff der Menschwürde nicht zwingend und mit eindeutiger Konsequenz bestimmte Schlussfolgerungen für den Umgang mit dem anfänglichen menschlichen Leben ziehen lassen. Ich fand es keine Sternstunde der Religion, dass die beiden grossen Kirchen in Deutschland sich so eindeutig zu dem bestimmten Zeitpunkt auf die Zeugung festgelegt haben. Gerade die evangelischen Kirchen sind in der Folgezeit auch wieder differenzierter geworden». Damit bestätigte Pfleiderer gleich selbst den Vorwurf Hoersters, dass die Menschwürde eine «Leerformel» ist.

Übertriebene Höllenstrafen für vorehelichen Sexualverkehr

Dann griff Hoerster das absurde Bestrafungskonzept der christlichen Religionen an: «Es gibt im Christentum die Lehre von den ewigen Höllenstrafen. Die Hölle und der Teufel spielt im Neuen Testament eine ganz grosse Rolle. Luther spricht sehr oft vom Teufel und der Hölle. Der letzte Papst hat in mehreren Veröffentlichungen eindeutig gesagt, dass die Lehre von den ewigen Höllenstrafen unaufgebbar ist.» Da stelle sich natürlich die Frage, welche Handlungen bestraft würden. Etwa nach traditioneller katholischer Morallehre «jeglicher vorehelicher oder ausserehelicher Sexualkontakt». Und Hoerster fragte sarkastisch: «Ist das nicht etwas übertrieben – ewige Höllenstrafen für einen vorehelichen Sexualakt?»

Einen Lobgesang auf die Hölle wollte freilich auch Pfleiderer in der heutigen Zeit nicht anstimmen. Dabei tanzte er auf Eiern: «Die Hölle ist erstens repressiv. Das hängt mit diesem sanktionierenden Gott zusammen. Die Glaubenden sollten eigentlich aus freien Stücken und gerne und weil sie sich von Gott angenommen wissen, moralisch handeln, und nicht aus Furcht vor Höllenstrafen». Das andere Problem mit der Höllenvorstellung sei, «dass die Glaubenden auch keine Schadenfreude haben sollten, dass andere in der Hölle schmoren». Das seien «im Kern problematische und unchristliche Vorstellungen.»

Aber der Ton liege in der christlichen Jenseitslehre «nicht auf der Gleichberechtigung von Himmel und Hölle». Die Hölle sei «der Kontrast, mit dem sich die Glaubenden nicht so intensiv beschäftigen sollten.» Wie intensiv die Beschäftigung mit der Höllenqual im Idealfall zu sein hat, liess der Theologe wohlweislich offen. Vielleicht ergibt sich daraus ein zukünftiges Forschungsthema für den Schweizerischen Nationalfonds.

Wieso haben die Religionslosen keine Sternstunde?

Auf diesem Hintergrund stellen sich zur Sternstunde Religion ganz grundsätzliche Fragen: Wieso haben die Religionen – insbesondere die christlichen – einen so prominenten Platz im Schweizer Fernsehen? Während die Religionslosen unter die Sendegefässe der Sternstunde Kunst und Philosophie subsummiert werden.

Laut Bundesamt für Statistik gab es Ende 2010 in der Schweiz 20,1 Prozent Konfessionslose, mit stark steigender Tendenz. Zum Vergleich: 38,6 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer sind römisch-katholisch, 28 Prozent evangelisch-reformiert und 4,5 Prozent islamisch. Deshalb ist es an der Zeit, dass die Sternstunde Religion aufgehoben und in die Sternstunde Philosophie integriert wird.

Die oben geschilderte Sternstunde Religion ist der beste Beweis dafür, dass die Religion in die Sternstunde Philosophie gehört. Aber erstaunlicherweise hat sich die Theologie auch in der Sternstunde Philosophie eingenistet: Beispielsweise Norbert Bischofberger, der Redaktionsleiter aller Sternstunden (Philosophie, Kunst, Religion) und Gesprächsleiter der «Sternstunde Philosophie», ist Theologe. In seinem Porträt auf der SRF-Internetseite jedoch bleibt das unerwähnt. Erst aus dem Thema seiner Dissertation erkennt man seine akademische Herkunft: «Werden wir wiederkommen? Der Reinkarnationsgedanke im Westen und die Sicht der christlichen Eschatologie».

Theologen sollen ihre privilegierten Plätze räumen

Dasselbe Problem stellt sich auch in diversen Ethikkommission, beispielsweise der Eidgenössischen Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich (EKAH), deren Mitglieder vom Bundesrat gewählt werden und deren Präsident erstaunlicherweise der evangelische Theologe Georg Pfleiderer ist. Neben Pfleiderer sitzt auch der Theologe Markus Arnold in der EKAH, der Studienleiter am religionspädagogischen Institut der Universität Luzern ist. Laut Angaben auf der EKAH-Internetseite hat der frühere Präsident der CVP Zürich keine Interessenbindungen.

Früher oder später werden auch die anderen Religionen eine angemessene Vertretung in den Ethikkommissionen fordern. Es ist deshalb an der Zeit, dass die christlichen Theologen ihre privilegierten Plätze in den Ethikkommissionen räumen. Einerseits um ein zukünftiges theologisches Jekami zu verhindern und andererseits die Gleichberechtigung mit den Religionslosen herzustellen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Kurt Marti ist Journalist und wohnt in Brig-Glis. Er ist mit dem Schriftsteller und Pfarrer Kurt Marti nicht verwandt.

Zum Infosperber-Dossier:

srf_nur_logo11

Kritik von TV-Sendungen

Fehler passieren überall. Beim nationalen Fernseh-Sender sind sie besonders ärgerlich. Lob und Tadel.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

7 Meinungen

  • am 15.04.2013 um 14:04 Uhr
    Permalink

    Früher war es noch schlimmer in diesen Sendungen des Schweizer Staatsfernsehens zugunsten der christlichen Religionen. Als Sprecherin wurde eine verschleierte, wahrscheinlich katholische, Frau eingesetzt (getreu islamischen Vorbildern). Wenigstens das Umfeld sieht heute etwas getarnter aus…

  • am 15.04.2013 um 18:50 Uhr
    Permalink

    Die Sternstunde mit Hoerster und Pfleiderer konnte gar nicht anders ausgehen als zum Nachteil des theologischen Ethikers. Die Theologie kann ja einen säkularen und rationalen Diskurs gar nicht durchhalten, bewegt sich die theologische Rede doch typischer Weise auf der Ebene von Mythen und Metaphern, Erzählungen, Gleichnissen, Poesie, deren säkulare Substanz erst geklärt werden müsste.
    Es ist der Titel der Sternstunde selbst, die den Etiker in die Falle lockte. «Macht Religion die Menschen moralisch besser?» In der Frage steckt das Vorurteil, dass es Funktion der Religion sei, den Menschen besser zu machen. Die postmoderne Philosophie (Derrida, Vattimo etc) haben dieses Vorurteil längst entlarvt. Es hält sich nur, weil die christlichen Kirchen weithin als «Gewissen» der Gesellschaft gehandelt werden. Darum die Theologen in den Ethikkommissionen.
    Vormoralisch liest es sich anders: Jesus und sein Evangelium stehen für eine bestimmte Vision von Menschlichkeit des Menschen. Darüber liesse sich diskutuieren. Aber dies ist nur möglich, wenn der Begriff «Theologie» selbst nicht auf Ethik reduziert wird, sondern als Oberbegriff von historisch-kritischer Bibelforschung, von Hermeneutik, Religionsphilosophie, Religionssoziologie, Religionspsychologie und was der vielen Fächer mehr sind, welche die Funktion von Religion ergründen.

  • am 15.04.2013 um 20:33 Uhr
    Permalink

    Bei der «verschleierten, wahrscheinlich katholischen Frau» (Zitat R. Raess) handelte es sich um Sr. Ingrid Grave, die dem Orden der Dominikanerinnen angehört und welche damals die Sternstunde Religion moderierte. Der Schleier in diesem Kontext hat eine etwas andere Bedeutung und Genese als es im Islam der Fall ist …

  • am 15.04.2013 um 21:16 Uhr
    Permalink

    Mit Ihrer Auskunft, Frau Gisler Fischer, kann ich wenigstens annehmen, dass diese Person nicht zu den SchlägerInnen von Immensee gehört hat… zudem hoffe ich, dass in diesem Fall «nomen nicht omen» ist.

  • am 15.04.2013 um 23:51 Uhr
    Permalink

    "SchlägerInnen in Immensee"; -das tönt nicht gut. Haben Sie da etwa schlechte Erfahrungen gemacht?

  • am 16.04.2013 um 00:46 Uhr
    Permalink

    Das ist ja wieder eine absurde Folgerung ad hominem: Weil ein Theologe die Kritik eines Philosophen nicht parieren konnte, gehöre die Religion in die Sternstunde Philosophie. Wenn schon, müsste der Autor fordern, dass die Sternstunde Religion aufgehoben wird und die Philosophie unangetastet bleibt. Leider können heute viele Leute nicht mehr logisch denken.

    Dass Herr Bischofsberger Theologe ist, tut nichts zur Sache, solange er seine Kompetenzen unter Beweis stellt. Als solcher lernt man genauso argumentieren wie als Philosoph. Konsequenterweise müsste man dann auch beanstanden, dass Frau Gentinetta, die zum Ökonomen-Filz gehört, in der Philosophie befangene Meinungen kundtut.

  • am 16.04.2013 um 14:49 Uhr
    Permalink

    Der Begriff «Menschenwürde ist KEINE «Leerformel» ; ganz sicher nicht im Vergleich zum poltisch leicht missbrauchbaren Begriff «Menschenrecht", in dessen Namen immer wieder Geschichtsmanipulationen, Strafaktionen und Grossbverbrechen durchgeführt werden.

    Als Beispiel betreffend Menschenwürde, eine Stelle von Jaques Vergès, aus seinem Journal 2003-2004, Plon : De Gaulle qualifiait les combattants du FLN de «braves", le général Myers qualifie les combattants de irakiens de Falluja de «rats". Il y a deux visions du monde.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...