Ruuuuhe! Spielende Kinder nerven ältere Menschen
Deutschland hat im letzten Jahr den Kinderlärm gesetzlich geschützt und damit einer Welle von Gerichtsklagen gegen Kinderspielplätze und -Tagesstätten ein Ende gesetzt. Nun verlangen Aktivisten in der Schweiz eine ähnliche Gesetzesreform. Okaj, die Dachorganisation der Schweizer Jugend- und Kindervereinigungen mit Sitz in Zürich, fordert eine Änderung der Lärmschutzverordnung, damit Kinderlärm nicht mehr einklagbar wäre. «Wir verlangen, dass öffentliche Plätze als Ausbildungsräume betrachtet werden», sagt Ivica Petrusic von Okaj: «Was dort geschieht, ist für die gesamte Entwicklung der Kinder und jungen Leute wichtig. In diesen Räumen erfahren sie, wie die Gesellschaft funktioniert, wie man sich verhalten muss und wo sich die Grenzen befinden», sagt er.
Für Petrusic und seine Kollegen geht es darum, gegen die zunehmende Intoleranz bei diesem Thema Position zu beziehen. »Jeder Konflikt, der auf öffentlichem Grund entsteht, wird immer als negativ empfunden. Darunter leiden meistens die Kinder und Jugendlichen. Sie werden vertrieben, erhalten Zutrittsverbote, und unter 16-Jährige dürfen sich nach 22 Uhr nicht mehr draussen aufhalten. Diese Entwicklung beunruhigt uns.» Nächtliche Ausgehverbote für unter 16- oder unter 14-Jährige wurden in einigen Schweizer Gemeinden eingeführt, darunter in Biel, Interlaken und Kehrsatz im Kanton Bern, sowie im aargauischen Zurzach.
Gericht hiess Lärmklage gut
Zwei Mitglieder des Zürcher Kantonsparlaments, Philipp Kutter (CVP) und Johannes Zollinger (EVP) reichten bei der Regierung die Frage ein, ob das Spielen der Kinder ausreichend geschützt sei. »Kinder und Jugendliche werden von ihren Treffpunkten und Spielplätzen auf öffentlichem Grund verdrängt», beklagen sie in ihrem Vorstoss. «Kinder werden (…) bei ihren rekreativen Aktivitäten mehr und mehr eingeschränkt. Spielplätze werden abends geschlossen, rechtliche Massnahmen werden ergriffen, um dort das Fussballspielen zu beschränken oder ganz zu verbieten.»
Die Kantonspolitiker beziehen sich unter anderen auf einen Fall in Wädenswil (ZH), wo das Gericht eine Lärmklage von Bewohnern guthiess und verfügte, dass die Tore auf dem Schulsportplatz an Wochenenden derart angekettet werden müssen, dass die Kinder nicht mehr in Richtung der Wohnhäuser Fussballspielen können.
In ihrer schriftlichen Antwort auf den Vorstoss teilte die Regierung mit, dass keine Änderungen möglich seien. Das Lärmschutzrecht sei auch auf Treffpunkte und Spielplätze junger Leute anwendbar. Eine gesetzliche Regelung, bei der Kinderlärm nicht mehr als störend zu betrachten wäre, lasse sich nicht auf kantonaler Ebene einführen. Petrusic erkennt darin einen Widerspruch: «Einerseits verlangt die Gesellschaft im Kampf gegen Übergewicht einen gesünderen Lebensstil der Kinder, also aktive junge Leute. Andererseits beschränkt sie den Spielraum dort, wo die Aktivitäten ausgetragen werden.»
Klagen aus Wohngebieten dominieren
Im Frühling, in dem sich die Menschen jeden Alters wieder öfters im Freien aufhalten werden, rüsten sich die kantonalen Umweltämter gegen eine Flut von Lärmklagen. Unter diesen Störungen figuriere regelmässig der Kinderlärm, sagt Markus Chastonay vom Cercle Bruit, der Schweizerischen Vereinigung kantonaler Lärmschutzfachleute. »In der Vergangenheit gab es oft Probleme im Zusammenhang mit Industrielärm, aber jetzt dominieren Klagen aus den Wohngebieten. Das Schweizer Mittelland ist zu einer grossen Siedlung geworden. Wir leben immer dichter beisammen, und die Menschen haben immer weniger Verständnis für die anderen», sagt Chastonay, der beim Solothurner Umweltamt tätig ist.
In einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» sagte Stefan Ritz, Kinder- und Jugendbeauftragter in Dübendorf, es sei fast unmöglich geworden, neue öffentliche Spielplätze einzurichten. «Die Leute setzen alle Hebel dagegen in Bewegung. Vielfach haben sie kein Verständnis», sagt Ritz. Dübendorf hat deshalb einen Bus gekauft, der im Sommer als mobiler Spielplatz eingesetzt wird. Im Umweltschutzgesetz gelten Spielplätze als Freizeitorte, was bedeutet, dass die dort erzeugten Geräusche so weit wie möglich beschränkt werden müssen. Aber es gibt keine Lärmobergrenze, die durchgesetzt werden kann. Bei Rechtsstreitigkeiten wird von Fall zu Fall geurteilt.
Ältere verlangen, dass Kinder gehorchen
Laut Caroline Märki-von Zeerleder von der Familienwerkstatt Familylab, basiert das Problem auf verschiedenen Bedürfnissen und Beziehungen zwischen den Generationen.»Es ist eine Tatsache, dass Kinder laut spielen, und es ist eine Tatsache, dass ältere Leute Ruhe und Ordnung bevorzugen. Die Bedürfnisse sind berechtigt, aber sie passen nicht zu einander. Eine Lösung findet man nur durch einen auf Respekt basierenden Dialog.» Leider geschehe dies nicht oft genug, sagt Märki-von Zeerleder. In Konfliktfällen beobachtet sie häufig einen Willensmangel seitens der älteren Leute, ihre Einstellung den Kindern anzupassen. «Sie vertreten den Standpunkt, dass ihnen aufgrund ihres Alters Respekt gebühre und die Kinder zu gehorchen hätten. Damit stossen sie bei der neuen Generation auf Widerstand, weil sich die Sitten geändert haben.»
Einige Streitigkeiten sorgen für Schlagzeilen in Regionalzeitungen – wie etwa jene über die Montessori-Schule in Zug, deren Erweiterungspläne wegen Einsprachen aus der Nachbarschaft blockiert sind. Die meisten alltäglichen Auseinandersetzungen um Kinderlärm bleiben von der Öffentlichkeit aber unbemerkt. Der ehemalige deutsche Bundespräsident Horst Köhler hatte Kinderlärm einst als «Zukunftsmusik» bezeichnet. Diese Einschätzung teilen aber längst noch nicht alle Leute.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Clare O'Dea arbeitet für das Informationsportal swissinfo.ch, wo dieser Text zuerst erschien. Übersetzung aus dem Englischen: Peter Siegenthaler
Ich gehe mit Horst Köhler einig, Kinderlärm ist Zukunftsmusik. Natürlich ärgere ich mich auch gelegentlich wenn Kinder in der Nachbarschaft laut sind und ich meine Ruhe haben möchte. Ich denke dann: auch ich war einmal ein Kind und wahrscheinlich lärmig.
Dass über Kinder und Kinderlärm so debattiert wird, macht mich, ein 2faches Mami nachdenklich und traurig :(. Kinder sollen doch noch Kinder sein, rumtoben und spielen dürfen; natürlich im gesunden Rahmen und mit Mass. Doch allmählich frage ich mich schon, wohin uns diese kinderunfreundliche/kinderfeindliche Entwicklung/Tendenz hinführen wird, wo Nörgler Kinder und deren Eltern am liebsten aus dem öffentlichen Leben (ÖV, Flugzeug, Hotel, Restaurant,…) verbannen möchten. Wir haben nicht nur 2 wilde und lebhafte Kinder, sondern zum Glück auch sehr liebe, verständnisvolle Nachbarn. Dafür sind wir ihnen sehr dankbar! Unsere Kinder wissen theoretisch, dass sie in der Wohnung, im ÖV, Geschäft und im Restaurant nicht gleich laut sein dürfen wie auf einem öffentlichen Spielplatz. Sonst werden sie von uns anständig ermahnt. Machen Kinder Lärm, so hat das meistens nichts mit mangelnder, falscher oder antiautoritärer Erziehung zu tun, sondern damit, dass Kinder im Hier und Jetzt leben und sich bei Spiel und Spass oft einfach vergessen. Über Nörgler und Kinderlose, die sich über friedlich spielende Kinder aufregen, sich dann aber dennoch „ums Verroden“ ins Familienrestaurant und dort ausgerechnet in die Nähe der Spielecke setzen bzw. in die Nähe eines Kinderspielplatzes ziehen, habe ich kein Verständnis! Als überzeugte Nichtraucherin setzte ich mich früher auch nicht extra im Zug ins Raucherabteil, um dann lautstark und respektlos über die Raucher, das Nikotin und den Gestank abzulästern
Grosse Mühe habe ich auch, wenn Kinder von Erwachsenen respektlos als «Gofen» bezeichnet und wegen Nichtigkeiten angeschnauzt werden. Es darf nicht sein, dass Erwachsene, die als gutes Vorbild und gutes Beispiel vorangehen sollten, von Kindern/Jugendlichen Anstand und Respekt verlangen, ihnen jedoch genau diese für mich ebenfalls wichtigen Werte nicht entgegenbringen. Denn auch gerade Kinder haben trotz mangelnder Lebenserfahrung das Recht auf respekt- und würdevolle Behandlung! Kinder sind unsere Zukunft, die Kunden und Gäste von morgen und können statt Lärm- und Störfaktor eine grosse Bereicherung für alle sein. Was gibt es Schöneres als friedlich spielende, strahlende, lachende, ehrliche und auch mal lärmende Kinder, die pure Lebensfreude versprühen. Wie öde, langweilig und farblos wäre unsere Welt ohne sie! Da könnte sie manch Griesgram eine dicke Scheibe davon abschneiden! Kinder sind ein wichtiger Teil dieser Gesellschaft und gehören in unsere Welt, unser Leben und unseren Alltag. Die Motzer sollen bitte bedenken, dass auch sie mal Kinder waren und nicht bereits als ruhige, brave, stille, lebenserfahrene und wohlerzogene Erwachsene auf die Welt gekommen sind. Mit etwas mehr Mit- und Füreinander statt Gegeneinander, etwas mehr Leben und leben lassen, Toleranz, Respekt, Rücksicht, Akzeptanz, Geduld, Verständnis, Anstand und gesundem Menschenverstand auf allen Seiten sollte einem gemütlichen, friedlichen und harmonischen Zusammenleben eigentlich nichts mehr im Wege stehen!