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Nicht alles, was Interviewte in ein Mikrophon sagen, darf auch genau so gedruckt werden. © evanforester/flickr/cc

Grauzone zwischen Zensur und Kooperation

Peter Hossli /  Das «Gut zum Druck» ist in Medien ein Reizbegriff geworden. Ganze Interviews werden nachträglich umgeschrieben und entschärft.

Der Chef der liberalen Denkfabrik weiss, was zu einer Demokratie gehört. «Fragen Sie mich, was Sie wollen», grüsst Alois Zwinggi im Davoser Alpen-Hotel. Er ist Direktor des Weltwirtschaftsforums, das sich alljährlich im Landwassertal trifft. «Wir haben nichts zu verbergen.» Das Interview verläuft gut, ist ein anregendes und offenes Ping-Pong aus frechen Fragen und kurzen, klaren Antworten.
Bis die Pressesprecherin des Direktors einschreitet: «Wann schicken Sie uns den Text? Wir wollen das Gut zum Druck geben.»
Genau. Pressesprecher verlangen, Interviews abzusegnen bevor sie in den Druck gehen.
Kontrolle über das Publizierte
Häufig ist das Teil der Vereinbarung zwischen Interviewer und Interviewtem. Eine Art Vertrag, der meist noch weiter geht. So sichern sich hochbezahlte Pressesprecher das Recht, ganze gesagte Passagen zu streichen, sie umzuschreiben oder neue hinzuzufügen. Nur unter diesen Bedingungen gewähren sie Interviews mit ihren Chefs. Ihr Ziel: Die absolute Kontrolle über das, was publiziert wird.
Schreibt der Journalist ein Porträt mit Zitaten, genügt es oft nicht mehr, das Gesagte zur Autorisierung vorzulegen. Pressesprecher verlangen den ganzen Text, damit sie zusätzlich Einfluss auf den Kontext ausüben können.
Verträge sind natürlich zweiseitig. Will heissen: Journalisten lassen sich auf solche Bedingungen ein. Sie glauben, sonst keine Interviews zu erhalten. Der abtretende Schweizer Bundesrat Moritz Leuenberger verlangte im Oktober 2010, ein Abschiedsgespräch mit ihm müsse im vorderen Teil der Zeitung erscheinen, nicht im Magazin. Die Journalisten gehorchten – der Medienminister konnte also bestimmen, auf welcher Zeitungsseite das Interview erscheint. «Uns ist die Beziehung zum Pressesprecher wichtig», rechtfertigte sich einer der beteiligten Journalisten.
Medienanwalt: Es gibt keinen Rechtsanspruch
Für den Medienanwalt des Hauses Ringier, Matthias Schwaibold, hat sich die «Unkultur des Gegenlesens zur Hochkultur erhoben». Schuld seien nicht zuletzt die Journalistinnen und Journalisten. Zu oft überlassen sie Pressesprechern die Hoheit über ihre Texte. «Es schleicht sich ein Rechtsanspruch aufs Gegenlesen ein», sagt Schwaibold. Einen solchen aber gibt es juristisch nicht.
Das Interview mit WEF-Direktor Zwinggi war längst gelayoutet, die Schlagzeile gesetzt, als die revidierte Fassung zurückkommt. Prompt hat die Pressesprecherin die kernigste Aussage gestrichen: «Wir wollen keine Stars am WEF.»
Es folgte eine Verhandlung, der sich Journalisten selten stellen. «Herr Zwinggi war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob er das wirklich in der Zeitung lesen möchte», erklärte die Pressesprecherin die Streichung. Er sagte es so, erwidere ich. «Ja, das stimmt», sagt sie. Wir drucken, was er gesagt hat. Die Pressesprecherin schluckt leer. «Ich melde mich.» Fünf Minuten später ruft sie zurück, lässt das Zitat stehen. Offenbar besann sich Zwinggi auf sein Grusswort – «Sie können fragen, was Sie wollen» – und setzte sich über die Pressesprecherin hinweg.
Erfahrung mit dem CS-Kommunikationschef
An einem Morgen am WEF in Davos, mitten im Kongresszentrum. Ein Ort, wo oft spontane Interviews entstehen. Mitten im Raum steht leger der VR-Präsident der Credit Suisse, Urs Rohner. «Guten Tag, wir sind Journalisten der Blick-Gruppe, würden Sie gerne befragen», stellen eine Kollegin und ich uns vor, halten je ein Aufnahmegerät hin. «Legen Sie los, ich habe wenig Zeit», sagt Rohner. Eine erste, eine zweite, eine dritte Fragen. Die sechste ist kritisch. «Wann ist der Steuerstreit mit den USA gelöst?» Der CS-Präsident beantwortet sie nicht, verabschiedet sich, steht ein paar Sekunden später aber wieder vor den Mikrofonen: «Letztlich kann man jedes Problem lösen.» Das Interview ist im Kasten. Am nächsten Tag steht es in der Zeitung, wie das Band es wiedergibt.
Drei Wochen später meldet sich der Kommunikations-Chef der Bank. «Es geht nicht, dass Sie Urs Rohner so überfallen.» – «Das war kein Überfall, sondern ein Interview am WEF, wir haben das deklariert, alles ist auf Band.» – «Konnte er das Gespräch gegenlesen?» – «Er hat nicht danach gefragt.» – «Das ist eine Schelmenausrede.»
In den USA gilt das gesprochene Wort
Nicht aus Sicht von Medienanwälten. Wer nicht ausdrücklich fragt, hat kein Recht aufs Gegenlesen.
Eine andere Begegnung am WEF zeigt eine andere Kultur. Zufällig geht der US-Milliardär und Computer-Fabrikant Michael Dell über die Strasse. «Guten Tag, Mister Dell, haben Sie Zeit für ein kurzes Interview?» – «Natürlich, leider habe ich meinen Mantel drinnen gelassen, allzu lange halte ich es in dieser Kälte sicher nicht aus.» Er gibt Auskunft, verabschiedet sich. Das Interview erscheint am nächsten Tag. Niemand regt sich auf.
Zwölf Jahre lang war ich Korrespondent in den USA. Nie musste ich ein Interview zur Autorisierung vorlegen, nie hat sich jemand beschwert über ein Gespräch. Es gilt das gesprochene Wort. Journalisten schreiben, was sie hören. Interviewte stehen zu dem, was sie sagen. Es braucht keinen Vertrag. Alle verhalten sich wie Profis – und wehren sich, wenn das nicht mehr stimmt.
Unter US-Präsident Barack Obama jedoch hat sich das Absegnen von Zitaten eingeschlichen. So geben Mitglieder seines Kabinetts kaum Interviews, ohne sie gegenlesen zu dürfen.
«New York Times» verbietet Veränderungen
Dagegen wehrt sich die weltweit wichtigste Zeitung. Die «New York Times» verbietet ihren Journalisten seit September 2012 partout, Zitate vor der Publikation von Gesprächspartnern gegenlesen und verändern zu lassen – weil die Praxis «zu viel Kontrolle über den journalistischen Inhalt in die falschen Hände» lege, begründete die «New York Times»-Chefredaktorin Jill Abramson die neuen Richtlinien. Es bestehe das Risiko, «dass unsere Leser den falschen Eindruck haben, wir gäben die Kontrolle über eine Geschichte unseren Informanten ab.»
Reporter der «New York Times» müssen Interviews ablehnen, wenn Pressesprecher das Gut zum Druck geben wollen. Sie nehme in Kauf, «Interviews nicht zu erhalten», sagte Abramson. Es sei denn, es handle sich um wirklich wichtige Informationen zur Sicherheit des Landes.
Die Kontrolle der Berichterstattung müsse bei den Journalisten liegen, sagt Abramson. «Reporter dürfen nicht zu Bittstellern werden.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Peter Hossli ist Autor und Reporter bei der Blick-Gruppe. Sein Text erschien zuerst im Ringier-Unternehmensmagazin DOMO.

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2 Meinungen

  • am 31.03.2013 um 17:24 Uhr
    Permalink

    Interessante Darstellung. Allerdings gilt auch das Umgekehrte: Gewisse Journalisten verdrehen Aussagen so lange, bis sie eine markige Schlagzeile hergeben oder reissen Dinge bis zur Unkenntlichkeit aus dem Kontext. Da habe ich Verständnis, wenn Interviewte einen Text gegenlesen wollen.

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