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Heuchelei als tödliches Verhängnis: Economiesuisse-Präsident Rudolf Wehrli. © SRF

Am Grab des achten Bundesrats

Christof Moser /  Economiesuisse war das einflussreiche Regierungsmitglied des Grossbürgertums. Das Ja zur Abzocker-Initiative ist sein Tod.

Das Ja zur Abzocker-Initiative hat dem Wirtschaftsdachverband Economiesuisse das Genick gebrochen. Der achte Bundesrat, als der die Economiesuisse bezeichnet wird, verstarb im Amt, aber nicht in Würden.

Die Leichenfledderei setzte bereits zu Lebzeiten ein. Noch in der Woche des letzten Atemzugs drohte der Uhrenverband mit Austritt aus dem Verband. Am Sterbebett polterte Swatch-Chef Nick Hayek: «Die Abgehobenheit der Economiesuisse-Funktionäre und die Distanz zu den echten Problemen des Werkplatzes Schweiz sind immer offensichtlicher und grösser geworden. Was wir brauchen, sind glaubwürdige Vertreter, keine Funktionäre einer Lobby, die nur die Teppichetagensprache sprechen.»

Ein einsamer Tod

Der achte Bundesrat: Er stolperte ausgerechnet über eine Auffaltung im Stoff, der die Teppichetage gegen den harten Boden der Realität abfedert: Filz. Der Bundesrat der Wirtschaft regierte zuletzt konfus, hatte sich von seiner Partei, der FDP – oder war es die SVP? – entfremdet und starb einen einsamen Tod. Seine Freunde bleiben gelangweilt von seinem langsamen Tod am Ende selbst der Kranzniederlegung fern.

Dabei zählte der achte Bundesrat bis vor Kurzem zu den mächtigsten Instanzen im Land, wie auch die Kirchen oder die Armee vor ihren Burn-outs. Als Einflüsterer beliebt, als Gegner gefürchtet, sass er über ein halbes Jahrhundert lang in der Regierung. Und lenkte die Schweiz nach Belieben.

Wer für den Schattenminister arbeitet, wird zur Marionette

Der achte Bundesrat und sein Stab (73 Angestellte, sechs Lobbyisten im Bundeshaus, Jahresbudget: 18 Millionen Franken) setzten dafür zuletzt auf einfache Rezepte, die mehr oder minder funktionierten. Bewährt hatten sich Millionen-Kampagnen vor wichtigen Abstimmungen. Und Politiker, die ihren Instruktionen folgten. Sie alimentierten Komitees der Parteien und steuerten so die politische PR. Wer mit ihnen zusammenarbeitete, agierte als Marionette. «Als wir dazukamen, stand die Kampagne. Wir hatten kaum Einfluss darauf. Ich weiss auch nicht, wie teuer sie ist», sagt zum Beispiel BDP-Präsident Martin Landolt, der vor der Abzocker-Abstimmung, dem letzten Amtsgeschäft des Schattenmagistraten, das Nein-Komitee der Parteien präsidierte.

Das Engagement gegen dieses Volksbegehren könnte auch als Freitod des achten Regierungsmitglieds gewertet werden. Im Kampf gegen die Abzocker-Initiative spiegelte sich die Verlogenheit des achten Bundesrats wie unter einem Vergrösserungsglas tausendfach auf Plakaten mit der tapezierten Botschaft: «Abzockerei sofort stoppen!» Effizienter hätte man die Glaubwürdigkeit des achten Bundesrats nicht zertrümmern können.

Economiesuisse als zweiter SVP-Bundesrat

Der Schattenmagistrat hatte jahrelang Massnahmen gegen die Abzockerei in den eigenen Reihen verhindert und verwässert. Einer seiner wichtigsten Sprecher, Economiesuisse-Präsident Rudolf Wehrli, war als Präsident des Chemiekonzerns Clariant verantwortlich dafür, dass der Konzernchef 2012 ein Jahresgehalt von über sieben Millionen Franken bezog. Adecco-Präsident Rolf Dörig, ebenfalls ein Mitarbeiter seines Stabs, sicherte sich 2009 für den Fall einer Abwahl oder seines Rücktritts 1,8 Millionen Franken Entschädigung, auf die er dann unter Protest verzichten musste. Seine Heuchelei, die Heuchelei seines Stabes, wurde dem achten Bundesrat zum tödlichen Verhängnis.

Erste Schwächen zeigte Economiesuisse bereits Anfang der Neunzigerjahre. Schnoddrig kanzelte die Wirtschaftselite in der EWR-Abstimmung 1992 die Sorgen der Bevölkerung ab und beförderte damit ihren politischen Rivalen Christoph Blocher zum Volkstribun und schliesslich in den Bundesrat. Um sich die Macht im Land zu erhalten, musste die damals freisinnig dominierte Wirtschaftselite nach dem EWR-Nein Blocher umarmen. Aus dem einst aus dem Verwaltungsrat der Schweizerischen Bankgesellschaft SBG vertriebenen SVP-Lenker wurde der wichtigste politische Partner des geschwächten Schattenmagistraten. Gleichzeitig entfremdete sich die Wirtschaftslobby von der FDP. Economiesuisse wurde zum zweiten Bundesrat der SVP.

Pascal Gentinetta, geschäftsführender Direktor im Stab des achten Bundesrats und sein zweiter gewichtiger Sprecher, unterstützt im Nationalrats-Wahlkampf 2011 demonstrativ SVP-Banker Thomas Matter, einen Gegner der Personenfreizügigkeit und Hardliner in Sachen Bankgeheimnis. Im Sommer 2011, wenige Wochen vor den Wahlen, als der achte Bundesrat am Mittwoch der ersten Sessionswoche an der Spitalgasse 4 in Bern zu seinem traditionellen Empfang lud, war nur ein FDP-Mitglied anwesend: Alt-Nationalrat Pierre Triponez, Ex-Direktor des Gewerbeverbands.

Das Fundament der Schweiz: mit Filz unterfüttert

Der Parteiwechsel des achten Bundesrats markiert auch das Ende des FDP-Filzes, wie der Volksmund die jahrhundertealte Verflechtung von Politik und Wirtschaft nennt, mit dem das Fundament der Schweiz seit der Staatsgründung unterfüttert ist.

Als die Verfassung von 1874 das fakultative Referendum einführte, wurde damit der Verbandsdemokratie als ausserparlamentarischer Gruppe direkter Einfluss auf die Gesetzgebung eingeräumt. Gewerbeverband, Gewerkschaftsbund und Bauernverband entstanden. Die kantonalen Handelskammern, die sich um die Exportförderung kümmerten, schliessen sich zum Schweizerischen Handels- und Industrieverein zusammen: dem «Vorort». Verkörpert durch seinen Direktor, der ein Büro im Bundeshaus bezieht, wird der «Vorort» während des Zweiten Weltkriegs zum achten Bundesrat. Der Wirtschaftsartikel von 1947 schreibt den Einbezug der Wirtschaftsverbände in die staatliche Wirtschaftspolitik gar in der Verfassung fest. Der achte Bundesrat hat seinen Sitz auf sicher und ist auf dem Höhepunkt seiner Macht.

Der Filz – ein Erbe von Alfred Escher

Seinem Stab gehören Wirtschaftsgrössen an wie Peter Spälti, Ulrich Bremi, Fritz Gerber, Robert A. Jeker oder Rainer E. Gut, die als Zürcher Freisinn vollendeten, was der Industrielle und Eisenbahnpionier Alfred Escher vor seinem Tod 1882 initiierte: die Machtkumulation aus Politik, Wirtschaft und Armee als achter Bundesrat in die Regierung zu tragen. Daraus wurde in den letzten Jahren seiner Amtszeit politischer Einfluss ohne politische Verantwortung. Seine Macht war ihm zu Kopf gestiegen.

Zunächst jedoch begünstigte der Boom der Nachkriegsjahre die soziale Marktwirtschaft, was das Vertrauen der Bevölkerung in den Schattenbundesrat stärkte. Seine innenpolitische Einflussnahme war breit akzeptiert. Was er in die Debatte einbrachte, hatte Gewicht. Die Linke zerschellte jahrzehntelang an seinem Einfluss. Sein Selbstbewusstsein wuchs. Die Wirtschaftsförderung Wf entstand, die der Wirtschaft als Lobby- und Marketingorganisation ermöglichen sollte, jederzeit Abstimmungen zu gewinnen.

Im Jahr 2000 wurden Vorort und Wf zur Economiesuisse fusioniert. Dem Unterstützungskomitee des achten Bundesrats gehören 100 Branchenverbände, 20 kantonale Handelskammern und 3000 Unternehmen mit 1,5 Millionen Beschäftigten an, darunter Nestlé, Google, Novartis, Philip Morris oder Transocean.

Anweisungen für Stimmverhalten von Politikern

Wie der achte Bundesrat für seine Interessen lobbyierte, deckten Viktor Parma und Oswald Sigg in ihrem Enthüllungsbuch «Die käufliche Schweiz» auf, der inoffiziellen Biografie des Schattenministers: Jeweils vor den Sessionen schickte die «Gruppe Handel und Industrie», die parlamentarische Hausmacht des Magistraten, der mit 130 Parlamentariern mehr als die Hälfte des Parlaments angehören, Anweisungen für das detaillierte Stimmverhalten im Interesse der Wirtschaft an die National- und Ständeräte. Die Anliegen werden nach Dringlichkeit abgestuft. Mit einem Stern versehen sind sie «wichtig», mit zwei Sternen «sehr wichtig» und mit drei «absolut vital».

2003 gelingt dem achten Bundesrat und seinem Stab der letzte grosse Coup. Mit der Wahl von Christoph Blocher und Hans-Rudolf Merz in die Regierung verhelfen sie den Rechten zum politischen Durchbruch. Die Abwahl von CVP-Bundesrätin Ruth Metzler wird aktiv betrieben. Der damalige UBS-Chef Marcel Ospel, der auch als Kassier von Economiesuisse amtete, bot ihr eine Stelle in der Privatwirtschaft an für den Fall, dass sie das Feld freiwillig räume. Der geschwächte achte Bundesrat der Wirtschaft brauchte dringend Mehrheiten in der Regierung.

Die Marionetten beginnen zu widersprechen

Doch seine Steuergesetze und die 10. AHV-Revision wurden an der Urne versenkt. Seine Unternehmenssteuerreform, die den Bund bis heute Milliarden kostet, obwohl der Bevölkerung versprochen worden war, es würde kaum Steuerausfälle geben, hat das Vertrauen in ihn weiter untergraben. Der achte Bundesrat – gewohnt, zu agieren, nicht zu reagieren – wird vom AKW-Gau in Fukushima überrumpelt, beschwört wirre Katastrophenszenarien nach dem angestrebten Atomausstieg und provoziert mit seiner Verbissenheit im Angesicht seines Niedergangs den Widerspruch von Politikern, die bisher an seinen Fäden tanzten. Der Schattenbundesrat der Wirtschaft gerät ins Licht der Öffentlichkeit. Davon sollte er sich nie mehr erholen.

Am 3. März 2013 stolpert der achte Bundesrat – geblendet, gebrechlich und verwirrt – über die Abzocker-Initiative. Das Volk verlangt mit 67,9 Prozent Ja-Stimmen ein Ende der Gehaltsexzesse. Der Bundesrat der Wirtschaft verliert in seinem politischen Kernthema. Mit seinem Tod beginnt das Rennen auf seinen Sitz in der Regierung. Erstmals seit der modernen Staatsgründung 1848 ist die Position des Schattenministers vakant. Das Primat der Politik über die Wirtschaft, von der Schweizer Bevölkerung eindrucksvoll eingefordert, wird nicht von langer Dauer sein.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Text erscheint im Strassenmagazin "Surprise", erhältlich ab Freitag beim Strassenhändler des Vertrauens.

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7 Meinungen

  • am 13.03.2013 um 14:54 Uhr
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    Der Moser wird immer besser! Grandioser Abriss!

  • am 13.03.2013 um 16:37 Uhr
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    Herr Moser hat nichts begriffen. Die Schweiz wird seit Jahren durch ein linkes Parlament und einen linken Bundesrat regiert. Das Land wird immer sozialistischer, vom Gewerkschaftsfilz redet niemand. Diese Entwicklung ist durchaus im Sinne der Grossfinanz mit ihren Söldnern als Managern. Gemeinsam werden sie nun daran gehen den Mittelstand zu ruinieren. Vorbild für diese Entwicklung ist die USA und die EU. Nur so kann die «neue Weltordnung» errichtet werden. «1984» ist dann das Endziel.

  • am 13.03.2013 um 18:46 Uhr
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    Es gibt viele Verschwörungstheorien, diese ist aber die lächerlichste, Charlotte Heer Grau! Ich habe heute im Nationalrat die Diskussion zur Einbürgerung verfolgt. Ihr ultrarechten habt auf der ganzen Linie zugeschlagen!

  • am 13.03.2013 um 18:51 Uhr
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    Guter Herr Salzmann – vielleicht lesen Sie genauer, wer was geschrieben hat, bevor Sie scharf schiessen, o.k.?

  • am 14.03.2013 um 10:21 Uhr
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    Ja, sorry, Frau Heer Grau, meine Wut richtet sich gegen den Kommentar von Herrn Hertig. Scharf schiessen wollte ich allerdings nicht.

  • am 14.03.2013 um 20:16 Uhr
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    besten Dank Herr Salzmann, Ihre Wut bestätigt, dass ich gut getroffen habe. Unangenehmes wird gerne als Verschwörungstheorie abgetan. Ich beobachte und bilde mir meine eigene Meinung ohne ideologische Scheuklappen.

  • am 19.03.2013 um 21:56 Uhr
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    Dass die Wirtschaft in der Politik und auch im Bundesrat schon lange eine grosse – nicht einfach fassbare Rolle spielt, war mir klar. Die Bezeichnung «Achter Bundesrat» und «Schattenregierung» zeigt eine graue Eminenz auf, die nicht zu unterschätzen ist. Ich bezweifle einzig, dass die Annahme der Abzockerinitiative tatsächlich den TodderEconomiesuisse bedeutet. Sicher ist, dass die Gewerkschaften ihre Böden eher mit Sacktuch, als mit Filz polstern, und von einer linken Regierung kann nicht die Rede sein. Was wir brauchen, ist eine Regierung, die in allererster Linie Verantwortung übernimmt für uns, die sich von einseitigen Wirtschaftsinteressen unabhängig macht und die sich nicht durch Reichtum korrumpieren lässt. Danke für die spannenden Gedanken im Artikel.

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