Aline Trede: kaum vereidigt, schon am Rednerpult
Man erinnert sich: Neulinge im Nationalrat hielten sich früher respektvoll zurück, erkundeten in ihrer ersten Session Umgang und Sitten des Hauses. Sie hörten zu und stellten Fragen. In der zweiten Session reichten die Ungeduldigen in Absprache mit der Fraktion den ersten Vorstoss ein und traten allenfalls das erste Mal vors Mikrophon – auch das kam eher selten vor, denn es wurde nicht überall im Parlament goutiert.
Tempi passati. Die stillschweigende Übereinkunft quer durch alle Fraktionen, dass sich neue Ratsmitglieder erst mal zurücknehmen sollen, gilt nicht mehr. Bisheriger Höhepunkt dieser Entwicklung: der erste Tag der Frühlingsession 2013. Ratspräsidentin Maya Graf (Grüne) vereidigt am Montag zuerst vier neue Ratsmitglieder, alles Frauen, darunter die Berner Grüne Aline Trede (29). Sie ist Umweltwissenschaftlerin, ehemalige Berner Stradträtin (Legislative) und war Vizepräsidentin der Grünen (2008-2012).
Erster Auftritt und gleich Fraktionssprecherin
Schon beim ersten Sachgeschäft – es geht um die Autobahnvignette, für die der Ständerat 100 Franken verlangen will – eilt sie ans Mikrophon, um vor dem Plenum im Namen der 17-köpfgen Fraktion ihren ersten Wortbeitrag abzuliefern. Das ist in der Schweizer Parlamentsgeschichte rekordschnell. Respekt vor den Gepflogenheiten des Hauses? Geschenkt. Und wie wichtig war der Beitrag, dass die Grünen Trede ans Pult schickten, was nicht ein etabliertes Mitglied der Fraktion ebensogut hätte sagen können? Das Ratsprotokoll hält die Jungfernrede Tredes fest. Sie geht so:
«Im Bahnbereich sind die Weichen momentan richtig gestellt: Wir haben gute Lösungen auf dem Tisch, wie die Volksinitiative «für den öffentlichen Verkehr» oder auch Fabi zeigen. Aber im Strassenverkehr geht es unserer Meinung nach nicht in die richtige Richtung, da müssen wir die Weichen noch ein bisschen enteisen. Strassen müssen zwar unterhalten werden, aber es braucht kein neues Strassenbauprogramm. Die grüne Fraktion ist klar der Meinung, dass das Nationalstrassennetz nicht weiter ausgebaut werden soll. Selbstverständlich wollen wir einen guten Unterhalt, aber mit der Erhöhung des Vignettenpreises auf 100 Franken würden wir Geld auf Vorrat erheben und es in den Ausbau des Nationalstrassennetzes stecken, nicht nur in den Unterhalt. Ein Beispiel ist die Zürcher-Oberland-Autobahn: Wir alle wissen, dass diese momentan nicht gebaut wird, also braucht es da keine weiteren Mittel. Für Unterhalt und Fertigstellung reicht ein Vignettenpreis von 70 Franken; das kann man heute aufgrund der verfügbaren Zahlen sehr genau abschätzen. Solange das Geld zweckgebunden in den Strassenbau fliesst, muss der Vignettenpreis unter 100 Franken liegen. Um aber einer Einigung einen Schritt näher zu kommen, wird die grüne Fraktion dem Kompromissantrag der Kommissionsminderheit II auf 80 Franken unterstützen. Sollte der Antrag auf 70 Franken obsiegen, werden wir diesen dem Antrag der Kommissionsmehrheit vorziehen.»
Zweimal in der Tagesschau
Die Grünen unterlagen knapp, der Nationalrat folgte mit 94:91 Stimmen Bundesrat und Ständerat, die Vignette wird 100 Franken kosten. Trede hatte in der Hauptausgabe der Tagesschau von SRF doppelte Präsenz: einmal als neu vereidigtes Mitglied, das zweite Mal als Rednerin. Das wird ihrer Bekanntheit im Hinblick auf den 20. April nicht schaden. An diesem Datum haben die VCS-Delegierten eine neue Präsidentin zu wählen: Aline Trede kandidiert für den Sitz der abtretenden Parteikollegin Franziska Teuscher. Ihre Konkurrentin ist die Berner SP-Nationalrätin Evi Allemann. Schickten darum die Grünen ihre Neue wenige Minuten nach der Vereidigung erneut ins Scheinwerferlicht?
Wie immer. Trede teilte ihren Auftritt samt Bild auf Twitter so mit: «Mein 1. Votum im Nationalrat» – Claudio Kuster, Assistent Thomas Minders als Antreiber der Abzocker-Initiative zwischtscherte daraufhin: «Meine Heldin des Tages – die frisch vereidigte Nationalrätin Aline Trede bereits 15 Min später vors Mikro!»
So schnell wird man heute zur Heldin. Wenn das kein Kompliment ist!
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Autor war von 1987 bis 1995 Bundeshausredaktor der SonntagsZeitung.
Also ich sehe nicht ein, warum sich Neulinge an verkrustete stillschweigende Übereinkünfte halten sollen. Ich finde es gut, wenn Fraktionen die Neuen von Anfang an einbeziehen und ihnen Verantwortung übergeben. Haben die Etablierten Angst, ihre neuen, hungrigen Kollegen könnten ihnen die Show stehlen oder den Rang ablaufen? Eine andere Begründung für solche ungeschriebenen Gesetze fällt mir nicht ein.
vielleicht eine Frage der Kinderstube, sicher eine Frage der Klugheit. Es hat noch nie geschadet an einem neuen Ort zuerst ein wenig schauen und hören wie das läuft. Das muss nicht unbedingt ein Jahr dauern. Es gibt halt Menschen die gewisse Feinheiten im Umgang weder verstehen noch respektieren. Damit kann man im NR sicher umgehen. Was mich irritiert ist das Sendungsbewusstsein der Dame in dem auch eine Ideologie zu Tage tritt. Ideologien gleich welcher Art bringen immer Unheil.