Kulturradio oder Spartensender
Mich freut, dass mein Beitrag zur Entwicklung von SRF 2 Kultur Leserinnen- und Leserkritik gefunden hat. Eine Plattform wie Infosperber ist ja unter anderem auch dafür geschaffen . Das gibt mir Gelegenheit, die eine oder andere Überlegung und Begründung nachzureichen, auch wenn und gerade weil wir uns nicht einig sind und wohl auch nicht einig werden. Ich hatte ja eine Fortsetzung angekündigt, die ich hiermit liefere. Und dazu ein paar Zahlen und Fakten, die ich mir in der Zwischenzeit bei der Programmleitung geholt habe. –
Mein Stichwort für die scheinbar kleine, in Wirklichkeit tiefgreifende Reform des SRG-Kulturradios heisst: Wiederbelebung, insbesondere der Musik. Wiederbelebung eines mumifizierten Radios, das am Morgen in klassischen Wohlklang einbalsamiert war und am Vorabend mit einem jazzigen Angebot, das mir immer mehr «easy» und immer weniger «listening» erschien, wenn Kultur etwas mit bewusstem Hören zu tun haben sollte.
Und deshalb teile ich die Einwände von Thomas Läubli – der mich ein Stück wohl missverstanden hat – und auch von Charlotte Grau Heer nicht, und das ist gut so: der freie Dialog und Austausch ist ein guter Teil unserer Kultur.
Störung ist Anregung
Zur Klärung: Ich war jahrelang das, was man einen «DRS-2-Hörer» nennt, und habe mich dann, vor ein paar Jahren, von der «Mattinata» verabschiedet. Die tägliche, wöchentliche, jahre- und jahrzehntelange Wiederholung des (grundsätzlich) immer Gleichen auf immer gleiche Weise macht Kunst-Kultur zum Ritual und am Ende verlieren die Kunstwerke die Beziehung zum Leben der Gegenwart. Es braucht, denke ich, immer wieder einen neuen, vielleicht zuerst sogar ärgerlichen, jedenfalls ungewohnten Zugriff auf die bekannten Stücke. Sonst geht es der Musik wie den Bildern, die wir schon nicht mehr sehen, weil sie jahrelang an der gleichen Stelle an der gleichen Wand hängen.
So gesehen ist Störung Anregung. Musik im Licht einer anderen, ungewohnten Interpretation, Musik in einer anderen musikalischen Nachbarschaft – alt neben neu, Klassik neben Jazz oder gar Pop –, oder Musik in einem neuen Umfeld – zum Beispiel neben dem gesprochenen Wort – kann neue Aufmerksamkeit wecken. Zwingt vielleicht sogar dazu.
Kunst als Ritual
Ich habe auch nie verstanden, warum ein Radioprogramm unantastbar sein soll, das musikalische Kunstwerke in ihre Teile zerlegt und diese als aneinandergereihte Versatzstücke präsentiert, sprich: einzelne Sätze aus Sonaten, Symphonien, musikalischen Dichtungen herausreisst – auch wenn sie als Teilstücke durchaus angenehm zu hören sind.
Vermutlich ist es die Unantastbarkeit dieser musikalischen Reliquien, die Margrit Sprecher dazu veranlasst hat, von DRS 2 als einem «Gottesdienst» zu sprechen, zu dem sich «eine Art religiöse Gemeinschaft» versammelt, wie in konservativ katholischen Kreisen die Gläubigen, die zur lateinischen Messe zusammenfinden. Solche Gemeinschaften folgen dem eisernen, fast magischen Prinzip: Nur das einmal etablierte, unantastbare Ritual garantiert allein den Fortbestand der Wahrheit oder der Kultur. Ich kann das respektieren. Aber ich kann es nicht teilen. Und ich stehe damit offenkundig nicht allein.
Zwar setzen so verdienstvolle Verfechter der alten Programmstruktur wie der ehemalige DRS-2-Chef Marco Meier, der früherer SF-Kulturleiter Alex Bänninger oder «Kulturtipp»-Chefredaktor Rolf Hürzeler darauf, dass das Publikum des Kulturradios mit wachsendem Alter der Hörerschaft quasi natürlich nachwächst. Aber die Zahlen zeigen etwas anderes.
SRF 2 Kultur: eine strategische Entscheidung
Auch der Kultursender ist ein gebührenfinanzierter Dienst für ein zahlendes Publikum, dessen Kulturinteressen möglicherweise über drei Stunden gepflegte Klassik am Morgen oder zwei Stunden «easy listening Jazz» am Vorabend hinausreichen, und das möglicherweise in ein nicht ganz stressfreies Erwerbsleben eingebunden ist. Genau dieses Publikum hat DRS-2 offenkundig immer weniger erreicht. Seit 2006 zeigen die Daten langsam aber stetig sinkende Publikumszahlen: allein von 2009 bis 2012 ist die Reichweite – also der Durchschnitt der täglichen Zahl von DRS-2-Hörerinnen und -Hörern – um gut 15 Prozent zurückgegangen. Gleichzeitig stieg das Durchschnittsalter: Lag es im Jahr 2001 noch bei 59.9 Jahren, so stieg es bis 2012 auf 65.4 Jahre: die Alterung des «Kulturpublikums» im Schweizer Radio wurde also durchaus nicht ausgeglichen durch die nachwachsenden Generationen.
Und noch etwas: Die Publikumsforschung zeigte seit Jahren eine nicht unerhebliche Zweiteilung des Publikums: auf der einen Seite die Musikliebhaber, die sich bei Wortbeiträgen verabschieden, und auf der anderen Seite die Wortinteressierten, die sich bei Sendungen wie «Kontext» oder «Reflexe» zuschalten. Diese «Auslegeordnung», so SRF-2-Programmleiterin Franziska Baetcke, verlangte von der SRF-Führung eine strategische Entscheidung. Es wurde eine Entscheidung für mehr Wort.
Für die Hörerinnen und Hörer, die sich von Musik begleiten lassen wollen, hielt und hält die SRG 24 Stunden am Tag ihre Spartenprogramme Radio Swiss Pop, Radio Swiss Jazz oder eben Radio Swiss Classic bereit. Es ist der Sender «zum Mitsummen, zum Geniessen und zum Entspannen» (SRG-Eigenwerbung), die Musikauswahl ist in hohem Masse «Hörer-gesteuert», und «polarisierende Musik, zum Beispiel Opernarien oder Orgelwerke, und auch weniger beliebte Stilrichtungen, wie geistliche oder moderne Musik, werden im Programm nur äusserst sparsam eingesetzt». Zu empfangen ist dieses hörer- und hörerinnenfreundliche Programm über Kabel, Satellit oder Digitalradio, ausserdem gibt es eine Radio Swiss Classic App für iPhone und Android.
Der Spartensender steht also zur Verfügung für die reinen Musikhörerinnen und –hörer, die sich während Stunden von der ganz klassischen klassischen Musik begleiten lassen wollen. Die Hörerinnen und Hörer bleiben «weit über eine Stunde bei Radio Swiss Classic, wenn sie einmal eingeschaltet haben», meldet die SRG-Publikumsforschung. Mein Verweis auf Radio Swiss Classic ist also, anders als der kritische Kommentator Thomas Läubli meint, keine Geringschätzung der Kulturliebhaber sondern die einfache Feststellung, dass für die treuen DRS-2-Hörer mittlerweile ein Spartenprogramm bereit steht, das ihre Bedürfnisse ziemlich präzise befriedigen dürfte.
Ich stehe nicht im Ruf, die Entscheidungen der SRF-Leitung kritiklos zu verteidigen. Aber mir scheint, in diesem Fall hat sie stichhaltige Argumente auf ihrer Seite.
(Fortsetzung folgt)
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Autor war bis Ende 2004 in verschiedenen Funktionen Mitarbeiter der SRG.
Ihre Worte, Herr Ruoff
»So gesehen ist Störung Anregung. Musik im Licht einer anderen, ungewohnten Interpretation, Musik in einer anderen musikalischen Nachbarschaft – alt neben neu, Klassik neben Jazz oder gar Pop –, oder Musik in einem neuen Umfeld – zum Beispiel neben dem gesprochenen Wort – kann neue Aufmerksamkeit wecken. Zwingt vielleicht sogar dazu.«
– Da bin ich Wort für Wort Ihrer Meinung. Das ist Aufgabe eines Senders, der das Label Kultur für sich in Anspruch nimmt. Aber: Erstens hat DRS2 genau dies immer wieder eingelöst. Finde ich. Und mir – der Fraktion Wortinteressierte angehörend – eher zur Genüge. Und zweitens will ich gerade durch Musik nicht ständig »gestört« werden. Mir war das »easy listening« für Zwischendurch gerade recht.
Wie gesagt, ich gehöre der Wortfraktion an. So gesehen wäre für mich DRS4news der richtige Sender. Ich höre ihn auch gern und oft, nenne ihn allerdings »DRS4Archiv«, jaaa »SRF4Archiv«. Es ist eine Abfolge von Nachrichten und Wiederholungen von eigenen Beiträgen und Beiträgen von SRF2 und 3 und wahrscheinlich auch 1. Keine Ahnung. Die Logik der Programmierung hat sich mir bis zum heutigen Tag nicht erschlossen. Es wird weder in der An- noch Abmoderation gesagt, wann und in welchem Zusammenhang die Erstausstrahlung stattgefunden hat. Und manchmal, sehr hübsch, werden Beiträge unvermittelt abgebrochen, mitten in einem Satz – wegen der Nachrichten.
Mich stören lassen? Gerne! Immerzu. Nur ist das Leben zuweilen störend genug. Verstörend genug. Wir klicken uns durch Angebote im Internet. Wissen nicht mehr, wo wir eigentlich was gelesen haben. Müssen lernen, mit diesem Overkill an Nachrichten umzugehen. Da ist es Labsal einen Radiosender zu haben, der (Kontext, Reflexe, DRS2aktuell) aktuelle Themen aufgreift, intelligent, meist nicht abgehoben, gelassen und meist kritisch hinterfragend – und damit mögliche Orientierung schafft.
Wenn man mir jetzt mein heiliges DRS2 … zum Begleitprogramm verwässert, Wortbröcken hier und Wortbröckchen dort, ein Moderator der – lustig lustig – findet, »Wurst zur Musik« sei nicht so gesund (keine Ahnung, davor ging es irgendwie um ein Konzert mit Wurst oder so….) und dass er darum – Achtung lustig – vor dem Mikrofon in einen Apfel beisst und uns erzählt – sehr lustig – wie es trieft…. dann irritiert mich das.
Die »Entscheidung für mehr Wort« höre ich ja gerne. Auf dem Sender wird sie aber nicht eingelöst. Noch nicht? Oder vielleicht verstehen die Programmverantwortlichen unter mehr Wort etwas anderes? Easy listening what ever? – Unter dem Strich driftet mir SRF2 Kultur eher Richtung SRF1 – mit ein bisserl klassische Musik. Das sind meine Impressionen, meine Eindrücke, keine Analyse! Aber das ist, was ich als Hörerin zurzeit wahrnehme.
Wenn man Neues versucht, passieren Fehler. o.k. Man kann übers Ziel hinausschiessen etc. Und ja, mensch hätschelt gerne geliebte und zuweilen selbst ungeliebte Gewohnheiten. Und über Neues, Unbekanntes jammern ist immer gut. – Tatsächlich aber ist mir die Stossrichtung nicht klar. Wohin des Weges, Kulturradio? – So gesehen freut es mich, wenn Sie dranbleiben und die Entwicklung verfolgen.
Sehr freundlich gegrüsst
Charlotte Heer Grau