Forscher, ETH und Unis berieseln mit PR-Propaganda
Red. Medien streichen Stellen für wissenschaftlich ausgebildete Journalistinnen und Journalisten zusammen. Dafür bauen wissenschaftliche Institutionen ihre PR-Propaganda-Maschinerie gewaltig auf. Es geht um ein gutes Image und vor allem um das Lockermachen von Forschungsgeldern. Beate Kittl ist Vorstandsmitglied des Schweizer Klub für Wissenschaftsjournalismus und bei der SDA als Wissenschaftsjournalistin angestellt. Am Kongress der Wissenschaftskommunikatoren (SciComm) in Rapperswil im letzten Oktober hat sie die desolate Lage der freien Berichterstattung analysiert. Infosperber stellt ihre aufrüttelnde Rede online.
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REDE VON BEATE KITTL
In den vergangenen Jahren, in denen ich als freie Journalistin mein Brot verdienen musste, ist mir eines immer mehr aufgefallen: Offenbar mangelt es an Geld für den Wissenschaftsjournalismus.
Das hat sich nicht nur auf meinem eigenen Bankkonto bemerkbar gemacht. Damals in den 1980er und 90er Jahren hat unsere Disziplin geboomt. Man stand unter dem Eindruck von Tschernobyl und der wachsenden Umweltbewegung und fand es gut, wenn es spezialisierte Journalisten gab, die der Bevölkerung solche Dinge erklärten.
Doch heute tendieren die Wissenschaftsressorts in der Schweiz und auch in Deutschland wieder dazu zu schrumpfen, zusammengelegt zu werden oder ganz zu verschwinden. Sogar bei der guten alten NZZ wurde eine Stelle gestrichen, als die Wissenschafts-Chefin in Rente ging.
Parallel dazu wurden die Wissenschafts-Public Relations professionalisiert. Medienstellen der Universitäten wurden ausgebaut und aufgestockt, Wissenschaftler erhalten Medientrainings. Forschung im Elfenbeinturm ist out, stattdessen wird von den Hochschulen verlangt, und zwar zu Recht, dass sie ihre Arbeit der Öffentlichkeit näher bringen, die diese ja bezahlt.
Zusammen führt das zu einer bedenklichen Entwicklung:
Einer stets kleineren Zahl von Wissenschaftsredaktoren und schlecht bezahlten Freien steht ein wachsendes Heer von gut entlöhnten Wissenschafts-Kommunikatoren gegenüber.
Ein Beispiel: In den Medienstellen der Hochschulen in der Romandie arbeiten zusammengezählt ungefähr 80 Personen, davon sind 17 explizit als Journalisten und Redakteure angestellt. In den welschen Medien arbeiten, verteilt auf Le Temps, Tribune de Genève, Bilan sowie Radio und Fernsehen, ungefähr 10 bis 12 Wissenschaftsredaktoren.
Dies hat den Effekt, dass diese Kommunikatoren schleichend unsere Rolle übernehmen. Die Auswahl und die gesellschaftliche Einordnung von Themen ist meiner Ansicht nach der wahre journalistische Akt. Weder der Wissenschaftler selbst, der seine Arbeit zu Recht höchst wichtig findet, noch die Kommunikationsbeauftragte einer Universität hat das Interesse oder die Aufgabe, diesen journalistischen Akt zu vollbringen.
Ich glaube darum, dass es an der Zeit ist, darüber nachzudenken, was dies für unsere Profession bedeutet:
● Die Wissenschaftsseiten der auflagenstärksten Zeitung der Schweiz wird nicht von eigenen Redaktoren verfasst, sondern vom dreiköpfigen Team einer Agentur, die nach eigenen Angaben auch «Aufträge von Hochschulen, Instituten und Institutionen aus Wissenschaft und Forschung» annimmt. Ich spreche natürlich von 20 Minuten. Finanziert wird das Ganze von zwei Stiftungen, die notabene beide der Förderung der Wissenschaft dienen, nicht des Journalismus.
● Bei der Télévision Suisse Romande arbeitet seit drei Jahren eine gewisse Agathe Charvet, und zwar direkt in der Redaktion. Ihren Lohn bezahlt das Triangle Azur, der Verbund der drei Universitäten Neuenburg, Genf und Lausanne. Die Mission der Frau Charvet ist folgende: «Die Forschungsthemen der drei Institutionen des Triangle Bleu aufzuwerten (frz: valoriser), insbesondere durch die Bereicherung der Multimedia-Plattform «TSR découverte».» (Newsletter Uni Neuenburg, Oktober 2009)
● Auf der Wissenschaftsseite der Zeitung «24heures» hatten die Medienstellen der Unis eine eigene Kolumne, die sie nach eigenem Gutdünken füllen durften. Da schrieb eine Mitarbeiterin der Kommunikationsabteilung einer Uni ein Portrait über eine Forscherin, natürlich aus der eigenen Uni. Und die EPFL durfte Fragen aus der Wissenschaft gleich selbst beantworten.
Die Rolle der Kommunikationsabteilungen ändert sich also sukzessive. Statt den Umweg über die Medien zu nehmen, wo sie sich journalistischen Fragen und Auswahlkriterien stellen müssen, wenden sie sich zunehmend direkt an die Bevölkerung.
Die EPFL gibt ganz offen zu, dass sie diesen Weg wählt und ihre News lieber auf der Webseite postet als sie in Communiqués an die Medien zu verbreiten. Der Kommunikationschef der EPFL, Jerome Gross, sagte dazu im Interview mit Olivier Dessibourg:
«Wenn die Medien dieses Terrain nicht mehr besetzen, müssen wir das tun.» (SKWJ-Bulletin 1/2011). Der Fachbegriff hierfür dürfte wohl Direct-to-Consumer-Marketing sein.
Aber auch ich selbst bin inzwischen in dieser Welt von Sponsoring und Outsourcing gefangen. Auch ich muss mich fragen, ob ich meinen Job weiter unabhängig und unbeeinflusst machen kann. Denn meine Stelle und die meines welschen Kollegen werden zu zwei Dritteln von der CRUS bezahlt, der Rektorenkonferenz der Schweizer Hochschulen. Zwar garantiert der Vertrag zwischen SDA und CRUS, dass meine Berichterstattung völlig unabhängig und allein nach journalistischen Kriterien erfolgen darf.
Trotzdem empfinde ich meinem Anstellungsmodell gegenüber eine gewisse Resignation. Nämlich über die mangelnde Wertschätzung dem Wissenschaftsjournalismus gegenüber. Er wird offenbar immer noch nicht als wichtig genug betrachtet wird, um neben Inland, Ausland und Wirtschaft eine ordentliche Stellung in der Redaktion zu erhalten. Wir bleiben etwas «Ausserordentliches.»
Darf ich dazu noch einmal in Erinnerung rufen, wer die Aktionäre der SDA sind: Die Schweizer Medienunternehmen.
Ich finde aber, dass Wissenschaftsjournalismus in erster Linie Journalismus sein soll. Und zwar echter, vollwertiger Journalismus. Kein Nebenschauplatz und auch keine Direct-To-Consumer Wissensvermittlung.
Wer soll also über Wissenschaft berichten, wenn nicht Journalisten? Ich hoffe, ich spreche für die meisten in diesem Beruf, wenn ich sage: »Wir wollen einen Wissenschaftsjournalismus, der diesen Namen verdient.»
Dabei müssen wir uns auch bei der eigenen Nase nehmen: Auch wir nehmen unsere Rolle nicht immer ernst genug, lassen es an gesunder Distanz und Skepsis fehlen. Oder wir scheuen uns davor, den Mächtigen auf die Füsse zu treten.
Einer, der seit Jahrzehnten über den Wissenschaftsjournalismus nachdenkt und darüber schreibt, hat dazu Folgendes geschrieben: «Wenn Wissenschaftsjournalisten die Wissenschaft kritisch beobachten würden, wären sie echte Journalisten. Aber diese Tradition ist in Deutschland nicht sehr ausgeprägt.» (Winfried Göpfert, Journalist, em. Prof. für Wissenschaftsjournalismus, FU Berlin). Ich denke mal, dass sein Urteil für die Schweiz nicht wesentlich anders ausfallen würde.
Umso erfreulicher ist es, den grossen Göpfert durch konkrete Gegenbeispiele widerlegt zu sehen. Zum Beispiel durch die beiden Medizinbeiträge, die letztes Jahr mit dem Prix Média ausgezeichnet werden: Cécile Guerin deckte in ihrem Beitrag über die brach liegende Forschung zu seltenen Krankheiten die Verbindungen und Geldflüsse zwischen öffentlicher Forschung und Pharmaindustrie auf. Und Odette Frey erfrechte sich gar zu fragen: «Medizin – nur teuer oder auch nützlich?»
Würde es die Kommunikationsabteilung eines Universitätsspitals wagen oder für nötig befinden, diese Frage in den Raum zu stellen? Ich vermute nicht.
Und genau darum plädiere ich für einen starken, unabhängigen und vor allem «journalistischen» Wissenschaftsjournalismus. Denn ich bin der Auffassung, dass Medienstellen kein akzeptabler Ersatz sind für die Arbeit «echter» Journalisten – egal ob diese in einer Zeitungsredaktion, beim öffentlich-rechtlichen Radio und Fernsehen oder bei einer Nachrichtenagentur arbeiten.
Denn sie sind es, die gesellschaftlich brisante Themen in Medizin, Forschung oder Umwelt kritisch auswählen, aufarbeiten und einordnen und dies gegebenenfalls auch gegen die vorherrschende Lehr- oder politische Meinung tun.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Die Autorin ist Vorstandsmitglied des Schweizer Klub für Wissenschaftsjournalismus und Wissenschaftsredaktorin bei der SDA.
Weichmacher in Biokost (mein Leserbrief an meine Lokalzeitung)
Im Sarganserländer vom 5. März wurde eine Studie über das Umweltgift Bisphenol A (BPA) gemeldet. BPA ist ein Weichmacher, der in vielen Plastikprodukten steckt vom Spielzeug über Bodenbeläge bis zu Verpackungen und Beschichtungen von Konservendosen. BPA findet insbesondere über die Verpackung der Lebensmittel, Plastikflaschen und Getränkedosen den Weg in die Nahrungskette. Schoppenflaschen, Nuggi’s und Kinderspielzeug belasten Kleinkinder. Die Ansichten über die Giftigkeit gehen weit auseinander. In Frankreich ist BPA in Verpackungen von Lebensmitteln konsequent verboten worden. Die Japanische Verpackungsindustrie schafft es freiwillig, Konservenbeschichtungen zu machen, welche EU BPA-Grenzwerte um das 600-fache unterschreiten. Eine Deutsche Behörde vergleicht kleinkindliches schlecken an Plastikspielzeug mit der Giftaufnahme von Kettenrauchern und rechnet vor, dass 1 Stunde schlecken dem Konsum von 40 Zigaretten entspricht. Die gesundheitlichen Bedenken gehen über Krebsförderung, Schädigung von Föten bis hin zu Fruchtbarkeitsstörungen.
Wie kommt es aber, dass unsre biedere Tageszeitung eine gefälschte Studie zum besten gibt? Wie kommt tendenziöse PR in den Nachrichtenteil einer Zeitung?
Es ist bekannt, dass die Industrie Studien in Auftrag gibt, für welche das Resultat mit der Auftragserteilung bereits abgemacht ist. So gab es schon in den 1960er Jahren Studien, welche „bewiesen“ dass rauchen nicht nur harmlos sondern sogar gesund sei. Alles kann mit manipulierter Auswahl „bewiesen“ werden. Solche unseriösen Studien erfüllen ihren Zweck der Desinformation am besten, wenn sie durch List in den Nachrichtenteil der Medien gelangen. Für solches Bestreben betreibt die ehrwürdige Schweizerische Depeschen Agentur (sda) eine Tochterfirma (newsaktuell.ch) welche PR-Aufträge gerne entgegen nimmt, um diese an die Redaktionen weiterzuleiten, welche sie dann in den Nachrichtenteil einstreuen. Ob der Grund für solch unqualifizierte Redaktionsarbeit in ihrer Leichtgläubigkeit oder in ihrer Käuflichkeit begründet ist bleibt offen. Es ist mehr als nur ärgerlich, wenn wir zahlende Zeitungsabonnenten für gezielte und getarnte Fehlinformation sogar noch bezahlen dürfen! Youtube.com ist gratis und hat nicht den Anspruch auf seriöse Informationsvermittlung, gleichwohl können dort aufschlussreiche Informationen gefunden werden. Ich empfehle allen dort einmal den Suchbegriff „bisphenol a“ einzugeben.
Dass die erwähnte Studie tendenziös manipuliert sein muss, ist am eklatanten Faktor 100 sofort zu erkennen. Über die Auswahl der Bioprodukte, welche zu solcher Kontamination führen wird geschwiegen. Es lässt sich gewiss ein korrupter Produzent finden, der solche Schund-Ware gegen entsprechendes Bakschisch zu produzieren gewillt ist. Wie die 21,4 Mikrogramm BPA/g in den gemahlenen Koriander gelangen erklärt die „Studie“ leider nicht, mit grösster Wahrscheinlichkeit kommt auch hier das Gift aus der Verpackung. Es ist durchaus möglich, gesunde Bio-Produkte in ungesunde Verpackung zu stecken, was wiederum bei Bioprodukten eher selten geschieht.
Für die Verdummungsbotschaft spielt das aber keine Rolle, die Schlagzeile genügt: „Weichmacher in Bioprodukten“, die entschlüsselte Werbe-Botschaft heisst: „vermeide Bio, dann hast Du auch das Bisphenol-A-Problem im Griff“. Ich wandle zynisch weiter ab: „Bio macht krank und Zeitung lesen macht dumm“.
NACHTRAG:
Die kritisierte Meldung stand im Zeitungsmantel, welcher von der Südostschweiz bezogen wird. Die Redaktion des Sarganserländers hat auf den Mantel keinen Einfluss. Ich bedaure meine Kritik falsch adressiert zu haben und bitte die Lokalredaktion meinen Fehler zu entschuldigen.