Keine Schneeräumung für kritische Rentnerin
Als die 72-jährige Rentnerin Viviane Berger im letzten September einen Brief der Gemeinde Mont-Noble (vor der Fusion Nax) in ihren Händen hielt, traute sie ihren Augen nicht. In wenigen Sätzen erklärte die Gemeinde am Südhang der Walliser Kantonshauptstadt Sitten der Rentnerin den Tarif: Die Gemeindestrasse, an welcher ihr Haus liegt, werde im Winter nicht mehr vom Schnee geräumt, weil das Haus «ausserhalb der Bauzone» liege.
Die Gemeinde stützte ihren Entscheid auf eine Änderung des Reglements für die Schneeräumung, das von der Urversammlung angenommen und vom Walliser Staatsrat homologiert wurde, wie der Gemeindepräsident Bernard Bruttin (CVP) in einem weiteren Schreiben an Berger mitteilte.
Gemeinde hat den Zustand toleriert
Die Konsequenzen für die Rentnerin sind einschneidend: Der Ort liegt rund 1225 Meter über Meer und zeitweise lag mehr als ein halber Meter Schnee auf der rund 350 Meter langen Gemeindestrasse zu Bergers Haus. Weil die Rentnerin ihr Auto nicht mehr benutzen kann, muss sie mit Schneeschuhen zu Fuss und mit Rucksack zum Einkaufen und auf die Post. Mit ihrem künstlichen Knie benötigt sie für die stark ansteigende Strecke über eine Stunde. Im Notfall könnte auch die Ambulanz und die Feuerwehr nicht zum Haus fahren, so dass der Helikopter zum Einsatz kommen müsste.
Pikanterweise muss die Rentnerin nun für etwas büssen, das nicht sie zu verantworten hat. Berger, welche in Zürich aufgewachsen ist und dort bis zur Pensionierung berufstätig war, hat nämlich das Haus mit Baujahr 1972 im Jahr 2005 gekauft und ging davon aus, dass dieses zonenkonform war. Der Kaufakt ging ohne Probleme und ohne entsprechende Hinweise der Gemeinde und des Kantons über die Bühne.
Zuvor hatte die Gemeinde und der Kanton jahrzehntelang stillschweigend toleriert, dass das Haus ausserhalb der Bauzone lag. Die Gemeinde und der Kanton haben offensichtlich weder eine Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes gefordert, noch das Haus im sogenannten Nachvollzug gemäss kantonalem Baugesetz legalisiert.
Staatsrat liess die Gemeinde fuhrwerken
Für die Rentnerin ist sonnenklar: «Das ist nichts als eine Schikane, weil ich die Machenschaften der Gemeinde kritisiert habe.» Berger musste nach dem Kauf des Hauses nämlich erstaunt feststellen, dass nicht nur ihr Haus ausserhalb der Bauzone lag, sondern auch der angrenzende Camping «Grand-Paradis» nicht zonenkonform war. Obwohl es sich laut Zonenplan um einen Camping für Wohnwagen und Zelte handelte, wurde dort wacker planiert und gebaut: Dutzende von Wohnwagen verwandelten sich in kleine Ferienchalets, ohne dass die Gemeinde und der Kanton intervenierten.
Berger kritisierte diese Machenschaften erstmals im Jahr 2006 mit einem Brief an den Walliser Staatsrat: «Illegale An- und Ausbauten von Wohnwagen (Chalets, Dächer); Wasserleitungen in die Wohnwagen; Abwässer versickern direkt in den Boden; massive Erdbewegungen mit dem Bagger». Darauf entbrannte eine hitzige Debatte innerhalb der Kantonsverwaltung, wer überhaupt für die Bewilligungen auf dem Terrain des Campings «Grand-Paradis» zuständig war (siehe Links unten).
Die Dienststelle für Raumplanung plädierte für die kantonale Zuständigkeit. Doch der Walliser Staatsrat schützte – mit fadenscheinigen Argumenten – die Gemeindehoheit und liess die Gemeinde Mont-Noble weiter fuhrwerken. Bernard Bruttin, der Gemeindepräsident von Mont-Noble, ist ein CVP-Vertreter und Wirtschaftslobbyist mit weitreichendem Kontaktnetz zum Walliser CVP-Filz. Er ist Präsident der einflussreichen Walliser Industrie- und Handelskammer und war bis 2010 auch Präsident der Walliser Bankiervereinigung. Zudem ist er Direktor der Credit Suisse für das Welschwallis.
Insgesamt 22 Fristen verstrichen
Die Gemeinde Mont-Noble hat inzwischen den Camping «Grand-Paradis» grosszügig in die Bauzone integriert. Weil Berger jedoch den Kanton auf «die fehlenden Baubewilligungen für die Camping-Bauten und die Nicht-Einhaltung der Bauvorschriften» hinwies, musste die zuständige Dienststelle für innere und kommunale Angelegenheiten wohl oder übel die Gemeinde immer wieder mahnen, endlich einen Schlussbericht zum Camping abzuliefern. Seit 2007 hat der zuständige Jurist mit grossartiger Geduld insgesamt 22 solcher Aufforderungen geschrieben und jeweils grosszügig neue Fristen angesetzt, wie Berger festhält.
Die 23. und letzte Frist verstrich am 15. November 2012. Vier Tage später ging beim Kanton die Bestätigung von Gemeindepräsident Bruttin ein, auf dem Camping «Grand-Paradis» sei nun alles gesetzeskonform. Deshalb habe der Gemeinderat «sämtliche Bauten auf dem Perimeter der Camping-Zone» bewilligt. Darauf vermeldete der Kantonsjurist freudig die Einstellung des Falles. Berger und der beigezogene Baufachmann Charles Mallaun jedoch bestreiten vehement, dass auf dem Camping nun plötzlich die Legalität Einzug gehalten habe, insbesondere seien «die Abstände der Bauten nicht vorschriftsgemäss». Zwei umgebaute Wohnwagen stünden sogar teilweise auf Bergers Terrain.
Zudem lagern laut Berger und Mallaun auf dem Camping-Areal und dem angrenzenden Gebiet Abfälle aller Art, von Altautos bis zu Ölfässern. Im Auftrag Bergers hat Mallaun Ende März 2012 den Walliser Behörden ein Dossier mit einschlägigen Fotos eingereicht. Nur eine Woche später erteilte der Walliser Staatsrat der Gemeinde Mont-Noble den Persilschein und wies eine entsprechende Einsprache Bergers ab.
Departement ist von CVP-Kostgängern bevölkert
Die Motivation des Kantons, in Mont-Noble endlich Ordnung zu schaffen, hielt sich seit 2006 in engen Grenzen. Das zuständige Departement ist mit Kostgängern der CVP und Parteikollegen von Bruttin bevölkert: An der Departements-Spitze steht CVP-Staatsrat Maurice Tornay und als Departements-Sekretär amtet der CVP-Mann Paul-Henri Moix, welcher zeitweise drei hohe Verwaltungsposten gleichzeitig besetzte. Und auch auf dem Chefposten der zuständigen Dienstelle für innere und kommunalen Angelegenheiten sitzt ein treuer CVP-Politiker, nämlich Alt-CVP-Nationalrat Maurice Chevrier, dem die Partei nach seiner Rückkehr aus Bern ein komfortables Nest baute.
Deshalb ist es wenig erstaunlich, dass die Behörden im Fall des Campings «Grand-Paradis» beide Augen zudrückten, im Fall der kritischen Rentnerin Berger hingegen sogar die Schneeräumung einstellten, um sie in die Knie zu zwingen. Aber Berger denkt nicht daran aufzugeben. Sie will weiter kämpfen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Redaktor der Roten Anneliese 2000 - 2010