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Die Wirkung von Lärmschutzwänden ist umstritten. © -

Zürcher Baudirektion zensuriert Lärmschutz-Kritik

Kurt Marti /  Die wissenschaftlichen Grundlagen des Lärmschutzes sind dünn und veraltet. Ein Bundesbericht wird vernebelt, Kritik zensuriert.

Zürcher UmweltPraxis (ZUP) heisst das Informationsbulletin der Umweltschutz-Fachverwaltung der Baudirektion des Kantons Zürich. In der Juli-Nummer 2012 wurden darin die Zürcher Gemeinden aufgerufen, die Lärmsanierung der Gemeindestrassen bis 2018 abzuschliessen. Danach zahle der Bund keine Beiträge mehr. Es geht um rund 100 Gemeinden, in denen Handlungsbedarf besteht, weil dort die Immissionsgrenzwerte überschritten werden und die Gemeinden gemäss Lärmschutzverordnung (LSV) verpflichtet sind, an der Quelle oder auf dem Ausbreitungsweg Sanierungsmassnahmen zu ergreifen.

In derselben Ausgabe der ZUP wird erstaunlicherweise der Bau von Lärmschutzwänden kritisch beleuchtet. Laut ZUP animieren Lärmschutzwände eher zu «lärmigem Fahren», sie «trennen mehr visuell als sie akustisch wirken» und sie passen «eher zu Autobahnen als in den Siedlungsraum».

Vollzug des Lärmschutzes auf dünnem Eis

Der Soziologe und Lärmschutz-Experte Andreas Meyer war langjähriges Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Lärmbekämpfung (EKLB). Er störte sich am unmissverständlichen Aufruf der Fachstelle Lärmschutz (FALS) der Zürcher Baudirektion zur Abholung von Bundessubventionen. In einem kritischen Artikel «Lärmschutzwände – Eile oder Weile?», den er der ZUP-Redaktion schickte, warnte er vor solchen Investitionen «ins Blaue». Der Kanton Zürich und auch die anderen Kantone sollten sich beim Bau von Lärmschutzwänden nicht von der Frist 2018 drängen lassen, weil die wissenschaftlichen Grundlagen des Lärmschutzes, unter anderem beim Strassenlärm, hoffnungslos veraltet seien: «Das Eis, auf dem der ganze millionenteure Vollzug ruht, ist äusserst dünn.»

In seinem Artikel verweist Meyer auf den EKLB-Bericht «Forschungskonzept Lärm: Handlungsbedarf zur Aktualisierung der Grundlagen für die Lärmbeurteilung» aus dem Jahr 2010 (siehe Link unten). Darin hält die EKLB einen gravierenden Wissensbedarf bei den Immissionsgrenzwerten fest und empfiehlt, «die empirischen Grundlagen der Lärmbeurteilung, insbesondere der Lärmwirkung auf die Schweizer Bevölkerung, zu aktualisieren».

Von Repräsentativität «keine Spur»

Die heutigen Immissionsgrenzwerte beim Strassenlärm basieren laut Meyer auf einer interdisziplinären Untersuchung (Akustik, Soziologie) Ende der 1970er Jahre, welche sich lediglich auf 539 befragte Personen in der deutschen Schweiz stützt. Von Repräsentativität sei «keine Spur». Deshalb stellt Meyer in seinem Artikel eine «Diskrepanz zwischen Entscheidungsgrundlagen und der gesellschaftlichen, aber auch bautechnischen Wirklichkeit» fest, welche von Jahr zu Jahr grösser werde. Entsprechend steige «das Risiko, Lärmbekämpfung an diesen Entwicklungen vorbei zu betreiben». Vor allem beim Bau von Lärmschutzwänden. Viele Anwohner seien von deren Wirkung enttäuscht.

Es gelte nicht nur nach technisch-akustischen Kriterien zu entscheiden, sondern auch zu berücksichtigen, wie der Lärm von den Anwohnern wahrgenommen werde. Bevor man Millionen für Lärmschutzwände ausgebe, müssten die Immissionsgrenzwerte und damit die Lärmschutzverordnung (LSV) endlich auf eine seriöse, wissenschaftliche Grundlage gestellt und entsprechend revidiert werden.

Zürcher Beamten haben keine Freude am Artikel

Auf der Redaktion der Zürcher UmweltPraxis und der Fachstelle Lärmschutz hatte man gar keine Freude am Artikel von Meyer. Anderthalb Monate nach Einsendung des Artikels und erst auf explizite Nachfrage erhielt er eine ablehnende Antwort. Die ZUP sei «bei allem Versuch, ausgewogen zu informieren, auch eine Publikation des Kantons», schrieb ZUP-Redaktorin Isabel Flynn. Meyer solle sich bei der kantonalen Fachstelle Lärm unter der Leitung von Silvio Grauwiler melden. Dieser gab ihm zur Antwort: «Die Kritikpunkte sind uns sehr wohl bewusst.» Das Ziel der Fachstelle Lärmschutz sei es aber, «mit den heutigen Möglichkeiten und im heutigen Umfeld einen angemessenen Lärmschutz sicherzustellen». Meyers Artikel, der sich im Grunde nicht nur an die Zürcher Gemeinden, sondern an alle Lärmschutz-Ämter der Schweiz richtete, wurde von den Beamten der Zürcher Baudirektion kurzerhand zensuriert.

Der brisante EKLB-Bericht wird nicht aktiv kommuniziert

Szenenwechsel zur Abteilung Lärmschutz im Bundesamt für Umwelt (BAFU): Auf dessen Internetseite sucht man vergeblich nach der brisanten EKLB-Studie, welche eine neue wissenschaftliche Grundlage für die Immissionsgrenzwerte fordert. Auch die vier diesbezüglichen Inputpapiere sind dort nicht aufgeführt. Erst auf der Homepage der EKLB wird man fündig. Eine diesbezügliche Medienmitteilung zu den brisanten Themen fehlt sowohl auf der Internetseite des BAFU als auch jener der EKLB. Die neusten Erkenntnisse zu den wissenschaftlichen Grundlagen werden nicht aktiv kommuniziert. Tatsächlich wurden die Inputpapiere aus dem Jahr 2009 und der EKLB-Bericht aus dem Jahr 2010 erst im Juli 2012 online geschaltet, nachdem die «NZZ am Sonntag» aufgrund von durchgesickerten Kopien der Grundlagenpapiere darüber berichtet hatte.

Kampf um Subventionen und Forschungsmittel

Laut dem Lärmschutz-Experten Meyer geht es dabei letztendlich um den Kampf um Subventionen und um Forschungsmittel zwischen dem traditionellen, technischen Lärmschutz und dem Lärmschutz, der auch den soziologischen Aspekt berücksichtigt. Also um den Kampf zwischen Natur- und Sozialwissenschaften. Dieser Kampf wird auch auf politischer Ebene geführt. Im Jahr 2011 warnte die SPS-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer im Nationalrat: «Damit Massnahmen gegen den Lärm am richtigen Ort und möglichst effizient getroffen werden können, muss man die Lärmbelastung der Bevölkerung richtig beurteilen können. Sonst riskiert der Bund, dass er Geld für Lärmschutz nicht zielgerichtet ausgibt.» Ein entsprechendes Postulat lehnte der Nationalrat mit Hilfe der SVP, FDP und Teilen der CVP ab.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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