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Mapuche-Indianer demonstrieren für Landrechte und Autonomie © Resumen Grafico/Flickr/CC

Schweizer Auswanderer im Clinch mit Indianern

Sandra Weiss, Chile /  Der jahrzehntelange Landkonflikt im Süden Chiles eskaliert. Die demokratische Entwicklung hat den Mapuches nichts gebracht.

Es war eine milde Sommernacht Anfang Januar im Süden Chiles, als die 20 Vermummten an einem Freitag kurz nach ein Uhr morgens den Bauernhof der Luchsingers in Vilcún mit Benzin übergossen. Der 75jährige Werner wurde von den Geräuschen wach und tastete fast instinktiv nach seiner Pistole. Er rannte die Treppe hinunter.

Vor hundert Jahren waren die Luchsingers aus dem Kanton Glarus in den Süden Chiles immigriert und hatten sich dort eine neue Existenz aufgebaut, vor 15 Jahren gingen die Probleme los: Landbesetzungen, Brandstiftung, Überfälle, gestohlenes Vieh. Die Mapuche, Nachfahren eines der kriegerischsten Völker Südamerikas, beanspruchen das Land für sich.

Die Eltern kamen in ihrem brennenden Haus um

Luchsingers Cousin Rodolfos Heuschober ging in Flammen auf; dann wurde ein anderer Cousin, Jorge, von einem vermummten Kommando überfallen und drangsaliert, sein Auto angezündet, sein Haus abgefackelt. Jorge bezeichnete die Indigenas als «dumm und faul», wurde mit dem Tode bedroht, erhielt Polizeischutz. Doch es wurde nur noch schlimmer: Vor fünf Jahren erschossen die Carabineros auf seinem Land einen Mapuchestudenten.
Auf Werner Luchsingers Hof hatten die Indigenas zwar keine Ansprüche angemeldet, aber am Nachmittag hatte er einige Fremde in der Gegend gesehen und war deshalb alarmiert. Seine Frau Vivianne Mckay ,69, griff hektisch nach dem Telefon, um den in der Nähe wohnenden Sohn Jorge zu alarmieren: «Komm rasch, sie haben Papa erwischt…» Dann ging alles schnell: Werner gab einen Schuss ab und verletzte einen der Angreifer, dann ging das Bauernhaus in Flammen auf.
Sohn Jorge kam 15 Minuten später und stand vor einem Inferno. «Ich schlug ein Fenster ein, rief nach ihnen, und als ich keine Antwort bekam, dachte ich, sie hätten sich in Sicherheit gebracht», schluchzte der 47jährige. Doch seine Eltern schafften es nicht mehr nach draussen und starben.

Die Polizei stellte Brandschriften sicher, in denen von Rache für den vor fünf Jahren auf Luchsingers Ländereien erschossenen Mapuche gefordert wurde. Und sie nahm den Verletzten fest: einen 26jährigen Mapuche. Gegen ihn wurde wegen Brandstiftung und Totschlag nun der Prozess eröffnet. Weil die Staatsanwaltschaft die Anti-Terror-Gesetze anwendet, darf sie auch anonyme Zeugenaussagen und abgehörte Telefonate heranziehen, das Strafmass verdoppeln und den Angeklagten bis zu zwei Jahre in Untersuchungshaft halten.

Wenig Unterstützung von der Regierung

Jorge glaubt nicht, dass das viel nützt – und das ist wohl der einzige Punkt, in dem er mit Menschenrechtsorganisationen übereinstimmt. «Die Regierung verspricht immer Härte, aber nach ein paar Monaten vergisst sie uns wieder», kritisiert er. So jedenfalls war es in den vergangenen Jahren, egal ob christdemokratische, sozialistische oder rechtskonservative Präsidenten das südamerikanische Land regierten. Und 800 Kilometer entfernt von der Hauptstadt Santiago nahm der Krieg zwischen den Luchsingers und den Mapuche-Indigenas immer gewaltsamere Formen an.

Regierung übergibt Land den Mapuches

Vor drei Jahren sah es nach einer friedlichen Beilegung des Konflikts aus: Vetter Jorge schien zu kapitulieren. An einem eiskalten, regnerischen Novembertag sass er drei Stunden lang auf einem Strohballen und sah zu, wie sein Hab und Gut versteigert wurde: Kühe, Kälber, Maschinen. Sein Milchviehbetrieb «Santa Margarita», 250 Hektar, wurde vom Staat aufgekauft und einer Gruppe Mapuche übergeben.
»So war das nicht geplant, man hat mich erpresst», sagte Luchsinger und fügte bitter hinzu: «Ich bin hier aufgewachsen, im Hof steckt die Arbeit meiner Grosseltern, meiner Eltern und mir.» Heute glaubt er, dass just von seinem ehemaligen Anwesen aus die Attentate auf seine Familie geplant werden. Die radikale Mapucheorganisation CAM fordert einen autonomen Mapuche-Staat, und dass ausgerechnet die Luchsingers zu ihrem Hauptfeind wurden, hat viel mit dem polemischen Jorge zu tun. Doch auch andere Bauern leiden unter den Attacken der Mapuches; viele von ihnen sind mittlerweile bis an die Zähne bewaffnet.

«Befriedung» bedeutete Landnahme
Der Lankonflikt im Süden Chiles ist so alt wie die Conquista, die spanische Eroberung. Das Indianervolk der Mapuche widerstand fünfzig Jahre lang den Eroberern und fügte ihnen herbe Verluste zu, bis die Spanier 1641 den Mapuche die Ländereien südlich des Bio-Bio-Flusses zugestanden. Doch mit der Unabhängigkeit Chiles endete dieser Pakt. Die junge Republik begann ab 1860 mit der Eroberung des Südens, in Chile «Befriedung Araucaniens» genannt. 1866 beschloss der chilenische Kongress alle Ländereien, deren Besitz die Mapuche nicht nachweisen könnten, seien fortan Staatsland.

Immigranten bekamen Land geschenkt

Als Chile 1883 den Salpeterkrieg gegen Bolivien und Peru gewann, wurden die Soldaten mit Landtiteln im Süden belohnt. Gleichzeitig hatte der Konflikt die strategische Notwendigkeit an den Tag gebracht, das chilenische Territorium durch Besiedelung vor fremden Übergriffen zu schützen. Deshalb wurde die Einwanderung besonders aus Europa gefördert. So kam der Grossvater des Ermordeten, Adam Luchsinger, 1883 nach Chile und erhielt vom Staat 60 Hektar Land, zwei Ochsen, eine Kuh mit Kalb und Baumaterial.
Die ersten Jahre baute sich die Familie mit harter Arbeit ihre Existenz auf. 1906 waren sie zu bescheidenem Reichtum gekommen und kauften von weniger erfolgreichen Nachbarn Land. Schliesslich weiteten sie ihren Besitz auf tausend Hektar aus bis nach Vilcún, Stammesland der Mapuche. Nicht immer auf ganz koschere Art: «Die Luchsingers besassen einen Gemischtwarenladen mit Bar, in dem sich die Mapuches verschuldeten und ihrem Grund und Boden verloren», hat der Historiker Matías Correo recherchiert.

Subventionierte Konkurrenz aus Europa und den USA

Die Indigenas wurden so immer mehr abgedrängt auf Kleinparzellen und assimiliert. Von den rund 900’000 Mapuche leben heute über 60 Prozent in den Städten, wo sie als Hausmädchen oder Bauarbeiter tätig sind. Die übrigen fristen ihr Dasein als Kleinbauern, immer mehr marginalisiert durch ihr traditionelles Recht der Erbteilung auf der einen Seite und die Globalisierung auf der andern. «Landwirtschaft ist hier nicht mehr rentabel unter 250 Hektar», sagt der Präsident der Landwirtschaftskammer von Temuco, Gaston Caminondo. «Und selbst dann müssen wir noch bangen, ob wir unsere Produkte absetzen können gegenüber der stark subventionierten Konkurrenz aus Europa und den USA. Das ist ein völlig ungleicher Wettbewerb.»

Widerstand aus Not

»Die Verarmung und die Diskriminierung haben dazu geführt, dass sich die Mapuche Ende der 90er Jahre organisiert haben, zuerst gegen den Bau eines riesigen Staudamms auf ihrem Gebiet, dann gegen die Monokulturen der Forstbetriebe und schliesslich gegen landwirtschaftliche Betriebe», sagt Blas Pantel vom Indigenen Observatorium in Temuco.
»Das alles hat mit den ausländischen Revoluzzern angefangen, die hier auftauchten und den Indigenas Flausen in den Kopf setzten», meint dagegen Caminondo. In der Tat ist der Konflikt auch politisch: viele der Landbesitzer, darunter auch die Luchsingers und deren angeheiratete Verwandtschaft wie Alan Cooper – Cousin der ermordeten Mckay – sind ultrarechte Pinochet-Anhänger, zum Teil ehemalige paramilitärische Milizionäre, während die Mapuche-Aktivisten mit linken Gruppierungen sympathisieren; der kolumbianische Geheimdienst hat Verbindungen zur dortigen Guerilla aufgedeckt. Während der Landreform unter dem sozialistischen Präsidenten Salvador Allende in den 70er Jahren wurde einiges Land der Luchsingers an die Mapuche überschrieben; die Militärregierung unter Augusto Pinochet machte dies wieder rückgängig.

Demokratisierung – nicht für die Mapuche

Nach der Demokratisierung der 90er Jahre brach der Konflikt wieder auf. Holzplantagen, Lastwagen, Heuschober der Luchsingers wurden angezündet, im Gegenzug das Anti-Terror-Gesetz aus der Militärdiktatur wiederbelebt – allerdings nur im Zusammenhang mit den Landforderungen der Mapuche. Delikte wie Brandstiftung und Landnahme können dadurch doppelt so hoch bestraft werden, anonyme Zeugen sind in den Prozessen zugelassen, die Grundrechte eingeschränkt. Gegen mehr als 30 Mapuche oder Sympathisanten wurden seither unter diesen Gesetzen ein Prozess geführt.

Das hat den Konflikt angeheizt. «Seit ich sechs Jahre alt bin, wird unser Haus mindestens einmal pro Jahr durchsucht», sagt der 21jährige Miguel Lleuful. «Als ich einmal einen Durchsuchungsbefehl verlangt habe, wurde ich an die Wand gestellt und mit Waffen bedroht.» Menschenrechtsorganisationen und die Uno haben wiederholt die Anwendung der Anti-Terror-Gesetze und die exzessive Gewalt der Polizei im Zusammenhang mit dem Mapuche-Konflikt verurteilt. Es komme zu Sippenhaft, oft sässen Unschuldige im Gefängnis, so Juan Jorge Faundes vom kirchlich unterstützten Instituto Indigena in Temuco.

Die Kirche wirbt um einen Dialog, an dem die Radikalen beider Seiten kein wirkliches Interesse zeigen; der chilenische Staat laviert orientierungs- und ergebnislos hin und her zwischen übermässiger Härte und unausgegorener Hilfspolitik. «Chile tut sich schwer im Umgang mit Forderungen wie denen der Mapuche, bei denen es um Wiedergutmachung von Unrecht geht, auch wenn das Unrecht formalrechtlich legal ist», sagt Yesko Quiroga von der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Korruption bei der Landverteilung

Die staatliche Indigena-Behörde Conadi soll eigentlich Land von Privaten aufkaufen und den Indigenas übergeben. Es kam zu Korruption und Konflikten innerhalb der Behörde, in der zahlreiche Indigenas sassen, die sich selbst und ihre Verwandten begünstigten, was den Unmut anderer Mapuchegruppen hervorrief. Die Behörde hat seit 1994 rund 100’000 Hektar übergeben – doch viel davon liegt unbewirtschaftet brach.

»Wenn ein Grundstück von den Mapuche eingenommen wurde, gehen von dort die Attacken los aufs Nachbargrundstück», schreibt die rechte Zeitung «Mercurio» und zieht daraus den Schluss, dass es den Indigenas letztlich um eine Abspaltung von Chile geht. Der radikale Mapucheflügel hat in der Tat Autonomieforderungen gestellt, ähnlich wie im Nachbarland Bolivien. Daher prophezeiht auch Jorge Luchsinger: «Wir sind nicht das Ende, wir sind erst der Anfang von einem Flächenbrand, der den ganzen Süden Chiles erfassen wird.» Blas Pantel vom Indigenen Observatorium in Temuco hingegen hat ganz andere Sorgen. Er befürchtet, dass die Indigenas das zugeteilte Land wegen ihrer mangelnden Wettbewerbsfähigkeit bald wieder verkaufen werden – an multinationale Forst- und Agrarkonzerne, die dann die lachenden Dritten sein werden.

Dieser Beitrag erschien am 7.1.2013 in der Badischen Zeitung.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Die Autorin ist freie Journalistin in Südamerika.

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