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Auto-Seite in «20Minuten»: Aufmachung wie eine redaktionelle Seite © Ausschnitt der beschriebenen Autoseite/upg

Studentin ärgert sich über Auto-PR in «20Minuten»

Matthias Strasser /  Ein PR-Firma macht auch die Autobeilagen des Tages-Anzeigers. Die Verantwortlichen reden von unabhängigem Journalismus.

Andrea Disler ist Studentin der Medienwissenschaften in Basel und der Meinung, dass PR und Werbung im redaktionellen Teil von Zeitungen nichts zu suchen haben. Deshalb stiessen ihr die Autoseiten der Gratiszeitung «20Minuten» sauer auf: Ein Aufmacher-Artikel, der mit dem Satz begann «Ich fahre gerne Prius» erschien ohne Namen eines Autors.
Der Lead des Artikels roch nach Werbung: «Der Toyota Prius ist jetzt mit Ladekabel erhältlich: Nach 1,5 Stunden am Stromnetz fährt das Hybrid-Fahrzeug bis zu 25 Kilometer rein elektrisch.» Was heisst schon «bis zu»? Unter welchen Bedingungen diese Reichweite überhaupt möglich ist, schweigt sich der Artikel aus. Dafür werden die Leserinnen und Leser mit dem Satz beglückt: «Um den Kaufentscheid zu erleichtern, gibt es das Wandladegerät gleich gratis dazu» – ein Satz wie aus einem Verkaufsprospekt.

Anonyme Bewertung mit falscher Gesamtwertung

Die rechte Spalte der gleichen Seite weckt den Eindruck, das besprochene Auto sei nach verschiedenen Kriterien kritisch beurteilt worden. Irgendjemand vergab bis zu fünf Sterne, je nachdem wie gut der Toyota Prius sich im «Alltag» bewährt, wie viel er kostet («Geld»), wie umweltfreundlich er ist («Umwelt») und wie viel «Spass» er macht und «Sexappeal» er hat. Über die gewählten Kriterien lässt sich streiten. Doch Andrea Disler ist aufgefallen, dass die vergebene «Gesamtwertung» von 4 Sternen nicht dem Durchschnitt der einzelnen Wertungen entsprach. Dieser wäre nur 3,5 Sterne gewesen.

Hinweis auf Kommunikations-Agentur

Die wöchentlichen Auto-Seiten von «20Minuten» sind in Schrift und Aufmachung wie normale redaktionelle Seiten gestaltet. Erst beim näheren Hinsehen fiel Andrea Disler ein kleiner «Stempel» über der Seite auf: «Produced by Textlab GmbH, Agentur für Medien + Kommunikation». Der Zweck der Agentur laut Handelsregister: «Erbringung von Dienstleistungen in den Bereichen Medien, Kommunikation, PR und Werbung». Für die redaktionell gestaltete Seite ist also eine PR-Agentur verantwortlich.

Doch sowohl «20Minuten»-Chefredaktor Marco Boselli wie auch Gaudenz Looser, Mitglied der Chefredaktion, bestreiten, dass es sich bei den Autoseiten um verdeckte PR handle. Es seien nicht einmal «Publireportagen», sagte der Chefredaktor.

Autos in den Himmel gelobt

Zur ungereimten Bewertung mit Sternen meinte Chefredaktor Boselli, bei der Gesamtwertung «handelt es sich nicht um den arithmetischen Mittelwert». Er erklärte jedoch nicht, um welchen andern Wert es sich denn handelt. Dagegen versicherte Textlab-Geschäftsleiter Dieter Liechti gegenüber Infosperber, dass die Gesamtbewertungen sehr wohl dem arithmetischen Mittel der Einzelbewertungen entsprächen. Es müsse jedoch auf halbe Sterne gerundet werden. Weshalb der Toyota Prius die Gesamtnote 4 Sterne erhielt und nicht 3,5, liess Liechti unbeantwortet. Der Prius ist kein Einzelfall. Auf zwölf Auto-Seiten hat Liechtis Firma die Gesamtnote falsch berechnet. In einem Fall hat die PR-Firma die Gesamtnote sogar um eineinhalb Sterne höher angegeben als der arithmetische Durchschnitt.

«Keine geldwerten Leistungen von der Autobranche»
Ausser der unseriösen Sterne-Benotung fiel auf, dass bei den Fotos der Hinweis auf den Fotografen fehlt. Es handelt sich um gratis zur Verfügung gestellte PR-Bilder von Toyota. Trotzdem behaupten die Verantwortlichen von Textlab und Tamedia, dass weder die Tamedia noch die Textlab GmbH geldwerte Leistungen der Autobranche entgegennehmen. Einzig die Testfahrzeuge würden kostenlos zur Verfügung gestellt: «Textlab bringt sie nach den Probefahrten gereinigt und vollgetankt zurück», beteuert Tamedia.

Gleiche PR-Firma sorgt für Auto-Beilage der Tamedia

Seit letztem Oktober produziert die «Textlab GmbH» auch neue Auto-Beilagen, die nach Angaben von Tamedia mindestens dreimal jährlich zu elf Tageszeitungen in der deutschen und welschen Schweiz erscheinen, unter anderen zum Tages-Anzeiger. Die Beilage sei im Impressum der Zeitungen als «Verlagsbeilage» gekennzeichnet, so Tamedia. Falls die Leserinnen und Leser das Impressum konsultieren, erfahren sie also, dass es sich nicht um eine Beilage der Redaktion handelt. Tamedia habe Textlab für die Produktion ausgewählt, weil diese Firma «in der Autoberichterstattung kompetent» sei und Tamedia bisher «gute Erfahrungen» gemacht habe.

Ein «gnadenlos ehrliches» Auto

Schliesslich bucht die Studentin Andrea Disler wenigstens einen kleinen Erfolg: «20Minuten» zeichnet jetzt die Hauptartikel der Autoseite mit einem Namen. Jeden Montag ist das Nina Vetterli-Treml, Mitarbeiterin der Textlab GmbH. Nach Auskunft von Textlab-Chef Dieter Liechti ist Nina Vetterli «primär zuständig» für diese Autoseite. Auf Nina Vetterlis Homepage stehen neben den Kontaktdaten nur die drei Worte «Werbung, Medien, Musik».

Ihre Texte für «20Minuten» und den Tages-Anzeiger hätten keinen PR-Charakter, beteuert Vetterli. Sie gehe «stets kritisch» an die Sache und nehme von der Autobranche «absolut keine geldwerten Leistungen» entgegen.

Doch die Gittaristin und Bassistin posiert gerne als Blondine vor neuen Autos (siehe Bilder). Häufig setzt sie sich auch selber ans Steuer. Auf Einladung der Toyota AG fuhr sie vor einem Jahr auf der einstigen Formel-1-Strecke Jarama bei Madrid den neuen GT 86 und berichtete für den Tagesanzeiger: «Toyota bringt den GT 86 an den Start, um die Herzen der Sportwagenfahrer zurückzugewinnen.» Das Auto künde von «grossen Ambitionen», verfüge über eine «nahezu perfekte Gewichtsverteilung» und sei «gnadenlos ehrlich», denn «der Mensch kontrolliert die Maschine und nicht umgekehrt».

Studentin Andrea Disler weiss jetzt, was Gaudenz Looser, Mitglied der «20Minuten»-Chefredaktion, meinte, als er ihr versicherte, die Autoseite sei «kein PR-Text», sondern «unter journalistischen Kriterien erstellt».

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ERGÄNZUNG DER REDAKTION INFOSPERBER:

Auch die Aargauer Zeitung / Nordwestschweiz führt ihre Leser hinters Licht

In den Redaktionen der Tageszeitungen war bisher klar: PR-Seiten und auch sogenannte Publireportagen mit bezahlten Artikeln müssen sich vom normalen redaktionellen Teil der Zeitung sichtbar unterscheiden, sowohl durch ein anderes Layout (zum Beispiel durch eine andere Anzahl Spalten), als auch durch eine andere Schriftart (zum Beispiel Grotesk statt eine Schrift mit Serifen).

Die neue «Mobil»-Seite der AZ (z.B. am 11. Januar 2013) unterscheidet sich in nichts von einer redaktionellen Seite, obwohl sie eine reine PR-Seite ist: 5 Spalten, gleiche Schrift, gleiche Titelschrift, gleiche Titel-Typen. Alles gleich. Und ein darauf platziertes Inserat wird darauf klein als «INSERAT» bezeichnet, was dem Leser und der Leserin zusätzlich suggeriert, das Andere auf der Seite sei eben «redaktionell».

Einziger Unterschied: Ganz zuoberst auf der Seite, in der linken Ecke der Kopf-Zeile, steht in einer kaum lesbaren Mini-Schrift «Die auf dieser Seite publizierten Texte stehen ausserhalb der redaktionellen Verantwortung». Wer verantwortlich ist, steht nicht.

Die Texte der auf dieser Seite publizierten Artikel sind entsprechend: Da steht zum Beispiel beim Caddy von VW kein Kaufpreis, aber der sogenannte «Preisvorteil» in Höhe von 6680 Franken wird aufgeführt. Das ist miserable Information und billigste PR.

Mit solchen Machenschaften gewinnen die Zeitungsverlage doppelt: Sie sparen die Honorare für die Redaktoren und die Journalisten, und sie erhalten Geld von den PR-Betreibenden. Aber sie verlieren auch, und zwar das, was mit Geld nicht aufzuwiegen ist: ihre Glaubwürdigkeit.

Ein trauriges Kapitel der Mediengeschichte.

Siehe unten unter «Weiterführende Informationen». Dort kann diese Seite als pdf angesehen werden.
(Christian Müller)


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

Zum Infosperber-Dossier:

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Medien unter Druck

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5 Meinungen

  • am 14.01.2013 um 12:34 Uhr
    Permalink

    Ja der Prius ist zweifelslos eine erfolgsgeschichte. Aber nicht vom technischen oder umweltpolitischen Standpunkt aus, sonder vom Marketing her. Tolles Marketing mit einem langfristigen Fokus. Und viele Leute glauben tatsächlich an die technische Kompetenz des Prius. Die Wahrheit ist ist: Benzin-Elektro Hybrid ist eine reine Marketingstory und kommt von der Effizienz und vom Preis-Leistungsverhältnis nie an ein modernes Benzin- oder Dieselfahrzeug heran. Das Batteriemanagement ist technisch so ausgelegt, dass der sehr teure Fahrzeugakku die Garantiezeit unbeschadet übersteht und sich erst später verabschiedet. Die Kosten für einen Akkuersatz sind dann im Vergleich zum Fahrzeugwert extrem hoch…

  • Portrait_Marcel1
    am 14.01.2013 um 13:49 Uhr
    Permalink

    Solche als redaktionell getarnte PR ist natürlich ärgerlich. Aber es kann genauso ärgerlich sein, wenn tatsächlich Redakteur/innen über Autos schreiben. In der NZZ lauten die Titel auf der «Mobil – Digital»-Seite zum Beispiel «Mittelgewichtler mit viel Punch», «In der Kürze liegt weiter die Würze», «Elegantes Coupé mit Stil» (Beispiele vom 3. und 10. Januar 2013). Auch das könnte 1:1 aus dem Werbeprospekt stammen. Ist aber von angestellten NZZ-Redakteuren geschrieben, von denen der eine, mbm., im Lokalteil über die Zürcher Verkehrspolitik schreibt, selbstverständlich vollkommen unbeeinflusst von der Autoindustrie…

  • am 15.01.2013 um 17:30 Uhr
    Permalink

    Das ist eben dieser korrumpierende Graubereich, besonders im Bereich Auto und Reisen. Man kann natürlich einwenden, das seien harmlose Unsauberkeiten. Mag stimmen.

    Nur: Wer sagt denn, dass Redaktionen, die so leichthändig mit solchen Überschneidungen umgehen, nicht auch in relevanteren Bereichen so leichthändig sind? Man gewöhnt sich schnell an solche Praktiken, bis alle das in einer Redaktion für «normal» halten. Business as usual.

    Könnte ja sein, dass im Vorfeld zur Abstimmung über die umkämpfte Abzocker-Initiative Economiesuisse gut bezahlte Inserate von Wirtschaftsunternehmen vermittelt, die eine Zeitung sonst womöglich nicht bekäme, im Gegenzug aber eine kritische Haltung der Redaktion zur Minder-Initiative erwartet undsoweiter undsoweiter. – Neeeein! Nieeemals! werden alle empört rufen. Wir doch nicht!

    Aber glaub ich denen das, wenn sie schon im Bereich Auto und Reisen so grosse Mühe haben, finanziellen Einflüssen von aussen zu widerstehen. Nicht umsonst lagern Verlage diese Seiten an Agenturen aus. Dann können sie notfalls sagen: Wir wissen von gar nichts.

    Die Schlussfolgerung des Artikels ist absolut richtig: «Aber Medien verlieren auch, und zwar das, was mit Geld nicht aufzuwiegen ist: ihre Glaubwürdigkeit.»

    Das ist keine moralische, sondern eine ökonomische Frage. Irgendwann sagen die Leute zurecht: Wozu soll ich diese Zeitung kaufen? Die ist ja eh schon gekauft.

    Dieses Grundgefühl verstärkt sich im Publikum.

  • am 16.01.2013 um 11:15 Uhr
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    Es ist, unter’m Strich, tatsächlich eine ökonomische Frage. Nur lautet die im Fall von 20 Minuten, Blick am Abend und all den anderen Gratisblättern eben nicht «wozu soll ich diese Zeitung kaufen, die ist ja eh schon gekauft", sondern, angelehnt an Octave Mannoni, «ich weiss zwar, dass es gekauft (Boulevard, Blödsinn, verdummend, …) ist, dennoch aber lese ich es, weil es ja gratis ist."

  • am 3.10.2014 um 13:53 Uhr
    Permalink

    Die Verärgerung ist nachvollziehbar. Eine unabhängige Produktbeurteilung erfordert beträchtlichen Aufwand und Fachwissen. Meines Erachtens kann das z.Zeit nur die Automobil-Revue. Sinnvollerweise verzichtet diese auch auf ein «Ranking». Sie beschreiben einfach was ihnen eher positiv und was eher negativ aufgefallen ist. Der Leser kann selbst entscheiden.
    Leider ist diese pseudoredaktionelle Werbung bei der man «mediengeile Markenbotschafter» zu einer exklusiven Probefahrt einlädt und ihnen auch gleich die Unterlagen für «ihren Beitrag» mitgibt im Trend.
    In der Sache ist das aber auf dem Niveau von vorgefertigten Leserbriefen. Wenn die Redaktionen dann behaupten das sei von unabhängigen Mitarbeitern geschrieben ist das schon ziemlich dreist.
    Eigentlich schade für den interessierten Leser. Aber jede Redaktion muss selber wissen wie glaubwürdig sie sich präsentieren will.

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