Entwicklungsarbeit: Bitte recht örtlich
Es genüge nicht, mit lokalen Kräften zusammenzuarbeiten, erklärten international tätige Experten kürzlich an der Jahrestagung von Swisspeace zum Thema «Is Local Beautiful?». Vielmehr müssten Einheimische auch mitbestimmen und Verantwortung tragen können, ja «Ownership» innehaben. Einzubeziehen seien selbst Kräfte, die nicht per se «beautiful» sind, wie zum Beispiel Bürgerkriegsparteien, die auch hässliche Züge tragen; denn des einen Freiheitskämpfer sei stets des anderen Terrorist. Doch wenn der Frieden erreicht werden und der Wiederaufbau folgen solle, müssten auch Menschen mit blutigen Händen mitwirken.
So wenig das Prinzip der örtlichen Verankerung umstritten ist, so schwierig ist oft seine Verwirklichung – auch das wurde an der Berner Tagung der Schweizerischen Friedensstiftung schnell klar. Nur schon weil international tätige Organisationen gegenüber ihren Geldgebern verantwortlich sind, kommen sie nicht darum herum, bei Auswahl und Einsatz lokaler Partner ihre eigenen Kriterien anzuwenden. Dabei ist die Versuchung stark, sich an die einheimische Elite zu halten, die gewissermassen schon westlich tickt oder zumindest diesen Eindruck zu erwecken weiss. Schwieriger ist es, «local local» Kräfte zu finden und zu fördern – also solche, die fern der Hauptstädte zugunsten der einheimischen Bevölkerung wirken.
Fallbeispiele des Erfolgs
Sechs Fallstudien, wo genau dies gelungen ist, haben nun die in London ansässige Organisation Peace Direct und Swisspeace gemeinsam mit den örtlichen Partnern in einem Buch zusammengetragen und daraus Schlüsse gezogen: «Local First: Development for the Twenty-First Century». Das kürzlich erschienene Werk dient zugleich als Kern der Website localfirst.org.uk, wo es gekauft oder als (ebenfalls englische) Zusammenfassung heruntergeladen werden kann und wo ergänzende Informationen zugänglich sind. In drei Fällen (Kongo, Burundi, Moçambique) geht es um die Wiedereingliederung von Bürgerkriegskämpfern, und dreimal um den bessern Zugang der Bevölkerung zu Regierungsleistungen (Justiz in Kambodscha, Lokalverwaltung in Osttimor und Beschaffungswesen in Afghanistan).
Vom Umfang her ist das letzte Beispiel das eindrücklichste: Die kanadische Organisation Building Markets vermittelte mit einheimischen Partnern innert sechs Jahren 1364 Aufträge von insgesamt einer Milliarde US-Dollar an afghanische Firmen – vor allem Aufträge der ausländischen Truppen. Doch als sich die Organisation zurückzog, ging auch das Auftragsvolumen zurück, obwohl sie sich bemüht hatte, funktionierende Strukturen zu hinterlassen; zum Teil wurden diese der afghanischen Regierung anvertraut. Manche Lieferanten waren auch nicht bereit, die Vermittlung mitzufinanzieren.
Die andern fünf Fallstudien im Buch erwecken den Eindruck, dass die lokale Verankerung besser gelungen ist – vielleicht gerade deshalb, weil die Aufbauprogramme enger begrenzt sind. In Moçambique etwa hat eine Initiative von 14 Jugendlichen – darunter ehemalige Kindersoldaten – dazu geführt, dass 9000 Waffen eingesammelt wurden. Die Ex-Bewaffneten erhielten Werkzeug, Baumaterial oder Arbeitsmöglichkeiten – und soziale Anerkennung im Dorf. Aus manchen Waffen wurden gar Kunstwerke geschmiedet.
Lokalisieren ist anstrengend
Ein wichtiger Teil der Lehren, die im Buch gezogen werden, betrifft gerade die Grösse und das Wachstum der beteiligten einheimischen Organisationen. Oft seien diese zu klein für Projekte von «jenem Umfang, den Geber gern finanzieren», also müsse man ihre Zusammenarbeit untereinander und ihr organisches Wachstum fördern. Vorausgesetzt, man findet überhaupt geeignete einheimische Gruppen; man müsse diese auch an «unkonventionellen Orten» suchen, zugleich aber ihre Leistungsfähigkeit und Legitimität überprüfen – am besten indem man schaue, ob sie die Bevölkerung zu freiwilliger Mitarbeit bewegen könnten. Geldsegen könne solche Organisationen auch zerstören, warnen die Autoren; wichtiger sei Ausbildung, die Löhne aber müssten im örtlichen Rahmen bleiben.
Internationale Organisationen, gerade auch regierungsunabhängige (NGO), werden ermahnt, zu überprüfen, ob sie ihrem üblichen Bekenntnis zu «Local First» tatsächlich nachlebten – also ob sie bereit seien, Einheimische nicht nur zu beteiligen, sondern ihnen auch die Führungsrolle zu überlassen. Dazu brauche es langfristige Erfolgskontrolle, auch nach Abschluss des jeweiligen Projekts, um den «Mehrwert der Führung durch Einheimische» zu beurteilen. Die Möglichkeit, dass manchmal ein Minderwert resultieren könnte, wird im Buch nicht erwogen – nach seiner Logik müsste man dann wohl zum Schluss kommen, dass der Aufbau örtlicher Fähigkeiten vernachlässigt wurde. Aus auswärtiger Sicht gesagt: dass die Geber und Helfer «local» zu wenig «beautiful» gemacht haben.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Mitglied des Swisspeace-Stiftungsrats
Aha. Interessant. Und wenn ich dann frage, ob Entwicklungshilfe nicht oft Neo-Kolonialismus gleichkommt, werde ich eine ganz unangenehme «Ecke» gestellt…