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Die NZZ bald nur noch auf digitalen Kanälen? © NZZ

Wenn die Leser der NZZ (der Zeitung) das wüssten!

Christian Müller /  In Deutschland hat das Sterben der grossen Zeitungen eingesetzt. Wann kommt das auch in der Schweiz? Stirbt bald auch die NZZ?

«Das Erstprodukt ist der digitale Kanal, und wir machen nebenbei auch noch eine hervorragende Zeitung.» (1) Der dies sagte, ist kein geringerer als Markus Spillmann, seines Zeichens Chefredaktor der Neuen Zürcher Zeitung und Leiter Publizistik NZZ. Die NZZ, das Leibblatt der Schweizer Intelligenz aus Business und Kultur, nur noch als Nebenprodukt eines digitalen Kanals? Wenn die Leserinnen und Leser der NZZ das wüssten!

Ist die NZZ als Papierausgabe gefährdet?

Es ist, so es denn so wörtlich gemeint wie ausgesprochen ist, keine gute Nachricht. Nebenprodukte pflegt man nicht länger zu fabrizieren, als sie ordentlich profitabel sind. Und um die NZZ, die gedruckte Zeitung, wäre es wirklich schade. Auch wenn all die kulturell interessierten Leserinnen und Leser mit dem umfangreichen Wirtschaftsteil der NZZ wenig anzufangen wissen und ob der mehr und mehr neoliberal geprägten politischen Linie des Blattes wenig begeistert sein mögen: der Auslandteil, das Feuilleton, Forschung & Technik, die Medienseite, um nur einige Beispiele zu nennen – in der Fülle gibt es da immer noch sehr viel Lesenswertes, wenn man den Wunsch oder die Pflicht hat, ein gut informiertes Mitglied unserer Gesellschaft zu sein. Ist sie, die NZZ, die «alte Tante von der Zürcher Falkenstrasse», wie sie liebevoll genannt wird, vielleicht sogar gefährdet?

Andauerndes Zeitungssterben

Das sogenannte Zeitungssterben findet schon seit vielen Jahren statt. Kleinere Titel sind schon viele eingegangen bzw. in einem grösseren Titel aufgegangen. Viele ehemals unabhängige Tageszeitungen erscheinen nur noch als Splitausgaben grösserer Titel – mit ein paar regionalen Wechselseiten. Aber die paar Grossen, «Blick», TagesAnzeiger, NZZ, Aargauer Zeitung (seit kurzem «Die Nordwestschweiz» genannt), Basler Zeitung, diese Zeitungen glaubt man doch noch auf sicher zu haben. Glaubte man. Die Basler Zeitung BaZ arbeitet mit einem nationalkonservativen Kurs absichtlich gegen die weltoffene Basler Mentalität und dürfte des Auflageschwundes wegen bald ebenfalls nur noch eine Splittausgabe des TagesAnzeigers oder der «Nordwestschweiz» sein, oder, ähnlich wie das St. Galler Tagblatt und die Neue Luzerner Zeitung, zu einer tendenziell eher langweiligen Regional-Tochter der NZZ-Gruppe werden. – Aber auch über die BaZ hinaus ist Sturm angesagt.

Warnsignale aus Deutschland

Das Wetterleuchten kommt aus Deutschland. In den letzten Tagen hat die «Frankfurter Rundschau», eine in der Vergangenheit hochangesehene, neben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung FAZ willkommene linksliberale Alternative auf hohem Niveau, Insolvenz angemeldet. Und eben hat das grosse deutsche Medienhaus Gruner+Jahr das kurzfristige Ende der «Financial Times Deutschland» angekündigt. Beides sind Tageszeitungen mit verkauften Auflagen von über 100’000 Exemplaren.

Klar, die NZZ hat eine verkaufte Auflage von knapp 130’000 Exemplaren, 10’000 mehr als die «Frankfurter Rundschau» FR. Und ihre Konkurrentin auf dem Platz Zürich, der TagesAnzeiger, hat eine verkaufte Auflage von «nur» knapp 190’000 Exemplaren, nicht 350’000, wie die FAZ. Vor allem aber sind die Vorzeichen umgekehrt: In Frankfurt sind die Banken auf Seite der grossen FAZ, in Zürich aber bei der kleineren NZZ, nicht beim TagesAnzeiger. Und zurzeit sind es ja die Banken, die die Welt regieren. Trotzdem zeigt der Tod von zwei grossen deutschen Titeln, dass bisher Undenkbares plötzlich denkbar wird.

Woher soll das Geld kommen?

Die gegenwärtige Entwicklung der Medien-Landschaft in Deutschland wie auch in der Schweiz zeigt: Die Auflagen der gedruckten Zeitungen gehen zurück, die Nutzung der elektronischen Angebote steigt. Das Problem dabei: Die online-Angebote der Medien bringen noch kaum Erlöse. Zu tief sitzt bei den Internet-Usern die Gratis-Mentalität. Vor allem aber funktioniert die Werbung bei den Online-Angeboten noch nicht richtig – oder wird es nie tun. Denn je kleiner die Bildschirme, umso schwieriger ist da noch Werbung unterzubringen. Wo sollen die ganzseitigen Anzeigen für Prestige-Uhren wie Audemars Piguet, Blancpain, Breguet, Breitling, Longines, Omega und wie sie alle heissen, die gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit Millionen in die Kasse der NZZ spülen, noch platziert werden, wenn die Leute nicht mehr die NZZ als Zeitung lesen, sondern die News nur noch auf ihrem iPhone abrufen?

Gefährliche Strategie

Die Strategie der NZZ, die gedruckte Neue Zürcher Zeitung nur noch «nebenbei», als Nebenprodukt im Angebot zu haben, ist deshalb hoch gefährlich. Die Degradierung zum Nebenprodukt macht vor allem deutlich, dass man an die bisherige Erscheinung nicht mehr wirklich glaubt. Wie schreibt doch Giovanni di Lorenzo, der Chefredakteur der deutschen Wochenzeitung «Die Zeit», auf der Frontpage der neusten Ausgabe wörtlich: «Es gibt keine Branche in Deutschland, die sich so lustvoll und unheilvoll selbst beschädigt hat, wie es viele Verleger, Geschäftsführer und Journalisten der Printmedien getan haben. Sie begleiteten die Einführung ihrer Onlineangebote so manisch, als hätten sie permanent gekokst. Zu dieser Zeit hatten sie überwiegend Blätter, die reinste Gelddruckmaschinen waren; und sie waren Anteilseigner (und sind es trotz aller Schwierigkeiten immer noch) der in ihrer Vielfalt, Ernsthaftigkeit und Unabhängigkeit vielleicht besten Medienlandschaft der Welt. Nun überboten sie einander in der Lobpreisung des neuen Mediums. Was sie damit ihren bisher treuen und zahlenden Lesern auch vermittelten, war: Schön, dass ihr noch dabei seid, aber das Medium der Zukunft ist ein anderes, es ist das Internet.» (2)

Sich selber zu Tode reden…

Genau das hat jetzt auch die NZZ wieder getan, expressis verbis. Warum aber sollen die gedruckten Tageszeitungen einfach verschwinden? Das Radio ist auch nicht verschwunden, obwohl das Fernsehen dazu kam. Vielleicht wäre es die bessere Startegie, die gedruckten Tageszeitungen anstatt zum Nebenprodukt zu degradieren zum Medium der Privilegierten zu erklären. Eine echte Zeitung auf dem eigenen Kaffeetisch zu haben, das zeigt meinen Gästen, aber auch mir selber, dass ich noch jemand bin: einer, der sich noch etwas leisten kann, nicht einer, der in den Aldi rennt, weil dort das Waschpulver 25 Rappen billiger ist…

Gefragt sind Blicke über den Tellerrand hinaus

Die Zeitungsverleger und Verlagsmanager könnten sich ausnahmsweise auch einmal in einer anderen Branche umsehen. Zum Beispiel bei den Motorrädern. In den 1960er Jahren waren die Motorräder noch das Vehikel der armen Leute, die sich ein Auto nicht leisten konnten. Sie würden gelegentlich ganz verschwinden, dachte man. Dann merkten die Hersteller, dass das Motorrad auch als Spielzeug der Adrenalinkick-Süchtigen und als Luxus-Objekte der Privilegierten positioniert werden könnte. Und schon war der Aufschwung der Motorrad-Branche wieder da. Heute fahren nicht zuletzt die bestverdienenden Manager die teuersten Harley Davidson-Maschinen, unter ihnen zum Beispiel Daniel Vasella von Novartis, mit über 20 Millionen Franken Jahreseinkommen wahrlich kein armer Mann.

Ähnliche Beispiele gäbe es zum Beispiel auch in den Bereichen Wein oder Bier, und anderen. Aber eben: Von Anderen zu lernen ist nicht die spezifische Gabe der Verleger. Ihr Ego in der Publikumssonne zu baden, ist ihnen meist wichtiger.

Schade.

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(1) Das Interview erschien im Newsletter des deutschen Branchendienstes kressreport.
(2) In der gleichen Ausgabe der ZEIT (23.11.2012) finden sich weitere Artikel zum Thema. Besonders lesenswert ist die These 2 zum Journalismus von Götz Hamann und Bernd Ulrich. Siehe unten zum Anklicken.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor war 25 Jahre Journalist und Redaktor, anschliessend 20 Jahre Verlagsmanager und ist heute Inhaber einer Firma für Publishing Consulting (Commwork AG).

Zum Infosperber-Dossier:

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2 Meinungen

  • am 25.11.2012 um 12:10 Uhr
    Permalink

    "…wenn man den Wunsch oder die Pflicht hat, ein gut informiertes Mitglied unserer Gesellschaft zu sein.".
    Und da soll die Wirtschaft nicht dazu gehören wie weiter oben geschrieben steht. Hat der Autor vielleicht übersehen, dass auch sein Konto am Ende des Monats von einem Teil eben dieser Wirtschaft alimentiert wird? Oder lebt der Schreiber vielleicht von Steuergeld oder schon von «bedingungslosem Grundeinkommen"?

  • am 30.11.2012 um 00:57 Uhr
    Permalink

    Mit ihrer Online-Hörigkeit schaffen sich die Printmedien, die Radios und auch das Fernsehen langsam aber sicher selber ab. Es ist kaum zu glauben, in wievielen Zeitungen am Ende eines (anscheinend gekürzten) Artikels steht: Das ganze Interview mit XY finden Sie auf unserer Webseite. Auf Radio DRS1 heisst jeder 3. Satz: Mehr Infos finden Sie auf unserer Webseite DRS1.ch. Und auch im TV wird immer mehr auf die entsprechende Webseite verwiesen und dort mehr Info versprochen. Ja, Himmel Herrgott, warum soll ich dann noch Zeitung lesen, Radio hören oder TV schauen, wenn die mir immer mitteilen, dass im Web alles umfassender und informativer ist? Was haben diese Betriebe für Marketing-Abteilungen, welche ihr Produkt freiwillig selbst abwerten? Ich würde das Umgekehrte erwarten, nämlich, dass auf der jeweiligen Webseite steht: Mehr Hintergrund und Analyse lesen, hören oder sehen Sie in unserer Zeitung resp. in der entsprechenden Radio- oder TV-Sendung.
    Dieter Stumpf, Basel

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