Wenn die Verleger Krokodilstränen vergiessen…
Wann immer sich Verleger treffen, an Verbandssitzungen, an Jubiläumsfeiern, an Fachtagungen, an internationalen Kongressen: sie jammern und sie vergiessen Krokodilstränen.
Thema Nr. 1: Die öffentlich-rechtlichen Funkanstalten nehmen den privatwirtschaftlichen Medienunternehmen zu viel Werbegeld weg. Ihre Bewegungsfreiheit, speziell im Internetbereich, so argumentieren die Verleger, sollte deshalb eingeschränkt werden.
Thema Nr. 2: Die (zunehmenden) Erlöse aus dem Internet vermögen die (zurückgehenden) Erlöse aus den Print-Medien nicht zu kompensieren. Die Medienunternehmen stehen deshalb wirtschaftlich unter Druck.
Zu Thema Nr. 1: Die öffentlich-rechtliche Rundfunk-Anstalten machen, allen Unkenrufen zum Trotz, einen guten Job. Alles in allem sind die Hörer und Zuschauer zufrieden und akzeptieren, dass sie dafür, auf welchem Wege auch immer, bezahlen müssen. Das zwingt die privaten Medien-Unternehmen, auch ihrerseits etwas zu bieten, das seinen Preis wert ist. Nur: Statt diese Herausforderung zu packen und zu beweisen, dass die Effizienz der Privatwirtschaft höher ist als bei staatlichen Betrieben, versucht man, dem Konkurrenten Steine in den Weg zu legen. Das ist keine überzeugende Politik, vor allem wenn gleichzeitig nach staatlichen Subventionen der eigenen Betriebe geschrien wird, wie zum Beispiel in der Schweiz beim privaten Hörfunk und beim privaten Fernsehen.
Infosperber hat zu wiederholten Malen zu diesem Thema berichtet (siehe etwa »Medien-Konzerne sind phantasielos».
Zu Thema Nr. 2: Dass es nicht ganz einfach ist, die rückläufigen Erlöse aus den Printmedien mit Erlösen aus dem Internet zu kompensieren, ist verständlich. Seit etlichen Jahren sind es die Leute von der Strasse gewohnt, Zeitungen gratis zu erhalten. Und seit etlichen Jahren sind es die jungen Leute gewohnt, am PC Informationen gratis abrufen zu können. Diese Gratis-Info-Mentalität sitzt mittlerweile tief. Nur: Wer hat diese Mentalität denn geschaffen, um nicht zu sagen: herangezüchtet?
Es stimmt: Angefangen in Europa mit den Gratis-Zeitungen haben die Nordländer. Aber die deutschen Verleger zum Beispiel haben die Gefahr sofort erkannt und dafür gesorgt, dass die Gratis-Seuche sich in ihrem Land nicht ausbreiten konnte. Als die Skandinavier in Köln einen ersten Versuch in Deutschland mit einem Gratis-Blatt machten, waren innerhalb weniger Wochen zwei deutsche Konkurrenz-Gratis-Blätter auf dem Markt. Mit dem Resultat, dass nach etwa zwei Jahren die Skandinavier Mangels wirtschaftlichem Erfolg die Segel wieder strichen. Und nur zwei Wochen später waren auch die beiden deutschen Konkurrenz-Gratis-Blätter wieder weg.
Und wie war es in der Schweiz?
Hier in der Schweiz wurde dagegen eine Gratis-Zeitung nach der anderen gegründet. Alle hofften – und vertrauten – auf das grosse Geld. Und dies, obwohl bald einmal klar war, dass in der deutschen Schweiz allerhöchstens eine bis zwei Gratiszeitungen profitabel sein konnten. Und – deutlich schwerwiegender – obwohl die Verleger damit ihr eigenes Business Modell – die Verbreitung von Nachrichten und Unterhaltung gegen Entgelt – offenen Auges schädigten und ruinierten.
Als der Autor dieser Zeilen, damals CEO einer Medien-Gruppe, in den von ihm verantworteten Tageszeitungen eine Werbekampagne gegen die «Gratis-Blättli» startete und seine Kollegen bei den anderen Medien-Gruppen aufforderte, die Kampagne zu übernehmen oder eine eigene zu lancieren, wurde er nur belächelt. Kein anderer Verlag machte mit, keine einzige andere Zeitung wollte sich das vermeintlich so erfolgreiche Business mit Gratis-Zeitungen verderben.
Und jetzt das grosse Wehklagen
Marc Walder, seines Zeichens CEO von Ringier, des grössten Schweizer Verlages, sagte an einem Podiumsgespräch an den Münchner Medien-Tagen (24.–26.10.2012) gemäss dem Medien-Branchendienst persönlich.com unter dem Titel «Marc Walder spricht Klartext» folgendes: «Die Reichweite von Print-Marken war noch nie so hoch – die Monetarisierung jedoch noch nie so schlecht.» Das Preisniveau in der digitalen Welt – sowohl im Nutzer- als auch im Werbemarkt – bringe Medienhäuser in grossen Zugzwang. «Digital kompensiert bei weitem nicht die Verluste aus dem Print. In den USA nahm die Werbung in Zeitungen von 2010 auf 2011 um USD 2.1 Mia. ab; dem gegenüber steht ein Plus von USD 207 Millionen bei der Online Werbung.» Im mobilen Internet seien die Prognosen nicht rosig – das spüre derzeit auch Google sehr stark. «Schuld ist der Trend, dass immer mehr Nutzer über Smartphones und Tablets aufs Internet zugreifen – auch bei Suchabfragen via Google. Oder vereinfacht gesagt: Kleinere Screens bedeuten auch kleinere Werbeerlöse.»
Was heisst das konkret? Mit der Einführung der Gratis-Zeitungen hat sich die Medien-Branche von ihrem Kerngeschäft, Informationen und Unterhaltung gegen Entgelt zu verbreiten, verabschiedet und sich auf die Erlöse aus der «mitgelieferten» Werbung verlassen. Jetzt, wo es bei den immer kleiner werdenden Internet-Geräten immer schwieriger wird, auch Werbung mitzuliefern, haben sie gar nichts mehr – und jammern darüber, wie schwierig es ist, die gelieferte Information zu «monetarisieren», sprich: für sie Geld zu erhalten.
Mitleid mit den Verlegern ist also nicht angesagt. Problematisch allerdings sind die Folgen der neuen Strategien der Medien-Häuser. Die einen suchen den Ausweg durch eine Verkopplung von Information, PR und Star-Promotion – zulasten des unabhängigen Journalismus (z.B. Ringier), die anderen bauen die redaktionellen Kapazitäten ab, bereinigen Märkte durch Absprachen und ersetzen Berichte von freien Journalisten und Journalistinnen durch «Mitg.» und «zvg»: gratis mitgeteilte und zur Verfügung gestellte Texte, die in neun von zehn Fällen nicht den Lesern und Leserinnen dienen, sondern den Einsendern. Sie sind nicht selten reine PR-Texte.
Nicht zu unterschätzen ist auch der gesellschaftspolitische Schaden. Da, wo die Information nur noch von der Werbung finanziert wird, besteht die Gefahr, dass sie auch von der Werbung gesteuert wird. Weit davon weg sind wir nicht mehr.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Autor war von 2003 bis 2009 CEO der Vogt-Schild Medien Gruppe in Solothurn. Weitere Details können unter www.commwork.ch eingesehen werden.