Kalte Betten entzweien die Seelen im Dorf
Abgesehen von einzelnen alten Häusern gibt Cumbel kein Postkarten-Sujet her. In der kleinen Bündner Berggemeinde im Val Lumnezia wurde in den letzten Jahren nicht nur im Zentrum oder am Dorfrand, sondern hier und dort auch mitten in der grünen Wiese gebaut, wie nie zuvor – fast ausschliesslich so genannte Zweitwohnungen.
Während drei oder vier Wochen sind diese bewohnt. Für den Rest des Jahres sind die Fensterläden auch tagsüber geschlossen und nachts die Betten leer oder kalt, wie es im Fachjargon heisst.
So verhält es sich auch an einem regnerischen Mittwoch im September. Abgesehen von den Arbeitern auf den Baustellen bewegt sich im Dorf nur der Durchgangsverkehr. Fussgänger sind keine unterwegs. Das Restaurant Larisch im Zentrum hat Ruhetag. Sogar die Tür zum Gemeindehaus ist mittwochs den ganzen Tag geschlossen.
Einzig in der Cafeteria des Seniorenheims Da Casa Val Lumnezia herrscht ein wenig Betrieb. Die meisten Pensionäre stammen aus dem Tal. Einige haben Besuch von ihren Kindern oder Enkeln erhalten, die aus dem Unterland angereist sind.
Für die Dorfpolitik interessierten sich die Pensionäre nicht mehr, sagt eine Angestellte, welche die betagten Gäste bewirtet. Sie selber will sich auch nicht zum Thema äussern, das derzeit im Dorf zu reden gibt, der Bau von weiteren Zweitwohnungen.
«Ich finde es eine Frechheit, dass die Feriengäste mehr Wohnungen im Val Lumnezia haben, als wir Einheimischen», sagt ihre Kollegin Ursula Solèr, die in einem Nachbardorf wohnt und im Seniorenheim in Cumbel arbeitet. «Junge Leute finden in den Dörfern des Tals kaum eine Wohnung.»
Wenn sie in Cumbel wohnen würde, hätte sie ihre Unterschrift auch gegeben für die Initiative, die hier von 45 Personen – genau einem Viertel der Stimmberechtigten – unterzeichnet worden ist. Die Initianten verlangen, dass die Gemeinde Cumbel einen Baustopp für Zweitwohnungen erlässt.
«Baubewilligungen stoppen»
Nach der Annahme der Eidgenössischen Volksinitiative gegen den «uferlosen Bau von Zweitwohnungen» vom 11. März dieses Jahres sind zahlreiche Berggemeinden von Baugesuchen überhäuft worden. Die meisten Bauwilligen hoffen, noch schnell eine Bewilligung zu erhalten, bevor dies per Bundesgesetz verboten sein wird.
Im Kanton Graubünden haben eine Handvoll Gemeinden mit dem Erlass einer sogenannten Planungszone auf die Flut von Baugesuchen reagiert. Das Instrument hat in diesen Zonen die Wirkung eines befristeten Baustopps für Zweitwohnungen. Und genau das verlangen die 45 Unterzeichnenden in Cumbel mit ihrer Initiative auch von ihrer Gemeinde.
Katharina Belser ist eine von ihnen. Sie nützt ihre Bürgerrechte nicht zum ersten Mal, um sich gegen den Bau von Zweitwohnungen in der Gemeinde zu wehren. Eine Planungszone hatte sie von der Gemeinde schon gefordert, bevor über die Zweitwohnungs-Initiative abgestimmt wurde, aber ohne Erfolg.
Um zu verhindern, dass der Wille des Schweizer Stimmvolks, dem uferlosen Bau von Zweitwohnungen ein Ende zu setzen, in ihrer Gemeinde vor Inkrafttreten noch schnell mit zahlreichen Baugesuchen umgangen wird, hat sie mitgeholfen, Unterschriften zu sammeln.
«Einige profitieren»
«Wir gingen von Haus zu Haus. In fünf Tagen hatten wir bereits 45 Unterschriften gesammelt, mehr als genug. Sogar Leute aus der Baubranche haben unterschrieben. Einige wollten oder wagten nicht, ihre Unterschrift zu geben, aber wir haben niemanden angetroffen, der die Entwicklungen mit den Zweitwohnungen gut findet.»
Ihre Unterschrift gegeben hat auch Corinne Arpagaus. «Es ist schade, dass alles überbaut wird. Überall entstehen neue Häuser, die nicht ins Dorfbild passen, Häuser, deren Fensterläden fast immer geschlossen sind.»
Einige Firmen hätten vom Bau profitiert – oft nur für eine kurze Zeit und häufig würden auch auswärtige Firmen beauftragt, argumentiert die junge Biobäuerin aus Cumbel. Die meisten andern Leute im Dorf hätten kaum einen Nutzen von diesen Zweitwohnungen, sondern nur deren Nachteile zu ertragen. «Viele Ferienwohnungsbesitzer kommen nur für ein paar Tage in die Ferien, und sämtliche Lebensmittel bringen sie aus dem Unterland mit.»
Baugesuche des Gemeinderats
In der 245-Seelen-Gemeinde, die schon heute einen Zweitwohnungsanteil von über 60 Prozent aufweist, sind allein seit dem 11. März Gesuche für den Bau von 25 weiteren Wohnungen eingegangen. Eingereicht wurden sie von der «alpine architektur+bau gmbh».
Das Architekturbüro gehört zur Schreinerei Arpagaus SA in Cumbel. Deren Inhaber, Otmar Arpagaus (er ist mit Corinne Arpagaus nicht verwandt), ist Mitglied des 5-köpfigen Gemeindevorstands und verantwortlich für das Bauwesen in der Gemeinde.
Für eine Stellungnahme gegenüber swissinfo.ch war Otmar Arpagaus nicht bereit, sondern teilte in einer E-Mail nur mit: «Es versteht sich von selbst, dass ein Gemeinderat in Ausstand tritt, sobald es ein Sachgeschäft zu behandeln gibt, das diese Person in irgendeiner Weise betrifft.»
Katharina Belser hat zwar Verständnis, dass das Architekturbüro und die Schreinerei im Dorf Aufträge brauchen, um ihre Existenz zu sichern. Sie selber hat die Holzarbeiten an ihrem Haus am Dorfrand auch von der Firma Arpagaus SA ausführen lassen. «Die Schreinerei hatte eine Existenz schon vor dem Zweitwohnungsboom.»
Von den 14 Angestellten wohnten nur ein halbes Dutzend im Dorf. «Bei einigen handelt es sich um Saisonniers, die in den letzten Jahren angestellt wurden, um das riesige Bauvolumen zu bewältigen. Man kann doch nicht das ganze Tal verbauen, um die Bauwirtschaft in dieser aufgeblasenen Grösse bis in alle Ewigkeit aufrecht zu erhalten.»
Ist der Mist geführt?
Aber Gemeindepräsident und Landwirt Pius Bundi kann mit der Initiative seiner Mitbürger «nicht viel anfangen», sagt er gegenüber swissinfo.ch und lässt durchblicken, dass der Mist bereits geführt sei. «Jawohl, die Einsprachen werden abgewiesen.» Die Baugesuche würden von der Gemeinde bewilligt, wenn sie dem Baugesetz entsprächen.
Am 1. Januar 2013 werde die Gemeinde Cumbel nämlich mit 7 weiteren Gemeinden im Tal zu einer einzigen fusioniert. «Der Fusionsvertrag lässt es nicht zu, dass wir noch auf neue Vorhaben eintreten», begründet Bundi den Entscheid des Gemeinderats.
Im Fusionsvertrag steht dazu allerdings nur, dass die Gemeinden in der Übergangszeit keine neuen finanziellen Verpflichtungen eingehen dürfen und die Gesetze der verschiedenen Gemeinden innerhalb von maximal 5 Jahren harmonisiert werden sollen.
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Das Interview erschien zuerst auf www.swisssinfo.ch.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Wieder einmal Korruption in der Schweiz. Die Gemeindebehörde wendet das Übergangsgesetz falsch an. Warum ? Weil sie die Macht haben ?
Und niemand «fällt denen in den Arm» ? Warum nicht ?
Die Rechte der Schweizer Bevölkerung stehen nur auf dem Papier.