Schottland zeigt Transparenz, die man sich wünscht
Die Reise durch Schottland: atemberaubende Highlands, Single Malt Whisky, 3000 Seen (»Lochs») und 790 Inseln. Schottland ist fast doppelt so gross (78’772 km²} wie die Schweiz, hat aber nur etwas mehr als die Hälfte seiner Einwohner (5,1 Millionen).
Die Hauptstadt Edinburgh hat mehr Einwohner (465’000) als Zürich. Geht man vom Hügel mit dem Königsschloss die Strassenzüge der Royal Mile hinunter, gelangt man am Ende zur schottischen Residenz der britischen Queen. Gleich gegenüber liegt der futuristische Bau des Katalanen Enric Miralles, das schottische Parlament.
Das alte Parlament wurde 1707 durch den «Act of Union» mit dem englischen Parlament zusammengelegt. 291 Jahre später wurde es mit dem «Scotland Act» von 1998 unter der Labour-Regierung von Tony Blair wiederbelebt und am 1. Juli 1999 offiziell eröffnet. Seine Befugnisse kann man plus/minus mit denen eines Schweizer Kantons vergleichen.
Kommissionen tagen öffentlich
Tritt man durch die Sicherheits-Schleuse ins Gebäude ein, spürt man den schottischen Stolz über diese Institution. Das 129-köpfige Parlament tagt dreimal pro Woche. Die Debatten sind öffentlich und können – wie die Sessionen in Bern – auf Web-TV verfolgt werden. Der Clou liegt anderswo: Kommissionssitzungen sind ebenfalls öffentlich, werden live auf Internet gezeigt, aufgezeichnet und protokolliert. Die Arbeit in den Ausschüssen ist also für jedermann transparent und zugänglich (siehe Link am Schluss).
Im Parlamentsgebäude sind die sechs Sitzungszimmer für Kommissionen von aussen durch grosszügige Scheiben einsehbar; es werden Experten geladen und befragt, Publikum und Journalisten verfolgen die Sitzungen. Im übrigen sollen die Ausschüsse ihre Sitzungen nicht nur in Edinburgh, sondern überall in Schottland abhalten.
Diese Transparenz muss man sich im Bundeshaus vorstellen. Undenkbar! Zwar werden die Plenums-Debatten der beiden Räte per Web-TV live übertragen und im amtlichen Protokoll veröffentlicht. Die Kommissionssitzungen dagegen sind sie tabu, Journalisten als Augen- und Ohrenzeugen nicht erwünscht. Informiert wird nach den Sitzungen.
Bundeshaus: Vertraulichkeit über allem
Das Parlamentsgesetz des Bundes vom 13. Dezember 2002 hält dazu in Artikel 47 unmissverständlich fest: «Die Beratungen der Kommissionen sind vertraulich; insbesondere wird nicht bekannt gegeben, wie die einzelnen Teilnehmerinnen und Teilnehmer Stellung genommen und abgestimmt haben.»
Im Bericht der staatspolitischen Kommission des Nationalrates vom 1 März 2001 liest man, die Vertraulichkeit der Sitzungen sei «ein wesentliches Element»; der Prozess der Meinungsbildung soll «möglichst frei und unbeeinträchtigt von Medieneinflüssen» stattfinden können. In Schottland sieht man das ganz offensichtlich viel weniger eng.
Immerhin sollen in Bern Kommissionen wenigstens beschliessen können, «Anhörungen öffentlich durchzuführen», wie Absatz 2 von Artikel 47 formuliert. Davon ist aber bisher wenig zu spüren. Und bei den Beratungen wären die Medien ohnehin wieder draussen.
Motion stillschweigend beerdigt
Der Zürcher CVP-Nationalrat Rolf Seiler forderte in einer Motion schon 1994, dass die Kommissionssitzungen «grundsätzlich öffentlich durchgeführt werden». Da es ohnehin immer wieder zu Indiskretionen komme, wäre das die «sauberste Lösung», erklärte er im Vorstoss. Doch der Nationalrat schrieb ein Jahr später am 21. Dezember 1995 Seilers Motion ab, «da der Urheber aus dem Rat ausgeschieden ist». Auch so kann man sich eines Problems entledigen. Dabei ist es bis heute geblieben.
Derweil plant Schottland den nächsten Aufbruch: Der Austritt aus dem Vereinigten Königreich in die vollständige Unabhängigkeit. Seit dem 5. Mai 2011 verfügt die Scottish National Party (SNP) im Parlament mit 69 Sitzen über die absolute Mehrheit und stellt die Regierung mit ihrem Chef Alex Salmond (First Minister). Unter der Führung der SNP wird das schottische Volk 2014 über die Unabhängigkeit abstimmen. Meinungsumfragen zeigen allerdings, dass bisher nur ein Drittel dazu neigt.
Connery: Andy Murray ist Schotte
Einer der flammendsten Befürworter ist der Filmschauspieler und SNP-Sponsor Sean Connery. Das zeigte er erst neulich wieder, nachdem Tennis-Star Andy Murray das US-Open gewonnen hatte. Connery war live dabei und rief nach Murrays Triumph Journalisten zu: «Hört endlich auf zu sagen, dass er Brite sei. Er ist Schotte.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine