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Mitt Romney im Wahlkampf © n.

USA: Millionäre zahlen keine Einkommenssteuer

Robert Ruoff /  Auch die NZZ bestätigt jetzt die kritische Analyse. Und das «Wall Street Journal» sieht Mitt Romney im freien Fall.

Mitt Romney wird die «47 Prozent» nicht mehr los. Auch wenn er sich jetzt als Präsident «für die 100 Prozent» verkaufen will. Selbst seine Freunde stellen das fest.

Auch die NZZ, zu der ich am Mittwoch in «Infosperber» wegen ihrer Nicht-Berichterstattung ein paar kritische Bemerkungen platziert hatte. Auf «NZZ online» und in der Druckausgabe hat sie am Donnerstag mit einer präzisen Zahlenanalyse nachgezogen. Im Wirtschaftsteil, mit einer für Freund Romney wohlwollenden Ankündigung auf der Frontseite. Lesenswert, weil klar und präzise.

Der Washington-Korrespondent hält zwar daran fest, dass zwischen 46 und 47 Prozent der Amerikaner dem Bundesstaat keine Einkommenssteuern bezahlen. Das heisst aber nicht, dass sie alle keine Steuern bezahlen. Wer arbeitet, bezahlt Lohnsteuern und Sozialabgaben für die Rente und die Krankenversicherung; es bleiben insgesamt 18 Prozent, die weder Lohn- noch Einkommenssteuern bezahlen, und das sind vorwiegend Pensionierte und bedürftige Familien. Mit Einnahmen von weniger als 24’000 Dollar für eine vierköpfige Familie oder 25’000 Dollar für alleinstehende Rentner.

Viele Rentner mögen Romney. Sie gehören zwar zu den «47 Prozent», um die sich Mitt Romney nicht kümmern wollte («not my job»), aber bis vor der Veröffentlichung des Videos mit seinen Aussagen hatte er laut Umfragen bei den Rentnern einen Vorsprung von 19 Prozentpunkten gegenüber Barack Obama. Berichtet die NZZ. Obama dürfte sich jetzt für das Geschenk bedanken.

«Abstauber» und «Schmarotzer»: Eine «Erfindung» der Republikaner

Romneys Problem sind nicht die Zahlen. Romneys Problem ist die Verachtung oder zumindest die Unkenntnis der Menschen, die in Armut leben und die angeblich «keine Verantwortung übernehmen» wollen. Und dabei verwirft er das Erbe seiner eigenen Partei. Michael Tomasky erinnert in «Daily Beast» daran, dass die Republikaner selber die Politik der Steuerbefreiung auf den Weg gebracht haben. Gemeinsam mit Demokraten, in überparteilicher Zusammenarbeit. Im 20. Jahrhundert. Zu einer Zeit, in der die Republikaner Armut und Arbeitslosigkeit noch nicht als «moralisches Versagen» betrachtet haben.

Bruce Bartlett, ehemaliger Berater von US-Präsident Ronald Reagan, hat das bereits vor einem Jahr in der «New York Times» festgehalten. Der republikanische Präsident Gerald Ford hatte 1975 die Steuerbefreiung für Geringverdienende eingeführt, um sie zu motivieren, im Arbeitsleben zu bleiben oder schnell wieder Arbeit anzunehmen. Mit dieser Politik erhöhte er die Zahl der von Einkommenssteuer Befreiten mit einem Schlag auf 25 Prozent – vorher waren es gut 19 Prozent gewesen.

Steuerbefreiung für Selbstverantwortung

Der republikanische Präsident Ronald Reagan hat diese Steuerbefreiung noch etwas erweitert, aber einen grossen Zuwachs – auf gut 36 Prozent der Steuerpflichtigen – erlebte sie unter dem republikanischen Präsidenten George W. Bush, der zwar vor allem die hohen Einkommen entlastete aber für alle einen spürbaren Kinderfreibetrag einführte. Mit der Finanzkrise und der grossen Rezession von 2008 wuchs die Zahl der Berechtigten nochmals; sie liegt heute bei den bekannten «47 Prozent».

Das System der Steuerbefreiung für Geringverdiener soll auch Arbeitslose dazu motivieren, eine Stelle anzunehmen, also Selbstverantwortung zu übernehmen –und das scheint zu funktionieren. «Die meisten Familien nehmen den EITC («Earned Income Tax Credit») nur vorübergehend in Anspruch: 61% der Bezüger für ein oder zwei Jahre», schreibt die NZZ.

Romneys Kritik an den «47 Prozent» ist also erstens falsch und zweitens im Wahlkampf auch eine Steilvorlage für Präsident Obama. «Ich denke, Romney ist wohl nicht sehr viel im Land herumgekommen», so Obama. «Ich reise die ganze Zeit durch Amerika und stelle fest: Die Amerikaner arbeiten hart, und ihr Problem ist nicht, dass sie nicht arbeiten wollen und lieber Zahlungen der Regierung beziehen…Wenn sie keine Arbeit haben, versuchen sie, möglichst schnell wieder eine zu finden.»

Und weiter, so der Präsident: «Es gibt auch einen ganzen Haufen von Millionären, die keine Steuern bezahlen.»

Tausende von Millionären bezahlen keine Steuern

Mitt Romney hätte das wissen können – wenn er es nicht sowieso schon weiss. Der ehemalige Reagan-Berater Bartlett hat die Zahlen für die nationale Einkommenssteuer schon im Juni 2011 in der «New York Times» veröffentlicht: «78’000 Steuerpflichtige mit einem Einkommen von 211’000 bis 533’000 Dollar bezahlen 2011 keine nationale Einkommenssteuer.»

Ausserdem gibt es (immer für das Jahr 2011) «24’000 Haushalte mit Einkommen zwischen 533’000 und 2.2 Millionen Dollar mit Null Einkommenssteuer.»

« Und 3000 Steuerpflichtige mit Einkommen über 2.2 Millionen haben die gleiche Steuerpflicht wie die Menschen, die knapp über der Armutsgrenze leben.»

Die Ursache dafür liegt nicht in den Regeln des EITC. «Ein Grund», so Bartlett, «ist zweifellos, dass ein hoher Prozentsatz ihres Einkommens Kapitalgewinne sind, und dass sie vielleicht Verluste aus den vergangenen Jahren in Abzug bringen können. Andere haben sich vielleicht entschlossen, ihr ganzes Vermögen in steuerfreien städtischen Schuldscheinen anzulegen.»

«Und selbstverständlich gibt es eine grosse Industrie von Anwälten, die ihren Lebensunterhalt mit der Beratung der reichen Leute bestreiten, wie sie ihre Steuerpflicht minimieren können, indem sie die entsprechenden Regeln des Steuergesetzes ausschöpfen.»

Bartlett legt Wert darauf, dass seine Zahlen sich ausschliesslich auf die legalen Möglichkeiten der «Steuervermeidung» beziehen, die «sehr weit gespannt sind, vor allem am unteren und am oberen Ende der Steuerskala.»

Mitt Romney hat bisher nur seine Steuerklärung von 2010 voll veröffentlicht und nicht, wie sonst im US-Wahlkampf üblich, für die letzten zehn Jahre. Er hat 2010 für sein Einkommen von 42,5 Millionen einen Steuersatz von 13,9 Prozent erreicht. Der maximale Steuersatz liegt bei 35 Prozent. Romney, so die «Huffington Post», zählt definitiv «nicht zu den ’47 Prozent’». Und viele seiner Mitarbeiter haben wahrscheinlich einen höheren Steuersatz als er.

Im freien Fall

Mitt Romney ist ein Privilegierter, der in einem wohlhabenden Haus des republikanischen Establishments aufgewachsen ist. Er konnte sich den Studienkredit vom Vater borgen, mit dieser Startvorgabe schnell politische Karriere machen und sich ein 250-Millionen-Vermögen erwerben. Wobei er einige Unternehmen zerlegt hat. Das disqualifiziert ihn nicht im amerikanischen System; etliche Lebensläufe amerikanischer Präsidenten lesen sich ähnlich. Manche haben die Verbindung zum amerikanischen Volk in seiner Breite und Vielfalt nicht nur erfolgreich dargestellt sondern das Mitempfinden mit den sozial Benachteiligten in ihre Politik auch einfliessen lassen.

Damit hätte selbst Romney die Menschen gewinnen können. Als Gouverneur von Massachusetts hat er eine Krankenversicherung eingeführt, die Obama als Vorlage diente, er war für das Recht der Frauen auf Abtreibung und gelegentlich sogar für Steuererhöhungen (Jens Fleischhauer erinnert daran im «Spiegel»). Aber all diese Positionen hat er im Wahlkampf aufgegeben, um sich die Unterstützung der evangelikalen Eiferer und libertären Staatsgegner mit ihrer Tea Party zu sichern. Und mit seiner heimlich aufgezeichneten Dinnerrede hat er erfolgreich den Eindruck erweckt, dass ihm das Mitempfinden für die breite und benachteiligte Bevölkerung völlig fehlt.
Er hat die 47 Prozent und noch einige mehr daran erinnert, dass Amerika eine gespaltene Gesellschaft ist, mit denen da unten, die sich durchs Leben kämpfen, und denen da oben, die sich darum nicht kümmern – «my job is not to worry about these people». Und er hat Obamas Wahlkampfthema bestätigt: Dass es zwei verschiedene Visionen gibt für Amerika, und dass die Wählerinnen und Wähler entscheiden, welchen Weg ihr Land gehen soll.
Die meisten konservativen Kommentatoren sind entsetzt, und offenbar wendet sich jetzt auch ein entscheidender Teil der Wählerinnern und Wähler von Romney ab. Die neueste Umfrage von Wall Street Journal/NBC/Marist zeigt, dass er in Swing-Staaten wie Iowa, Colorado und sogar Wisconsin – immerhin der Heimatstaat seines Vize Paul Ryan – deutlich zurückliegt, und dass auch seine Aussichten in den umkämpften Staaten Florida, Virginia und Ohio schwinden. Und diese Staaten entscheiden bekanntlich über Sieg oder Niederlage.

Knapp bei Kasse

Romney liegt offenbar auch bei der Fernsehwerbung zurück. Die Convention der Republikaner hat zwar wie erhofft einen Spendenschub gebracht, aber im August hat ihn Obama deutlich geschlagen. Und es scheint, so jedenfalls die «New York Times», dass die von Romney veröffentlichten Spendenzahlen besser aussahen als sie in Wirklichkeit sind. Die Spender haben viel Geld zweckgebunden gegeben: für die Partei, für Einzelstaaten oder den Kongresswahlkampf, sprich: diese Gelder kann Romneys gar nicht im eigenen Wahlkampf einsetzen.

Barack Obama erhält offenkundig mehr Geld zu seiner eigenen freien Verfügung, und das setzt er wahrnehmbar ein für massive Fernsehwerbung in den umkämpften Swing-Staaten. Die neuen Umfragen zur Wahl könnten den Geldfluss zugunsten Obamas noch verstärken. Die Demokraten jedenfalls haben Hoffnung geschöpft und öffnen offenbar jetzt ihre Schatullen.

Wenig Hoffnung für Romney

Das hoch angesehene und gut vernetzte Internet-Magazin «Politico» schildert in einer vielsagenden Szene, wie schwer es für Romney werden wird, die Nerven der Sponsoren zu beruhigen. Bei einem dieser berühmt-berüchtigten Sponsorenessen (am 14. September in New York), bei dem man mit 2500 Dollar dabei war – und manche hatten 50’000 Dollar in die Kampagne eingebracht –, spielten die Anwesenden an einem Zehner-Tisch eine Wette zur Frage: «Wird Romney gewinnen?» – Kein einziger sagte ja.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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