Pasta und Peking-Ente – vom Essen in der Politik
Auch Politiker essen. Müssen essen. Und wie. Legendär das Dinner von US-Präsident Bill Clinton und dem deutschen Bundeskanzler Herlmut Kohl 1994 in Washington DC. Kein Staatsdinner sondern ein «einfaches» Abendessen in Washingtons historischem Quartier Georgetown. Zum Italiener ging es. Die Stabschefs wussten eben, dass Kohl und Clinton Gourmands sind.
Dank den Recherchierjournalisten der Qualitätszeitung «Washington Post» wussten die amerikanischen Zeitungsleser, Radiohörer und Fernsehzuschauer am nächsten Tag, was und wieviel genau gegessen und getrunken wurde. Vor allem verschiedene Sorten Pasta hatten es Clinton und Kohl angetan. Von Spaghetti bis Lasagne. Glaubt man den Journalisten, wurden grosse Portionen mir nichts dir nichts verschlungen. La Grande Bouffe sozusagen. Tags darauf wusste es die ganze Welt, weil Ausland-Korrespondenten von Qualitätszeitungen die weltbewegende Geschichte übernahmen.
Kim Jong-il liess Pizzaiolo einfliegen
Aber auch anderswo gibt es Politiker, die keine Kostverächter sind. In Nordkorea zum Beispiel. Grossvater Kim Il-sung verhielt sich als ehemaliger Guerillakämpfer von sowjetischen Gnaden noch relativ spartanisch. Anders sein Sohn Kim Jong-il. Er war den irdischen Genüssen zugetan. Spitzenjahrgänge von Weinen aus dem Bordelais und der Burgogne edelten seinen Weinkeller in Pjöngjang, zum Kaffee kippte er gerne Hochprozentiges aus besten französischen Häusern.
Neben handverlesenen Gourmet-Gängen liebte Kim vor allem Pizza. Das ging so weit, dass er einen italienischen Pizzaiolo in die nordkoreanische Hauptstadt einfliegen liess, der dort längere Zeit arbeitete. Nach treu geleisteten Diensten schrieb der Pizzaiolo ein – übrigens lesenswertes – Buch. Leider ist dort die Lieblingspizza von Kim Jong-il nicht erwähnt. Während Kim prasste, litt das Volk. Mitte der 1990er-Jahre kam es zur grossen Hungersnot. Über eine Million Menschen starben. Die Hungersnot war die Folge einer verfehlten Landwirtschaftspolitik. Doch das darf nicht sein. Unwetter wurden und werden in der Propaganda als allein verantwortlich für die Katastrophe ausgemacht.
Welches die Vorlieben des dritten Sprosses der Kim-Dynastie – Kim Jong-un – sind, ist bislang nicht aktenkundig. Als Schüler in Liebefeld (Kanton Bern) hat er wohl auch Rösti kennen – und lieben? – gelernt. Ob aber seine Köche in Pjöngjang – trotz eines erfolgreichen schweizerischen Kartoffel-Entwicklungsprojekts – auch Rösti zubereiten können, ist bislang in der blumigen nordkoreanischen Propaganda noch nicht thematisiert worden. «Röschti fürs Volk!!» wäre doch ein treffender Propaganda-Slogan. Der «Junge General» und «Grosse Führer» gibt sich jedenfalls volksverbunden, zuweilen sogar mit Mickey- und Mini-Mouse, aber ob er auch schon Cola- und Hamburger-abhängig ist, bleibt bis dato unbekannt.
In China existiert ein Reis-Nudel-Graben
So unbekannt wie die kulinarischen Vorlieben von Schweizer Politikern. Oder wüsste jemand, ob Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf Rösti aus Trubschachen im Emmental den bündnerischen Pizzoccheri della Valtellina oder den von Roland Jöhri in Champfèr zubereiteten Capuns vorzieht? Niemand weiss es.
Da haben es – einmal mehr – die Chinesinnen und Chinesen besser. Denn sie leben im kulinarischen Paradies. Da spielt es ungleich andern Ländern keine Rolle, ob Fisch oder Vogel, Nudeln oder Dampfbrötchen, Maiskolben oder Reis, Bio oder Gen-verändert. Einerlei, alles ist gut. Buchstäblich.
Auch das Reich der Mitte durchzieht ein Graben. Natürlich ist es nicht der legendäre Schweizer Röschti-Graben, sondern der Nudel-Reis-Graben. Nördlich des Yangste-Stroms Nudeln, südlich Reis. Für jene, die jetzt denken, in China gebe es ja weiss Buddha keine Röschti, dem muss einmal klipp und klar gesagt werden, dass die beste Röschti östlich vom Berner Oberland in der Südwestchinesischen Provinz Yunnan zubereitet wird. Einige Gourmets und Gourmands, darunter Ihr Korrespondent, sind gar der Meinung, dass die beste Röschti überhaupt die Yunnan-Röschti sei.
Die Vorlieben chinesischer Politiker sind, wie in der Schweiz, auch nicht bekannt. Immerhin, der «Grosse Vorsitzende» Mao Dsedong liebte Spezialitäten seiner Heimatprovinz Hunan, vor allem fettes Schweinefleisch scharf gewürzt. Auch vom grossen Revolutionär und Reformer Deng Xiaoping weiss man, dass er das himmlisch scharfe Essen seiner Heimatprovinz Sichuan über alles stellte, die scharf-saure Suppe Suan La-tang zum Beispiel. Doch Deng hatte auch «bourgeoise» Vorlieben, die er aus seiner Frankreich-Zeit in jungen Jahren mitbrachte und bis ins hohe Alter mit Gusto pflegte. So bevorzugte er nicht Dampfbrötchen zum Morgenessen, sondern Croissants.
Chinesen sind aufs Essen fixiert
Essen hat im Reich der Mitte einen hohen Stellenwert, höher als anderswo. Auf Auslandreisen sehnen sich die meisten spätestens nach zwei Tagen schon nach Reis, Nudeln, Baozi, Jaozi und mehr. Die Fixierung aufs Essen hat geschichtliche Gründe. Die Hungersnöte der letzten dreitausend Jahre prägen noch heute das kollektive Bewusstsein der Chinesen und Chinesinnen. Die letzte Hungersnot liegt noch nicht lange zurück. Während der vom Visionär Mao forcierten Kollektivierung der Landwirtschaft mit den Volkskommunen litt ganz China schreckliche Entbehrung. Mao wollte mit dem «Grossen Sprung nach Vorne» (1958-61) England und die andern industrialisierten Ländern mit einer Parforce-Leistung innert wenigen Jahren überholen. Es wurde ein Desaster mit der grössten Hungersnot der Geschichte. Über vierzig Millionen Menschen starben. Chinesische Schüler und Schülerinnen lernen jedoch bis auf den heutigen Tag, dass Überschwemmungen und Trockenheit Grund für die Hungerkatastrophe gewesen seien.
Kulinarischer Saus und Braus
Vor drei Jahrzehnten begann dann die so erfolgreiche Wirtschaftsreform nicht von ungefähr auf dem Lande. Die Produktivität der Landwirtschaft mit dem System der Familienverantwortung explodierte. Heute leben die Chinesinnen und Chinesen kulinarisch in Saus und Braus und geniessen es. Ein gutes Essen kann eben auch inspirieren, auch auf höchster Ebende wie die Grande Bouffe in Washington zwischen Clinton und Kohl gezeigt hat. Obwohl die Vorlieben chinesischer Politiker und Politikerinnen nicht bekannt sind, kann für den reich befrachteten Polit-Herbst mit Parteitag und Machtwechsel nur auf gutes Essen gehofft werden. Da der Parteitag in Peking stattfindet, ergibt sich das Fest-Menu von selbst, die Peking-Ente nämlich.
Alle Pekinger sind sich einig, dass die heimische Ente das beste und berühmteste Gericht der chinesischen Küche überhaupt ist. Die Peking Ente als kulinarische Spitzenleistung ist seit der Ming-Dynastie (1368 bis 1644) überliefert. Bei der Zubereitung sind, wie jeder Koch heute weiss, frische Produkte aus der Umgebung das A und O des Erfolges. Deshalb erfüllen ausschliesslich Enten aus oder um Peking herum die ultimativen Qualitäts-Anforderungen. Diese Enten im Karpfenteich erhalten während den letzten vierzehn Tagen weniger Auslauf dafür aber viel Kraftfutter. Dadurch wird das Fleisch zart und die Haut geschmeidig und reissfest. Am Ende ihres kurzen aber glücklichen Lebens bringt eine echte Peking-Ente zwischen zwei und drei Kilo auf die Waage.
Die Chinesen rupfen gerne Enten
Nach der Schlachtung wird die Ente fachmännisch gerupft. Am Hals wird ein feiner Schnitt angebracht und die Haut aufgeblasen, bis sie sich vom Fleisch trennt. Am Hals wird sie sodann aufgehängt und mit kochendem Wasser übergossen. Dann kommt das Wichtigste: die Haut wird mit einer Marinade aus Honig, Ingwer und andern Gewürzen bepinselt und danach für einen Tag an einem luftigen Ort zum Trocknen aufgehängt. Et voilà, der Canard Laqué au Miel ist bereit zum Braten. Über einem Feuer aus Dattel- oder Obst-Holz wird die Ente gegart. Am Schluss wird die Haut rot und knusprig. So wird sie serviert und am Tisch in kleine, mundgerechte Stücke tranchiert. Das Entenfleisch wird auf hauchdünne Pfannkuchen gelegt. Dazu kommen in feine Streifen geschnittene Frühlings- und Lauchzwiebeln und Gurken sowie Pflaumen-Sauce. Das Ganze wird mit den Stäbchen zusammengefaltet. Aus den Entenresten wird eine Suppe gekocht, die wie bei jedem chinesischen Essen das Dinner abschliesst.
Die beste Ente macht – ein Staatsunternehmen
In Peking weiss natürlich jedermann und jedefrau, wo die Ente am besten zu verzehren ist. Das bekannteste Enten-Restaurant der Stadt ist das Quanjude, 1864 beim Südtor Qianmen gegründet. Heute ist Quanjude ein erfolgreiches Staatsunternehmen mit Dutzenden von Filialen im ganzen Land. Seit der Gründung von Quanjude sind 120 Millionen Pekinger Enten gebraten worden, wie das Unternehmen stolz auf der Firmen-Website bekannt gibt. Für all jene aber, die nach Peking kommen und die es nach einer wirklich guten, über Dattelholz gebratenen echten, traditionellen Pekinger Ente gelüstet, hier der Geheimtipp: Li Qun in der Altstadt. Aber bitte: Nicht weitersagen!
Vermutlich aber werden in der Grossen Halle des Volkes die Delegierten des 18. Kongresses der Kommunistischen Partei Chinas im Herbst nicht nur mit Pekinger Enten bei Laune gehalten. In Peking gibt es noch andere kulinarische Präferenzen. Zu Hause so gut wie im Restaurant. Jedermann und jedefrau weiss nämlich, wie Nudeln und Ravioli zubereitet werden. Ganz ohne Maschinchen. Einfach von Hand. Mian Tiao und Jiaozi zum Z’morge, Z’mittag und Z’nacht. Nudeln und Ravioli in mancherlei Varianten. Nahrhaft und lecker.
Möge es dem Parteiprogramm und mithin China zugute kommen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine