Atomlobbyisten instrumentalisieren die Akademien
«Wissenschafter kritisieren Atomausstieg» berichtete die Tagesschau des Schweizer Fernsehens am 9. August. Die NZZ schrieb am folgenden Tag: «Während Bundesrat und Parlament den Ausstieg aus der Atomenergie anstreben, sind sich die Wissenschafter hier nicht einig.» Und auch der Tagesanzeiger titelte: «Forscher uneinig über Atomausstieg.» Zuvor hatten die Akademien der Wissenschaften im Medienzentrum des Bundeshauses über ihre Studie «Zukunft Stromversorgung Schweiz» informiert (siehe Link unten).
Zwei alte Bekannte auf dem Podium
Wer sind also diese «Wissenschaftler» und «Forscher», die den Atomausstieg kritisierten, den der Bundesrat beschlossen hat? Zwei dieser «Wissenschafter» sassen prominent auf dem Podium der Medienkonferenz: Eduard Kiener (74), der Projektleiter der Studie, und Irene Aegerter (72). Beide sind längstens pensioniert und gehören nicht zu den aktiven Wissenschaftern der Schweizer Hochschulen. Kiener ist Mitglied der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW), Aegerter ist SATW-Vizepräsidentin.
Kiener und Aegerter haben sich in den letzten Jahrzehnten immer wieder als prominente Verfechter der Atomkraftwerke hervorgetan: Kiener war Direktor des Bundesamtes für Energie (1977 bis 2001) und in dieser Funktion ein strammer Verfechter der Atom-technologie. Wenige Monate nach Fukushima hielt er anlässlich der Generalversammlung der atomenergiefreundlichen AVES (Aktion für eine verantwortungsvolle Energiepolitik der Schweiz) eine Brandrede für den Bau neuer Atomkraftwerke in der Schweiz. Überzeugt zog er den Schluss: «Die Fakten sind auch nach Fukushima immer noch die gleichen» und er forderte: «Keine voreiligen Entscheide!»
Zwei weitere Fürsprecher der Atomenergie
Auch Irene Aegerter ist fest in der Atomlobby verwurzelt: Die promovierte Physikerin arbeitete von 1989 bis 2000 als Kommunikationschefin für den Verband Schweizerischer Elektrizitätswerke (VSE). 1982 gründete sie die atomfreundliche Vereinigung Frauen für Energie (FFE) und 1992 die Women in Nuclear Schweiz (WIN). In einer Arena-Sendung drei Wochen vor Fukushima schockte sie das Schweizer Fernsehpublikum mit dem Vergleich zwischen Atom-Müll und einem Fingerhut.
Neben Kiener und Aegerter waren an der Studie der Akademien der Wissenschaften weitere Atomfürsprecher beteiligt. In der Gruppe, welche den Beitrag über die Atomenergie schrieb, gaben sich diese ein Stelldichein. Allen voran die beiden ETH-Professoren Horst-Michael Prasser und Wolfgang Kröger. Prassers Lehrstuhl wurde früher von der Swissnuclear mitfinanziert, einer Vereinigung der Kernkraftwerk-Betreiber, und heute von der Swisselectric (Dachverband von Axpo mit EGL und CKW sowie von Alpiq und BKW) und dem Paul-Scherrer-Institut PSI. Der Nuklear-Ingenieur und Risikoforscher Kröger ist Vorstandsmitglied des Nuklearforums Schweiz.
Pläydoyer für die Sicherheit der Atomkraftwerke
Neben Prasser und Kröger beteiligten sich am Atomkapitel der Studie weitere Vertreter der Atomgemeinde: Kurt Küffer, der frühere NOK-Direktor und ehemalige VR-Vizepräsident der Atomkraftwerke Leibstadt und Gösgen; Ulrich Schmocker, der frühere Chef der Atomaufsicht ENSI; der ENSI-Mitarbeiter Ralph Schulz; der Nagra-Mitarbeiter Pieter Zuidema; Michel Piot, der frühere Mitarbeiter des Bundesamtes für Energie (BFE) und heutige Mitarbeiter der Swisselectric und schliesslich Stefan Hirschberg vom Paul-Scherrer-Institut (PSI).
Kein Wunder ist das Kapitel über die Atomenergie dreimal länger als die jeweiligen anderen Kapitel (Wasserkraft, Photovoltaik, Biomasse, Windkraft, Geothermie, fossil-thermische Stromproduktion, Wärmekraftkopplungsanlagen) und ein Werbespot für die Sicherheit der Schweizer Atomkraftwerke sowie die sichere Entsorgung radioaktiver Abfälle.
Akademien erhalten Millionen aus der Bundeskasse
Die Vertreter der Atomlobby haben die Akademien der Wissenschaften offensichtlich instrumentalisiert, um den bundesrätlichen Atomausstieg prominent in Frage zu stellen. Pikanterweise werden die Akademien aus der Bundeskasse subventioniert: Die Akademie der Wissenschaften ist die Dachorganisation der vier Einzelakademien der Technischen Wissenschaften (SATW), der Naturwissenschaften (SCNAT), der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW) und der Medizinischen Wissenschaften (SAMW). Die Dachorganisation der Akademien erhält aus der Bundeskasse jährlich 1,3 Millionen Franken und die SATW 2,4 Millionen Franken.
Überprüfung der Leistungsvereinbarung dringend geboten
In der Leistungsvereinbarung mit dem Bund ist klar festgehalten: «Der Akademienverbund nimmt seine Funktion als Expertisenorgan durch das Erarbeiten, Darlegen und Publizieren von wissenschaftlichen Fakten und Gegebenheiten wahr. Er beachtet hierbei den Grundsatz, dass entsprechende Arbeiten wissenschaftlich fundiert sind und als solche zwar einen Beitrag zur politischen Meinungsbildung darstellen können, jedoch nicht dazu benutzt werden, partei-politische Positionsbezüge einzunehmen.» Aufgrund der Studie zur Stromversorgung ist also eine Überprüfung der Leistungsvereinbarung mit dem Bund dringend geboten.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Kurt Marti war früher Beirat (bis Januar 2012), Geschäftsleiter (bis 1996) und Redaktor (bis 2003) der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES)
Dieser Beitrag ist eine Lachnummer. Wieso setzt man sich nicht erst mal mit den Argumenten auseinander? Scheinen diese falsch oder zumindest unplausibel zu sein, dann könnte man nach politökonomischen Gründen – eben z.B. Einflüsse von Lobbys u.a. – suchen. Nimmt man Marti hingegen beim Wort, dann braucht man seine Beiträge gar nie zu lesen… schliesslich war er früher bei der atomfeindlichen Energiestiftung tätig.
Ich gebe Infosperber bei mir nur noch wenige Chancen… dann wird der Feed gelöscht (wenn es mit den Beiträgen so weitergeht).
Danke für den aufschlussreichen Artikel von Kurt Marti. Transparenz ist offensichtlich nicht jedermanns Sache, dies zeigt der Kommentar von Markus Saurer. Zu diesem Kommentar passt das Sprichwort: «Wes Brot ich ess, des Lied ich sing".
Hier den Link zur diesbezüglichen Swisselectric-Studie, an der Markus Saurer mitarbeitete:
http://www.industrieoekonomie.ch/Publikationen/Studie_Swisselectric.pdf
Zur Transparenz meiner eigenen Tätigkeiten und Beziehungen:
Bin Energieingenieur und Architekt, war früher in den Leitungsgremien von SES und Greenpeace und bin Mitorganisator der Mahnwache vor dem ENSI (jeden Montag bis Donnerstag von 17-18 Uhr), die das Abschalten von Beznau und Mühleberg fordert.
Lieber Herr Glauser, vielen Dank für die kleine Reklame. Ich habe gerügt, dass man sich mit der Herkunft von Argumenten statt mit deren Inhalt auseinandersetzt. Der Artikel von Herrn Marti hat nur zum Inhalt, dass die Akademie von einer Lobby beeinflusst worden sei. Ob dem so ist oder nicht, ist indes unerheblich. Massgebend sollte nur sein, ob ihre Argumente richtig oder plausibel sind oder nicht. Streitkultur.
Dass die Akademien von der Atomlobby genutzt werden,
ruft nach finanzieller Transparenz. Es geht um sehr viel Geld, insbesondere sehr viel Geld der Steuerzahler, die gratis die Risiken von GAUs und Entsorgung tragen.
Es geht zudem um Wettbewerbsverzerrung und verzerrte Grundlagen der politischen Willensbildung.
Über den Kritiker, Kurt Marti wurde selbstverständlich
ebenfalls transparent berichtet.
Es scheint, dass die Verfilzung der Atomindustrie und der
Politik in Japan und in der Schweiz nicht grundsätzlich
verschieden sind. Auch nicht die Verzerrung der Tatsachen. Man tut so, als ob Fukushima eigentlich die
Sicherheit der AKW beweise und nicht das Gegenteil und die grundsätzliche Unzumutbarkeit.
Da bin ich ganz anderer Meinung, Herr Saurer.
Spieziell bei einer Organisation, die sich «Schweizerische Akademie der Wissenschaften» nennt, sollte wissenschaftliches Denken und Argumentieren und die entsprechende Neugier im Fordergrund stehen. Dazu gehören, bei der Erarbeitung, auch möglichst viele offene und noch ungebundene WissenschafterInnen. Wenn aber diese Akademien von «Altherren", Verbandsvertretern, Geschäftsführern von Interessengruppen und Lobbyisten durchsetzt sind, dürfte der wissenschaftliche Anspruch massiv an Bedeutung verlieren. Ein Blick in die Autorenliste der Studien lohnt sich deshalb alleweil. Die Energiewende, wie sie der Ausstieg aus der Atomtechnologie verlangt, braucht «neues, frisches und unabhängiges Denken» und nicht v.a. das Wiederholen altbekannter Behauptungen. Ein grosser Fundus, die «neues und frisches Denken» beflügeln können, findet sich auch in unzähligen Studien und Berichten, die in den letzten 27 Jahren vom Bundesamt für Energie, nach Tschernobyl, in Auftrag gegeben wurden – allein in den gegen 100 Teilstudien der EGES-Szenarien (1987/1988). Leider wurde vieles dieser Arbeiten nie ernsthaft zur Kenntnis genommen und heute wortreich wieder das Gegenteil behauptet. Ein zügiger Atomausstieg brächte schon lange und bringt grosse ökonomische und ökologische Vorteile, die vom schweizerischen «Atomdorf» seit drei Jahrzehnten mit einer riesigen PR-Maschinerie, vielen Auftragsstudien und enormem Lobbying geleugnet werden.
Meine Meinung war, dass man sich primär mit den Arumenten und nicht mit deren Herkunft auseinandersetzen soll.Wenn sie ganz anderer Meinung sind, heisst das, dass sie sich primär mit der Herkunft der Argumente ausinandersetzen wollen. Kommen sie nach ihrer Ansicht vom richtigen Ort, dass sind die Argumente a priori ok. Kommen sie hgingegen von falschen Ort, dann sind sie ebenso a priori nicht ok. So könnte man einen Glauben, eine Religion definieren.
Argumente stehen nie im luftleeren und neutralen Raum. Sie haben eine Herkunft und basieren auf Analysen, Reflexionen, Denkprozessen und Erkenntnissen. Bei der Beurteilung von Fragen um die Atomtechnologie kommen eine 40-jährige gesellschaftliche Debatte und dramatische Ereignisse u.a. in Tschernobyl und Fukushima dazu. Hier eine Beurteilung zum Thema Atomenergie aus Japan, gemäss SDA-Mitteilung am 23.7.2012:
"Ein Untersuchungsausschuss der japanischen Regierung hat harte Kritik am Krisenmanagement des Atombetreibers Tepco in Fukushima Daiichi geübt. Das Hauptproblem sei, dass Regierung und Tepco «die Gefahr nicht als Realität erkannt» hätten, da sie «an den Mythos atomarer Sicherheit geglaubt» hätten, heisst es im Abschlussbericht."
Dieser Glaube ist leider auch in der SATW anzutreffen. «Die Wissenschaft» sollte mindestens versuchen diesen Glauben durch personelle Ausgeglichenheit zu neutralisieren, oder den Einfluss von «Hohenpriestern dieses Glaubens» für objektive Studien zu minimieren.