Julian_Assange

Wikileaks-Gründer Julian Assange © peter erichsen/flickr/cc

Dürfen Briten in die ecuadorianische Botschaft?

Tim René Salomon und Julian Udich /  Die Briten dürfen die ecuadorianische Botschaft nicht betreten, obwohl auch Ecuador sich völkerrechtswidrig verhalten hat.

Ecuador hat Julian Assange Asyl gewährt, aber der WikiLeaks-Gründer kann die Botschaft in London nicht verlassen, ohne von den Briten an Schweden ausgeliefert zu werden. Das Vereinigte Königreich stellte der Republik Ecuador vor Wochenfrist in Aussicht, den diplomatischen Status der Londoner Botschaft des südamerikanischen Landes aufzuheben und ordnete ein Polizeiaufgebot zum Botschaftsstandort im Stadtteil Knightsbridge ab. Das Königreich berief sich hierbei auf völkerrechtliche Verpflichtungen und nationales Recht. Die Auslieferungspflicht an Schweden hilft den Briten aber ebenso wenig wie die Rechtsverletzung durch Ecuador. Und auch durch die ecuadorianische Stattgabe des Asylantrags ändert sich die Situation für den WikiLeaks-Gründer nicht unmittelbar. Er kann nicht raus aus der Botschaft, das Vereinigte Königreich darf nicht rein.

Das Gebäude der Botschaft in London steht als diplomatische Mission unter dem Schutz der Wiener Diplomatenrechtskonvention von 1961, die für Ecuador und das Vereinigte Königreich gleichermassen verbindlich ist. Zwar bleibt ein Botschaftsgrundstück Teil des Staatsgebietes des Territorialstaats. Nach Artikel 22 der Konvention sind die Räumlichkeiten einer Botschaft aber «unverletzlich» und der Staat, in dem sich die Botschaft befindet, darf diese nur mit Zustimmung des Gaststaates betreten.

Missionsgebäude sind unverletzlich

Eine solche Zustimmung hat Ecuador nicht gegeben. Vielmehr drückten Vertreter der Regierung ihren Schrecken über die Ankündigung des Vereinigten Königreichs aus. Nach dem Wortlaut der Konvention würde Grossbritannien eindeutig seine Pflichten aus dem Vertrag verletzen, wenn seine Polizei oder andere die Botschaft ohne Zustimmung beträten. Ausnahmen von der Unverletzlichkeit gibt es nur äusserst selten, um die wirksame Wahrnehmung der Aufgaben der diplomatischen Vertretung zu gewährleisten.

Die besondere Bedeutung der Unverletzlichkeit des Missionsgebäudes zeigte sich auch im Fall des libyschen Volksbüros 1984 in London. Ein nicht ermittelter Täter hatte mit einer Maschinenpistole aus der Botschaft heraus auf Anti-Gaddafi-Demonstranten geschossen und elf Demonstranten verletzt sowie eine Polizistin getötet. Die Londoner Polizei verschaffte sich aber nicht etwa Zutritt zum Botschaftsgebäude, sondern erklärte lediglich das Personal zur «personae non gratae» (unerwünschten Personen) und setzte eine Frist zur Ausreise. In einer solchen Konstellation ist umstritten, ob der Territorialstaat ausnahmsweise in die Botschaft eindringen dürfte, um den Angreifer zu stellen und Leben zu schützen. Der Fall von Julian Assange ist damit nicht vergleichbar.

Ecuadors Völkerrechtsverstoss: Kein diplomatisches Asyl in Botschaften

Allerdings verstösst Ecuador selbst gegen seine Verpflichtungen aus der Diplomatenrechtskonvention. Eine Botschaft darf nämlich nach Artikel 41 der Diplomatenrechtskonvention nicht für Zwecke verwendet werden, die ihrerseits gegen Völkerrecht verstossen oder nicht zu den diplomatischen Aufgaben gehören. Ecuador gewährt Assange Zuflucht in seiner Botschaft, obwohl er in Schweden aufgrund des Verdachts von Sexualstraftaten strafrechtlich verfolgt, per Red Notice von Interpol gesucht wird und vom Vereinigten Königreich an Schweden ausgeliefert werden soll.

Ein so genanntes «diplomatisches Asyl» in Botschaften wird nach allgemeiner Meinung völkerrechtlich nicht anerkannt. Eine Ausnahme gäbe es allenfalls zwischen einigen südamerikanischen Staaten, das Vereinigte Königreich würde sie jedoch nicht binden. Selbst wenn man das diplomatische Asyl überhaupt anerkennen wollte, gilt es nur für politisch, nicht aber für allgemeine strafrechtlich Verfolgte. Solche müssen vielmehr an den Territorialstaat überstellt werden. Daher hat Ecuador dem Vereinigten Königreich gegenüber kein Recht, Assange in der Botschaft Zuflucht zu gewähren und verstösst momentan selbst gegen Völkerrecht.

Ein «Sturm» der Botschaft ist völkerrechtlich keine Option

Daraus ergibt sich aber nicht etwa, dass Grossbritannien nun Gegenmassnahmen einleiten dürfte, um die ecuadorianische Verpflichtung durchzusetzen. Nach allgemeinem Völkerrecht dürfte ein Staat zwar eigene Pflichten des Völkerrechts missachten, wenn dies dazu dienen würde, die Pflichtverletzung durch einen anderen Staat zu beenden (Gegenmassnahme).

Der Internationale Gerichtshof sieht die Diplomatenrechtskonvention aber als abschliessend hinsichtlich der Handlungsmöglichkeiten des Territorialstaates an. Das Vereinigte Königreich kann daher nur Diplomaten und Botschaftspersonal zu unerwünschten Personen erklären, diese ausweisen oder gar die Beziehungen zu Ecuador gänzlich abbrechen.

In die Räumlichkeiten der Mission einzudringen, wäre jedenfalls nicht zu rechtfertigen. Daran ändert auch die völkerrechtliche Verpflichtung des Königreichs, Assange an Schweden auszuliefern, nichts. Auch bei der Befolgung dieser Pflicht muss sich Grossbritannien vielmehr an das Völkerrecht halten. Solche Pflichten eines Staates können die Diplomatenrechtskonvention nach allgemeiner Meinung nicht relativieren.

Ein nationales Gesetz ändert nichts

Nach Berichten der BBC beruft sich das Vereinigte Königreich bei seinem Vorgehen auf ein nationales Gesetz, den Diplomatic and Consular Premises Act 1987, der nach dem Zwischenfall im libyschen Volksbüro in London 1984 erlassen wurde. Dieses Gesetz erlaube dem Aussenminister, den diplomatischen Status einer Botschaft aufzuheben. Selbst wenn, was keinesfalls sicher ist, dieses nationale Gesetz das zwangsweise Betreten der Botschaftsgebäude rechtfertigen würde, kann sich das Vereinigte Königreich damit nicht seiner Pflichten aus der Diplomatenrechtskonvention entledigen. Das nationale und das Völkerrecht bestehen auch nach britischem Verständnis unabhängig voneinander. Völkerrechtlich bliebe es den Briten trotz Erlaubnis nach nationalem Recht also strikt untersagt, die Botschaftsräume zu betreten.

Umgekehrt kann Ecuador für Assange gegenüber dem Vereinigten Königreich aus dem Völkerrecht kein freies Geleit oder anderen Schutz herleiten. Theoretisch könnten beide Staaten diesen Fall dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag vorlegen, weil sie dessen Gerichtsbarkeit für solche Fälle anerkannt haben. Zu hoffen ist jedoch, dass sie diese Pattsituation auf diplomatischem Wege auflösen werden, ohne die grundlegendsten Gewährleistungen des Diplomatenrechts in Frage zu stellen.

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Dieser Beitrag ist auf «Legal Tribune online» vom 16. August 2012 erschienen.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Die Autoren Tim René Salomon und Julian Udich sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Allgemeine Staatslehre, Völker- und Europarecht der Bucerius Law School in Hamburg.

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