Der Weg vom Hotel zur Zweitwohnung ist frei
»Der Anteil von Zweitwohnungen am Gesamtbestand der Wohneinheiten und der für Wohnzwecke genutzten Bruttogeschossfläche einer Gemeinde ist auf höchstens 20 Prozent beschränkt.» So lautet die eindeutige Forderung der Volksinitiative von Franz Weber, die das Schweizer Volk am 11. März 2012 annahm und in der Verfassung verankerte. Ebenso klar war die Botschaft, die der Bundesrat vor diesem Entscheid in seine Abstimmungsbroschüre schrieb: «Die Beschränkung der Zweitwohnungen auf einen fixen Anteil von 20 Prozent aller Wohnungen würde in zahlreichen Gemeinden zu einem abrupten Baustopp führen.»
Den angedrohten «Baustopp» verhindert nun der gleiche Bundesrat mir seiner Ausführungs-Verordnung, die er gestern beschlossen hat. Sie gilt für jene 570 Gemeinden, in denen der Anteil an Zweitwohnungen schon heute höher ist als 20 Prozent; der Grossteil davon befindet sich in den Kantonen Graubünden, Wallis, Tessin sowie im Berner Oberland. Diese Verordnung durchlöchert die 20-Prozent-Grenze mit vielfältigen Ausnahmen.
Die Umnutzung von Altbauten bleibt erlaubt
Alle Erstwohnungen, die vor dem 11. März bereits bestanden oder bewilligt waren, dürfen weiterhin in Zweitwohnungen umgewandelt werden, sofern es dafür keine kommunalen Beschränkungen gibt. Das hatte bereits die vorberatende Arbeitsgruppe beantragt. In seiner endgültigen Verordnung erlaubt der Bundesrat nun folgende zusätzliche Umnutzungen:
- Bestehende Hotels dürfen ebenfalls in Zweitwohnungen umgebaut werden; damit erfüllte die Regierung die Forderung des Branchenverbands Hotelleriesuisse (siehe Artikel: «Der Schweiz fehlt es an Gästen, nicht an Betten»). Die Umwandlung von warmen Hotel- in kalte Zweitwohnungs-Betten entspricht einer längst und viel geübten Praxis im Ferienland Schweiz. Neu gibt es dafür immerhin zwei Einschränkungen: Die umzuwandelnden Hotels müssen mindestens 25 Jahre alt sein, was für die meisten Hotels zutrifft. Zudem müssen die Besitzer mit einem «unabhängigen Gutachten» nachweisen, dass ihr Hotelbetrieb nicht rentiert. Auch diese zweite Bedingung erfüllen viele Hotels. So stellte die unabhängige Gesellschaft für Hotelkredit schon früher fest, dass zwei Drittel aller Schweizer Herbergen nach betriebswirtschaftlichen Kriterien nicht rentieren können.
- Auch die – rund 100 000 – Schweizer Maiensässe dürfen in Zweitwohnungen umgewandelt werden.
Bundesrat wertet das Eigentum höher als die neue Initiaive
Mit dieser «Umnutzungs-Freiheit» für bestehende Bauten wertet der Bundesrat den alten Verfassungsartikel 26, der «das Eigentum gewährleistet», höher als den neuen Verfassungsartikel 75b, der die Zweitwohnungen auf 20 Prozent beschränkt.
Seine Verordnung erlaubt damit eine weitere Erhöhung des Zweitwohnungs-Anteils und fördert obendrein die – touristisch unerwünschten – «kalten Betten». Denn bestehende Bauten, die in Zweitwohnungen umgewandelt werden, müssen laut Verordnung weder bewirtschaftet noch vermietet werden. Diese unvermieteten Feriewohnungen, so schätzt der Schweiz. Tourismusverband, stehen in elf von zwölf Nächten leer.
Auch neue Zweitwohnungs-Bauten bleiben erlaubt
Neben Umbauten sind auch Neubauten überall noch möglich. Dafür sorgt Artikel 5 der bundesrätlichen Verordnung. Demnach dürfen Gemeinden, die die 20-Prozent-Quote schon überschritten haben, Bewilligungen für neue Zweitwohnungen erteilen, «wenn sie im Rahmen strukturierter Beherbergungsformen bewirtschaftet werden». Oder wenn die Eigentümer im selben Haus wohnen. Mit diesen Einschränkungen will der Bundesrat erreichen, dass neue Zweitwohnungen besser belegt werden als alte; er verzichtet allerdings darauf, eine minimale Belegungsdauer vorzuschreiben.
Zudem können Gemeinden neue unbewirtschaftete Zweitwohnungen weiterhin bewilligen, sofern solche schon vor dem 11. März 2012 in einem «projektbezogenen Sondernutzungsplan» geplant wurden. Diese Bestimmung erlaubt es etwa dem ägyptischen Investor Samih Sawiris, sein in Andermatt geplantes Resort zu realisieren, obwohl die Baubewilligungen noch ausstehen. Das Gleiche gilt für andere geplante Resorts in den Schweizer Alpen
Bundesrat verschiebt die Umsetzung aufs nächste Jahr
Entgegen dem ursprünglichen Antrag von Umweltministerin Doris Leuthards setzt der Bundesrat die Verordnung erst ab 1. Januar 2013 in Kraft. Damit ermöglicht er den Gemeinden, vor Torschluss noch möglichst viele neue Zweitwohnungen zu bewilligen. Allerdings, so betonte Leuthard gestern vor den Medien, besteht das Risiko, dass das Bundesgericht Beschwerden gegen Baubewilligungen gutheisst, die erst nach dem 11. März erteilt wurden.
Parlament kann Schlupflöcher wieder stopfen
Bei der gestern beschlossenen Verordnung handelt es sich um eine Übergangsbestimmung des Bundesrates, die versucht, «Rechtssicherheit» zu schaffen. Mittelfristig soll diese Verordnung durch ein ordentliches Gesetz ersetzt werden. Die entsprechende Vorlage ans Parlament will der Bundesrat bis Ende 2013 ausarbeiten. Danach kommt die Vorlage vors Parlament. National- und Ständeräte haben damit die Möglichkeit, die Schlupflöcher wieder zu schliessen, die der Bundesrat bei der Umsetzung von Franz Webers Verfassungs-Initiative geöffnet hat.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Da sieht man wieder wie die Volksmeinung verwässert wird und das verdanken wir hauptsächlich BR Schlumpf die sucg nicht dem Volkswillen beugen wollte und ihrem Heimatkanton Vorteile verschaffen wollte. Für was stimmen wir denn über solche Vorlagen ab wenn sie doch nicht schnellstens umgesetzt werden.