Verhängte Bussen: Erfolg gegen Bundesanwaltschaft
(Red. Strafbefehle sind eine vereinfachte Urteilsfindung ohne mündliche Verhandlungen, wenn ein Täter geständig ist oder die Beweislage eindeutig, und wenn für die begangene Tat eine Busse, eine Geldstrafe oder eine bedingte Freiheitsstrafe von höchstens sechs Monaten ausreicht. Ein Strafbefehl muss gemäss Eidgenössischer Strafprozessordnung u.a. den Namen der beschuldigten Person, den Sachverhalt, die erfüllten Straftatbestände und die Sanktion enthalten. Obwohl die Bundesverfassung öffentliche Urteilsverkündungen verlangt, verweigern die meisten Kantone Kopien der Strafbefehle.)
Anders die Bundesanwaltschaft. Sie erlaubt jetzt neustens Kopien, wenn Journalisten vor Ort in Bern Strafbefehle einsehen. Ein Erfolg für investigativ.ch, dem Recherche-Netzwerk Schweiz.
Viele Kantone legen Strafbefehle unmittelbar nach Erlass oder Rechtskraft zur Einsicht öffentlich auf. Doch nur der Kanton Sankt Gallen erlaubt es Journalisten, eine Kopie von einem Strafbefehl zu machen. In den meisten Kantonen kann man sich nur Notizen machen. So war auch die Praxis der Bundesanwaltschaft – bis vor Kurzem.
Bundesgericht hatte Anspruch auf Kopien bestätigt
Sie widerspricht in mindestens einem Punkt der klaren Praxis des Bundesgerichts: In einem Entscheid vom 1. September 2006 (!!!) hat das höchste Schweizer Gericht klipp und klar festgehalten, dass Journalisten Anspruch auf eine Kopie haben (Entscheid 1P.298/2006).
Investigativ.ch wies die Zürcher Oberstaatsanwaltschaft und die Bundesanwaltschaft auf dieses klare Präjudiz hin. Der Zürcher Oberstaatsanwalt Martin Bürgisser sieht keinen Handlungsbedarf: »Wir haben die Frage der Kopien damals eingehend besprochen und möchten einstweilen bei unserer Praxis bleiben.«
Ganz anders haben Bundesanwalt Michael Lauber und sein Rechtsdienst auf den Bundesgerichtsentscheid reagiert, auf den sie investigativ.ch hingewiesen hat: Sie haben umgehend die Praxis geändert und erlauben nun Kopien. Kostenlos.
Die Bundesanwaltschaft legt jetzt auch Einstellungsverfügungen öffentlich auf
Auf die Frage, ob die Bundesanwaltschaft in Zukunft auch Einstellungsverfügungen nach Art. 53 StGB (Wiedergutmachung) öffentlich auflegt, gab die Bundesanwaltschaft gestern bekannt, dass künftig auch Einstellungsverfügungen nach Art. 53 StGB in Zukunft ebenfalls (wie Strafbefehle) 30 Tage lang nach Rechtskraft für jedermann öffentlich aufgelegt werden. Das ist ein Novum für die Schweiz und sollte Schule machen! Allerdings werden Einstellungsverfügungen – im Unterschied zu Strafbefehlen grundsätzlich anonymisiert.
Ob das der bundesgerichtlichen Rechtsprechung entspricht, wage ich zu bezweifeln, da das Bundesgericht bei Einstellungsverfügungen nach Art. 53 auch eine Urteilsverkündung verlangt. Und da werden in der Regel Namen genannt.
Der Rechtsdienst ist noch am Abklären. Zudem sind auch Abklärungen in Gang, ob Journalisten auch an den Zweigstellen in Zürich, Lausanne und Lugano Einsicht nehmen können. Fortsetzung folgt.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Der Jurist und Journalist Dominique Strebel beobachtet, wie Polizistinnen, Staatsanwälte, Gutachterinnen, Rechtsanwälte und Richterinnen das Recht anwenden. Link zu seinem Blog unten.