Hildegard: Nur Heiligsprechung zweiter Klasse
Papst Benedikt XVI. hat angeordnet, dass die Benediktinerin Hildegard von Bingen (1098-1179) in den Heiligenkalender der römisch-katholischen Kirche aufgenommen wird. Die Ordensfrau, Mystikerin, Ärztin, Schriftstellerin und Komponistin gilt als eine der bedeutendsten Frauen des Mittelalters. Sie ist die erste Vertreterin der deutschen Mystik. Ihre Werke befassen sich mit Religion, Medizin, Musik, Ethik und Kosmologie. Wegen ihres Glaubens und ihrer Lebensart war sie für viele Menschen eine Lehrerin und viele nannten sie schon zu ihren Lebzeiten eine Heilige.
Bis heute populär ist die «Hildegard-Medizin» als Zweig der alternativen Medizin. Ein Mix aus 40 Gramm Pelargonienpulver, 35 Gramm Bertrampulver und 25 Gramm Muskatpulver ergibt eine Mischung, auf das bei Erkältung, verdorbenem Magen und Herzschwäche viele schwören.
«Keine Heiligsprechung im eigentlichen Sinn»
Die Benektinerin war jedoch auch sonst eine populäre, engagierte und aufmüpfige Klostergründerin und Klosterfrau, mit der die Kirche bis heute ihre liebe Mühe hat. Matthias Kopp, Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, betonte, dass die Aufnahme in den Heiligenkalender keine Heiligsprechung im eigentlichen Sinne sei. Eine Heiligsprechung sei ein liturgischer Akt in einem Gottesdienst, bei dem ein Dekret verlesen werde. «Das war hier nicht der Fall», sagte Kopp.
Trotzdem sei Hildegard von Bingen mit der Aufnahme in den Heiligenkalender «offiziell eine Heilige». Über den genauen Unterschied wollte sich Kopp nicht auslassen.
Schon lange im Heiligenkalender
Seit fast 800 Jahren dauere das Trauerspiel um die Heiligsprechung der Hildegard von Bingen an, sagt die Autorin Anette Huesmann, die sich intensiv mit der Ordensfrau befasst hat. Die katholische Kirche bringe es nicht fertig, Hildegard von Bingen zu einer richtigen Heiligen zu machen. Bereits 1228 sei ein erster Antrag auf Heiligsprechung gestellt worden. Er sei jedoch an innerkirchlichen Kompetenzfragen gescheitert. Bereits Ende des 16. Jahrhunderts sei ihr Name im Heiligenkalender aufgetaucht.
Hildegard von Bingen werde also bereits seit über 400 Jahren im Heiligenkalender geführt, sagt Anette Huesmann. Papst Benedikt XVI. habe dies nun offiziell zur Kenntnis genommen oder nachträglich sanktioniert. An der schon seit Jahrhunderten herrschenden Situation habe sich aber nichts geändert: Hildegard von Bingen stehe im Heiligenkalender, werde aber nicht richtig heilig gesprochen.
Katholische Frauenverbände verlangen Anerkennung als Kirchenlehrerin
1979 hat die deutsche Arbeitsgemeinschaft Katholischer Frauenverbände und –gruppen verlangt, Hildegard von Bingen als Kirchenlehrerin anzuerkennen. Der Vatikan leitete ein Prüfungsverfahren ein, das seither andauert. Laut Kirchenrecht kann nur eine Heilige offiziell zur Kirchenlehrerin ernannt werden. Diese Voraussetzung ist nun erfüllt.
Im letzten Mai kündigte Papst Benedikt XVI. an, Hildegard am 7. Oktober 2012 zur Kirchenlehrerin zu erheben. Sie wäre neben 33 Männern die vierte Frau überhaupt, der dieser Titel zuteil würde.
Es gibt verschiedene Gründe, weshalb die Kirche mit Hildegard von Bingen Schwierigkeiten hat, schreibt die «Süddeutsche Zeitung». Sie entspreche nicht dem Bild der demütigen Magd des Herren, sondern sei kämpferisch und aufmüpfig gewesen. Sie lockerte zum Beispiel eigenmächtig die Regeln in ihrem Kloster, was ihr die Kirchenmänner übelnahmen. Zudem habe sie Bischöfen, Erzbischöfen und Kardinälen vorgeworfen, sie seien träge, korrupt und bigott. Damals habe es niemand in der Kirche gewagt, die Mächtigen so scharf zu kritisieren wie Hildegard von Bingen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Redaktorin und Herausgeberin der Zeitschrift «FrauenSicht».
Da möchten also katholische Frauenverbände, dass Hildegard von Bingen «richtig heiliggesprochen» und als Kirchenlehrerin anerkannt werde. Ich kann es nicht fassen. Der Heiligenkalender ist ein buntes Sammelsurium von vorwiegend männlichen, vorwiegend neurotischen und lebensfernen, vorwiegend klerikalen oder mönchischen Figuren. Viele sind reine Legende ohne jedwelche geschichtliche Relevanz. Die wenigen «normalen» herausragenden wie Franz von Assisi etwa oder Maria, die Mutter von Jesus, wirken geradezu exotisch. Ausgewählt werden die Heiligkeitskandidaten von einer päpstlichen Behörde nach seltsamen Kriterien, bei denen das interessierte Lobbing heiligenbegeisterter Kreise eine massgebliche Rolle spielt. Es wäre für Hildegard von Bingen eine grössere Auszeichnung nicht im Heiligenkalender zu stehen. Sie würde unweigerlich vom vatikanischen System vereinnahmt, was die katholischen Frauenverbände wohl auch wieder nicht wollen.
Fritz P. Schaller, Küsnacht