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Blumen für die 90-jährige Travestitin für ihren erfolgreichen Kampf © marian pessah/Flickr/CC

Argentinien erlaubt freie Wahl des Geschlechts

Barbara Marti /  Weltweit einmalig: Der amtliche Geschlechts-Wechsel ist bedingungslos möglich – ohne Hormonbehandlung oder chirurgischen Eingriff.

In Zukunft kann in Argentinien jede und jeder ihre und seine Geschlechtszugehörigkeit frei und selbst bestimmen. Schon in der ersten Maihälfte stimmte der Senat mit 55 Stimmen dafür, 17 Senatorinnen und Senatoren enthielten sich. Es gab keine Gegenstimmen. Weil das Abgeordnetenhaus bereits vergangenen November zugestimmt hatte, brandete vor dem Kongress der Jubel auf. Vor dem Kongressgebäude in der Hauptstadt Buenos Aires hatten die Vorsitzende der argentinischen Transvestiten-, Transsexuellen- und Transgeschlechtervereinigung und über tausend Gleichgesinnte ausgeharrt.

Unabhängig vom biologischen Geschlecht und der Geschlechtsbestimmung bei der Geburt kann jeder und jede die Geschlechtszugehörigkeit allein durch ihr oder sein «individuelles Empfinden» bestimmen und registrieren lassen.
Alle Ämter müssen Änderungen in amtlichen Personenregistern bedingungs- und kostenlos vornehmen. Wer sich freiwillig geschlechtsverändernden Behandlungen und Eingriffen unterziehen will, erhält die Kosten von den öffentlichen und privaten Krankenversicherungen erstattet.
Minderjährige können «Kinderanwalt» beiziehen
Auch Jugendliche können ihr Geschlecht frei wählen. Falls die Eltern oder Erziehungsberechtigten ihre Zustimmung verweigern, können Minderjährige einen «Kinderanwalt» beiziehen.
Bisher mussten sich Betroffene Geschlechtsdysphorie (Gefangensein im Körper des falschen Geschlechts) mit einem Gutachten diagnostizieren lassen und mit einem langwierigen Gerichtsverfahren die Änderung ihres Namens und der Geschlechtseintragung im amtlichen Personenregister durchsetzen.
Niemand zweifelt daran, dass Präsidentin Cristina Kirchner mit ihrer Unterschrift das Gesetz in Kraft setzt. «Seit der Regierung Perón bis heute hat man uns weitgehend ignoriert, sagt die 90-jährige Malva, die als älteste Transvestitin des Landes gilt: «Diese Präsidentin ist die erste, die uns den Platz gegeben hat, der uns zusteht.»
Keine Angst vor Missbrauch
Missbrauch werde es mit der Liberalisierung nicht geben, glaubt Manfred Bruns, Vorsitzender des Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland und früherer Bundesanwalt. Die Geschlechtsidentität zu wechseln sei auch ohne Bedingungen keine Bagatelle. Es stehe zu viel auf dem Spiel und die soziale Kontrolle sei gross.

Andern Ländern «um Lichtjahre voraus»
Mit dem neuen Gesetz sei Argentinien den anderen Ländern um «Lichtjahre» voraus, sagte Justus Eisfeld von der New Yorker Transsexuellenorganisation GATE. «Die Tatsache, dass keinerlei medizinische Anforderungen gestellt werden, wie Operation, Hormonbehandlung oder auch nur eine Diagnose, ist weltweit wohl einmalig.» Die renommierte argentinische Publizistin Beatriz Sarlo erklärte im «Nouvel Observateur» das fortschrittliche Gesetz damit, dass die peronistische Partei, die in beiden Parlamentskammern eine komfortable Mehrheit hat, eine Bewegung und keine Ideologie sei. In ihr seien unterschiedliche politische Ausrichtungen vertreten. Zudem ermögliche eine urbane Gesellschaft Gesetze, die in ländlich geprägten Ländern unmöglich wären. Gemäss den neusten Statistiken leben fast 90 Prozent der Argentinierinnen und Argentinier in Städten.
Die Schweiz ist vergleichsweise liberal
Eine vergleichsweise liberale Regelung gibt es in der Schweiz, die kein Transsexuellengesetz hat. Aufgrund der bisherigen Rechtssprechung müssen Betroffene weder ihr Geschlecht operativ ändern, noch sich begutachten lassen, um rechtlich das Geschlecht ändern zu können. Die Zeugungsunfähigkeit gilt jedoch als notwendige Voraussetzung. Für diesen Nachweis genügen ärztliche Gutachten. Dies hat zuletzt das Zürcher Obergericht entschieden.
Andere Länder wie Österreich, Spanien und Grossbritannien verlangen psychiatrische Gutachten für die Änderung des Geschlechts in den amtlichen Registern.
In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht letztes Jahr entschieden, dass eine Operation nicht mehr Voraussetzung sein darf, um rechtlich das Geschlecht zu wechseln. Der Gesetzgeber muss das Transsexuellengesetz nun anpassen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Redaktorin und Herausgeberin der Zeitschrift «FrauenSicht»

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Eine Meinung zu

  • am 4.06.2012 um 09:54 Uhr
    Permalink

    dass die schweiz in dieser frage liberal ist, ist ein trugschluss. auch wir sind um lichtjahre von dieser unglaublich fortschrittlichen gesetzgebung argentiniens entfernt. ohne psychiatrisch-psychologisches gutachten mit entsprechender pathologisierung geht in ch gar nichts. jeder schritt muss individuell erkämpft werden. vieles selber bezahlt werden. krankenkassen bezahlen oft nicht. namensänderung sehr aufwändig. personenstandsänderung ohne op nahezu unmöglich. das obergerichtsurteil ist bis jetzt einmalig und wurde noch nie bestätigt… zudem drohen jobverlust, diskriminierung usw. eine untersuchung des tgns belegt eine 10x höhere arbeitslosenquote bei transgender als restbevölkerung. auch ich erhielt die kündigung. als mann gefeiert, als frau gefeuert.
    freundliche grüsse
    myshelle baeriswyl, dr. phil. psychologin fsp

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