Reichtumsuhr_Deutschland1-1

Die Reichtumsuhr des Deutschen Gewerkschaftsbundes (Stand 2011) © dgb

Ohne Umverteilung wird ganz Europa brennen

Kurt Marti /  Die Bevölkerung von Nordrhein-Westfalen hat begriffen, dass ein Grund für die Schuldenkrise der einseitig verteilte Reichtum ist.

Es hat alles nichts genützt. Drei Tage vor den Wahlen in Nordrhein-Westfalen schlug das «ZDF heute journal» zur besten Sendezeit kräftig die Werbetrommel für den Sparkurs der CDU. Schon der Titel des ZDF-Beitrages liess keinen Zweifel offen: «Schuldenkrise wird zur Zeitbombe». Die Moderation des Beitrages überschlug sich im Krisen-Vokabular: «Schuldenberg von 232 Milliarden Euro», «Lauter kleine Griechenlands», «Teufelskreis» und «Szenen wie aus einem Wirtschafts-Thriller».

Die Staatschulden sind die verweigerten Steuern der Reichen

Das Krisenszenario wurde dramaturgisch untermalt vom Gejammer des Schuldenmanagers und des Stadtkämmerers von Essen. In einem weiteren Beitrag der Sendung «ZDF Zoom» ging es im selben Ton weiter. Der neoliberale «Bund der Steuerzahler» verkündete das Evangelium des Sparens. Gegenrede gab es keine. Zwei Tage nach den beiden ZDF-Sendungen übernahm «10 vor 10» des Schweizer Fernsehens den CDU-Werbe-Spot unter dem Titel: «Griechische Verhältnisse in Deutschland». Am Schluss platzierte der sorgenvolle SF-Kommentator gar einen versteckten Wahlaufruf für die CDU: «Man macht weiter in der Schuldenwirtschaft, so lange es noch geht. Wenn nicht die Wahl am Wochenende etwas daran ändert».

Die Wahlen in Nordrhein-Westfalen wurden hochstilisiert zu einem Votum für mehr oder weniger Schulden, für die SPD oder für die CDU. Die Wählerschaft liess sich vom Schuldenberg des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen und der Gemeinden in der Höhe von 232 Milliarden aber nicht beeindrucken. Denn vielen ist mittlerweile klargeworden: Die Schulden des Landes Nordrhein-Westfalen und auch von ganz Deutschland sind nichts anderes als die verweigerten Steuern der Reichen.

2 100 Milliarden Schulden und 7 500 Milliarden Nettoprivatvermögen

Jahrelang sorgte die Schuldenuhr des «Bundes der Steuerzahler» in Deutschland für Schlagzeilen. Letztes Jahr setzte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Gewerkschaft Verdi mit der Reichtumsuhr einen Kontrapunkt. Die gesamte Schuld der Bundesrepublik Deutschland liegt laut Eurostat bei rund 2 100 Milliarden Euro (siehe Link unten). Dieser Schuld steht ein Nettoprivatvermögen der Deutschen von 7 500 Milliarden gegenüber (siehe aktuelle Reichtumsuhr unten).

Allein das reichste Zehntel verfügt über 4700 Milliarden und könnte die Gesamtverschuldung Deutschlands locker zweimal begleichen. Beim Nettoprivatvermögen handelt es sich um das Vermögen aller Privatpersonen ab 17 Jahren, abzüglich der Verbindlichkeiten. Das Nettoprivatvermögen und seine Verteilung wurde vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung ermittelt (siehe Erläuterungen zur Reichtumsuhr unten).

Wenn man das Nettoprivatvermögen der 10 Prozent reichsten Deutschen auf die Bevölkerung von Nordrhein-Westfalen umrechnet, ergibt das 1 000 Milliarden, also mehr als das Vierfache der Verschuldung in der Höhe von 232 Milliarden. Alle diese Zahlen zeigen eines ganz klar auf: Finanzielle Mittel sind genügend vorhanden, es fehlt allein die gerechte Verteilung.

Die Reichen kritisieren die Schulden, von denen sie profitieren

In den Beiträgen des ZDF und des SF wurde der Hauptgrund der Schuldenkrise mit keinem Wort erwähnt, nämlich die zu niedrigen Steuern der Reichen. Denn die Schuldenkrise ist vor allem eine Steuerkrise. Besonders in Deutschland fand im letzten Jahrzehnt aufgrund zu tiefer Löhne eine massive Verschiebung des Volksvermögens von unten nach oben statt.

Statt angemessene Steuern zu zahlen, waren die Reichen gerne bereit, die eingesparten Steuern dem Staat gegen Zins auszuleihen. Mit dem geliehenen Geld konnte der Staat seinen elementaren Verpflichtungen nachkommen, paradoxerweise attackiert von eben diesen Reichen und deren politischen Lobbyisten, welche diese Schuldenmacherei anprangerten. Doppelbödiger geht es kaum.

Nicht nur die Steuerämter werden brennen

Die ungleiche Verteilung des Reichtums führt zu mehr Staatsausgaben, beispielsweise bei der Polizei und der Justiz, welche mehr Aufwand betreiben müssen, um den Reichtum der Reichen zu schützen. Die fehlende Verteilungsgerechtigkeit führt zur hohen Verschuldung der Staatskassen und zum Spardiktat verbunden mit dem Abbau des Service Public, des Sozialstaates und der demokratischen Entscheidungsprozesse. Das ist der wahre Teufelskreis.

Am untersten Ende dieser Entwicklung stehen die Arbeitslosen und Verzweifelten, die auf die Strasse gehen und Molotows in die Steuerämter werfen. So geschehen letzte Woche in Italien. Doch dabei wird es nicht bleiben. Wenn der gesellschaftliche Reichtum nicht über anständige Mindestlöhne und ein gerechtes Steuersystem auf alle verteilt wird, dann werden auch die Villenviertel brennen und schlussendlich ganz Europa.

Der Sozialstaat als «geldsaugendes Ungeheuer»

Nicht nur die Fernsehsender ZDF und SF spielen mit ihrer tendenziösen Bereichterstattung mit dem Feuer. Auch namhafte Schriftsteller und Philosophen erheben medienwirksam die Stimme für die Reichen. Zum Beispiel Peter Sloterdijk in der Frankfurter Allgemeinen (FAZ). Dort forderte er die «Revolution der gebenden Hand» und denunzierte den Sozialstaat als «Staatskleptokratie» und als «geldsaugendes Ungeheuer», welcher die Reichen durch progressive Steuern zwangsenteigne. Als Alternative propagierte Sloterdijk das Modell der Steuerbefreiung und der freiwilligen Zuwendung der Steuerbürger an das Gemeinwesen. Sehr zur Freude aller Heuschrecken, Abzocker und Steuerflüchtigen.

«Friede den Hütten! Krieg den Palästen!»

Manchmal lohnt sich ein Blick in die Geschichte. «Friede den Hütten! Krieg den Palästen!» hat der Schriftsteller Georg Büchner (1813 – 1837), der am Zürichberg begraben ist, im Jahr 1834 im «Hessischen Landboten» ausgerufen. Büchner empörte sich gegen die ungleiche Verteilung des Reichtums und gegen die hohen Steuern, mit welchen das einfache Volk die Reichen und Vornehmen zu finanzieren hatte.

Die Justiz verfolgte Büchner. Er musste ins französische Strassburg fliehen und starb drei Jahre später in Zürich an Typhus. Elf Jahre später wurden die revolutionären Strömungen des Vormärz in der Märzrevolution 1848 blutig niedergeschlagen und es installierten sich in Deutschland und Frankreich wieder die alten reaktionären Kräfte. Der Rest ist bekannt: Ein Jahrhundert der Kriege und ein Europa in Schutt und Asche.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

3065502515_fcf0d5f0f2

Die Euro- und Währungskrise

Noch mehr Geldspritzen und Schulden bringen die Wirtschaft nicht mehr zum Wachsen. Sie führen zum Kollaps.

Bildschirmfoto20180909um13_36_58

Reich, arm, ungleich

Grösser werdende soziale Kluften gefährden demokratische Rechtsstaaten.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

2 Meinungen

  • am 18.05.2012 um 11:11 Uhr
    Permalink

    Gute Zusammenstellung, besten Dank!
    Interessant wäre noch, wie stark die Steuern für Reiche und Unternehmen in Deutschland und der Schweiz seit den 80er Jahren im Zuge der Ideologie des Neoliberalismus gesenkt wurden.
    Und spannend ist die Frage, wie es die Reichen in der Schweiz als direkter Demokratie geschafft haben, sich auf Kosten des Mittelstandes und weniger Verdienender aus der finanziellen Verantwortung für das Gemeinwesen zu stehlen?
    Natürlich, in den kantonalen und eidgenössischen Parlamenten sitzen viele Gutverdienende und solche, die noch zu lukrativeren Positionen kommen möchten. Und ein Wahlkampf kostet ja auch Geld. Hat man noch die Medien auf seiner Seite, kann Einiges bewegt werden.
    Gut, gibt es noch unabhängige Medien wie Infosperber!

  • am 19.05.2012 um 09:39 Uhr
    Permalink

    > Denn die Schuldenkrise ist vor allem eine Steuerkrise.

    Ich glaube, ohne respektlos wirken zu wollen, dass dies eine elementare Fehlanalyse ist.
    Die Steuerkrise ist dafür verwantwortlich, dass die Ungleichverteilung rasant zugenommen hat und auch die Schuldenproblematik verstärkt hat. Doch wer glaubt, dass dies das grundlegende Problem der Schuldenkrise ist, hat IMHO unser Geldsystem nicht verstanden.
    Alles Geld das existiert, existiert nur, weil irgendjemand entsprechend Schulden gemacht hat! D.h. man kann gar nicht daran interessiert sein, alle Schulden zurück zu zahlen, denn dann gäbe es kein Geld mehr!!!
    Im Gegenteil, wenn die Wirtschaft wächst, braucht es mehr Geld, also müssen mehr Schulden gemacht werden, denn sonst gibt es dieses Geld nicht. Nur durch Kredit entsteht Geld (bis auf ein paar wenige Ausnahmen, wie z.B. Goldverkauf an die Zentralbank).

    Das Problem in wlechem sich nun viele Länder befinden, ist ein Problem des Geldsystems, nicht anderes. Unser Schuldgeldsystem mit Zinseszins hat die Problematik, dass sich die Schulden exponentiell vermehren müssen. Nach einer Währungsreform funktioniert das einige Zeit lang gut, doch irgendwann fängt man an diesen exponentiellen Schuldenzuwachs zu spüren, und dann geht es meistens nicht mehr sehr lange und es braucht einen Währungs-Reset. Dies kann z.B. durch eine starke Inflation geschehen, oder durch Schuldenstreichung.
    In der Geschichte hat so ein Zinseszins-basiertes Schuldgeldsystem nie lange überlebt, weil es eben immer aus dem oben erwähnten Grund an die Wand gefahren ist. Deshalb gab es in der Geschichte immer wieder diese Währungs-Resets.
    Eine andere Alternative wäre z.B. ein Vollgeldsystem.
    Ich persönlich bin immer wieder überrascht wie wenig Leute wirklich verstehen, wie unser Geldsystem funktioniert (oder wie es das eben nicht tut ;-)).
    So ein System wie unseres könnte nur funktionieren, wenn die Inflation immer gleich gross wäre wie die Zins-renditen. Dann würden die Schulden zwar immernoch exponentiell steigen, aber die Währung würde gleichzeitig immer gleichviel an Wert verlieren.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...