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Voodoo-Praxis © Photowitch/Dreamstime

Billionen-«Rettung» der Schuldenländer: Voodoo

René Zeyer /  Wir erleben einen real existierender Wahnsinn und nähern uns zivilisationsfernen Eingeborenen, die an Voodoo glauben.

Die Idee des ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan, mit Steuersenkungen den Staatshaushalt zu sanieren, ist unter dem Begriff Voodoo-Ökonomie in die Geschichte eingegangen. Auch heute gibt es Anhänger von Zauberei, die glauben, mit Wünschen und Hoffen liessen sich Berge versetzen. Genauer: Schuldenberge. Nur sitzen sie diesmal in der Europäischen Zentralbank (EZB). Ihre Beschwörungsformel heisst «Long Term Refinancing Operations» (LTRO). Wie immer in der EU ein komplizierter Begriff, auf Deutsch übersetzt: Wir hauen eine Billion Euro sinnlos raus.

Schon wieder eine Billion

Selbst bei solch schwindelerregenden Zahlen muss man genau bleiben. Wir sprechen hier nicht vom neusten Rettungsschirm, der wurde bereits abgehandelt. Hier handelt es sich um die Billion, die seit Herbst 2011 von der EZB zum netten Zinssatz von 1 Prozent an Banken verliehen worden ist, damit es zu keiner Kernschmelze des Finanzsystems komme. Hat prima funktioniert, die europäischen Banken stehen. Noch. Erste Zweifel am Sinn dieses Unternehmens kommen allerdings, wenn man schaut, was die Banken mit dem Geld gemacht haben. Sie deponierten über 770 Milliarden flugs wieder bei der EZB, obwohl sie dort nur läppische 0,25 Prozent Zinsen kriegen. Also ein Verlustgeschäft? Gemach, in Voodoo-Ökonomie ist manches möglich. Allerdings nur kurzfristig.

Immer wieder das Einmaleins

Schulden sind gekaufte Zeit. Zahle morgen, was du heute kannst besorgen. Ihr Risiko misst sich am Zinssatz. In der Realwirtschaft funktioniert das meistens bestens. Schraubenfabrikant Vetterli braucht einen Kredit, um eine neue Schraubenmaschine zu kaufen. Mit mehr Produktivität und dadurch gesteigerten Ertrag zahlt Vetterli den Kredit samt Zinsen zurück. Gibt es Zweifel an seinem Geschäftsmodell, steigen die Zinsen oder die Gläubiger wollen ihr Geld zurück. Kann Vetterli nicht zahlen oder findet er keinen, der ihm zur Bedienung alter Kredite neues Geld leiht, ist er pleite. Nennt man Marktwirtschaft. Nach diesem Ausflug in die Realität zurück zum real existierenden Wahnsinn der EZB.

Tödliche Verklammerung

Banken kassierten also in wenigen Monaten von der EZB 1 Billion Euro zum lächerlichen Zinssatz von 1 Prozent, deponierten das Geld grösstenteils zum lachhaften Zinssatz von 0,25 Prozent bei der EZB (weil sie sich gegenseitig zu recht nicht mehr über den Weg trauen und sich kein Geld mehr leihen) – und kauften unterlegt mit dieser Sicherheit Staatsanleihen zu 4 oder 5 Prozent. Oberflächlich betrachtet super. Die Zinsen für Schuldpapiere von Wackelkandidaten wie Spanien oder Italien sinken (mehr Nachfrage, trivial), Banken verdienen sich risikolos eine goldene Nase. Staatsbankrotte und Bankenpleiten sind abgewendet, alle können fröhlich weiter am europäischen Haus bauen. Funktioniert aber nur, wenn man an Zauberformeln und Voodoo glaubt. Denn in Wirklichkeit haben Staaten und Banken in tödlicher Verklammerung einen weiteren Schritt Richtung Abgrund gemacht.

Und die Realwirtschaft?

Eine weitere triviale Tatsache muss wiederholt werden: Aus Geld selbst entsteht nicht mehr Geld. Legt man zwei Geldscheine aufeinander, bekommen die keine Jungen. Wertschöpfung entsteht nur in der Realwirtschaft. Die Aufgabe von Banken (und Staaten) besteht eigentlich nur darin, dafür die Rahmenbedingungen zu schaffen. Der Staat in Sachen Infrastruktur und soziale Verträglichkeit. Die Banken im Sinne von zweckvoller Verteilung von Krediten. Nun haben Spanien und Italien explodierende Arbeitslosenzahlen, implodierendes Wirtschaftswachstum, und die Banken haben kaum Geld an die Realwirtschaft ausgeliehen. Mit dieser Billion wurde lediglich die Refinanzierung unbezahlbarer Staatsschulden kurzfristig erleichtert und die Bilanz von verrotteten Banken aufgehübscht. Also hat die EZB nur mit neuem Geld unbezahlbare Staatsschulden refinanziert. Was sie aber eigentlich nicht darf, daher der Umweg über Banken.

Geld ist nicht gratis

Jedes KMU, das von seiner Bank keinen Investitionskredit bekommt, würde liebend gerne zur EZB gehen und sich für läppische 1 Prozent auf 3 Jahre Geld borgen. Und damit in den meisten Fällen etwas Sinnvolles und Wertschöpfendes anstellen. Das Bruttosozialprodukt steigern, neue Mitarbeiter anstellen, mehr Steuern zahlen. Ist aber verboten. Nur Banken dürfen sich bei der EZB Geld leihen. Um es in Schuldpapiere von wankenden Staaten zu hauen. Um anschliessend von eben diesen Staaten gerettet zu werden, wenn diese Staatsschuldpapiere wertlos werden. Natürlich nur im schlimmsten Fall, wenn auch die andere Billion, die im Rettungsschirm bereitliegt, sinn- und zweckfrei ausgegeben worden ist. Weil Geld doch gratis ist, nach dieser absurden Logik. Real existierender Wahnsinn, der von namhaften Finanzkoryphäen verteidigt wird. Da sollten wir uns wirklich nicht über unterentwickelte und zivilisationsferne Eingeborene lustig machen, die an Voodoo glauben.

Dieser Beitrag erschien auf journal21.ch


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. René Zeyer, ist Autor des Bestsellers «Bank, Banker, Bankrott». Er arbeitete als Journalist für den «Stern», «Geo», «FAZ», «Das Magazin», «Schweizer Illustrierte» und war mehrere Jahre Auslandkorrespondent der «Neuen Zürcher Zeitung». Als langjähriger Kommunikationsberater in der Finanzbranche gehört er zu den Insidern. Zeyer lebt in Zürich.

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