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Sexuelle Beziehung zur Schwester verboten © OneFromRM/Flickr/CC

Staaten dürfen Inzest-Liebe verbieten

Andreas Schmitt / LTO /  Ein Verbot sexueller Beziehungen zwischen Verwandten verletzt keine Menschenrechte, entschied der Gerichtshof für Menschenrechte.

Ein heute 37-Jähriger ging bis in die letzte Instanz, um für die Liebe zu seiner Schwester nicht bestraft zu werden. Aber auch in Strassburg unterlag der Leipziger mit dem Versuch, die deutsche Inzeststrafbarkeit für europarechtswidrig erklären zu lassen: Deutschland habe einen weiten Entscheidungsspielraum zum Schutz der Moral, entschied der Menschenrechtsgerichtshof am Donnerstag.
Zwar greifen die deutschen Urteile, mit denen der Mann gleich mehrfach wegen Beischlafs mit seiner Schwester verurteilt wurde, in sein Familienleben ein, so der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). In einem einstimmigen Votum stellten die Strassburger Richter jedoch fest, dass die deutsche Strafnorm zum Beischlaf zwischen Verwandten (Paragraph 173 Strafgesetzbuch) das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) nicht verletzt.
«Schutz der Rechte anderer»
Das vom deutschen Gesetzgeber mit dem Inzestverbot verfolgte Ziel, den Schutz der Moral und der Rechte anderer zu gewährleisten, sei ein legitimes Ziel, um den Beischlaf unter Verwandten unter Strafe zu stellen. Der Fall betreffe eine Frage moralischer Massstäbe, in der die Vertragsstaaten der EMRK einen weiten Beurteilungsspielraum haben, wenn kein länderübergreifender Konsens besteht (Urteil vom 12.04.2012).
Das Bundesverfassungsgericht, das die Verfassungsmässigkeit des Inzestverbots 2008 bestätigt hatte, habe eine sorgfältige Abwägung der Argumente für und gegen die Strafbarkeit sexueller Beziehungen zwischen Geschwistern vorgenommen, so die europäischen Richter. Der Gerichtshof gelangte daher zu der Auffassung, dass die deutschen Gerichte ihren Beurteilungsspielraum bei der Verurteilung des Mannes nicht überschritten haben.
Bundesverfassungsgericht: Inzest-Strafbarkeit verletzt die Verfassung nicht
Geklagt hatte ein heute 37-Jähriger, der eine Liebesbeziehung zu seiner heute 28-jährigen Schwester unterhielt und mit ihr vier Kinder zeugte, von denen zwei behindert zur Welt kamen. Der Vater wurde deshalb gleich mehrmals wegen «Beischlafs zwischen Verwandten» zu Freiheitsstrafen verurteilt. Beide lernten sich erst als Erwachsene kennen und sind mittlerweile getrennt. Dieses Urteil hatte der Mann in Deutschland bis vor das Bundesverfassungsgericht weiter gezogen.
Dieses hatte mit Beschluss vom 26. Februar 2008 ebenfalls entschieden, dass die deutsche Strafvorschrift des § 173 Abs. 2 S. 2 StGB, die den Beischlaf zwischen Geschwistern mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe bedroht, mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Nach Ansicht der Karlsruher Richter ist der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf sexuelle Selbstbestimmung durch das strafbare Inzestverbot verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
«Schutz der Familie»
Der durch den Gesetzgeber verfolgte Zweck, den Geschwisterinzest unter Strafe zu stellen, um die Familie vor schädigenden Wirkungen des Inzests zu bewahren, sei legitim. Insbesondere zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung des in einer Inzestbeziehung «unterlegenen» Partners, und um schwerwiegende genetisch bedingte Erkrankungen bei Abkömmlingen aus einer solchen Beziehung zu vermeiden, könne das in der Gesellschaft verankerte Inzesttabu strafrechtlich sanktioniert werden.
Sexverbot zur Vermeidung von Erbschäden
Der Zweite Senat stützte seine Argumentation darauf, dass es durch den Inzest «zu einer Überschneidung von Verwandtschaftsverhältnissen und sozialen Rollenverteilungen und damit zu einer Beeinträchtigung der in einer Familie strukturgebenden Zuordnungen» kommen könne. Denn der Beischlaf zwischen Geschwistern betreffe nicht ausschliesslich diese selbst, sondern könne in die Familie und die Gesellschaft hinein wirken und Folgen für aus der Verbindung hervorgehende Kinder haben. Deshalb könne das strafbare Inzestverbot auch unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung von Erbschäden nicht als irrational angesehen werden.
Angesichts der «institutionellen Bedeutung der Familie» und des nur geringen Eingriffs in einen schmalen Bereich der persönlichen Lebensführung sei die Strafandrohung daher auch verhältnismässig. Da das strafrechtliche Inzestverbot nur ein eng umgrenztes Verhalten zum Gegenstand habe und die «Möglichkeiten intimer Kommunikation nur punktuell verkürze», würden die Betroffenen auch nicht in eine mit der Achtung der Menschenwürde unvereinbare ausweglose Lage versetzt.
Eine abweichende Meinung zum Beschluss des Zweiten Senats vertrat der damalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgericht, Winfried Hassemer. Er kritisierte insbesondere, dass «eine Berücksichtigung eugenischer Gesichtspunkte […] von vornherein kein verfassungsrechtlich tragfähiger Zweck einer Strafnorm» sei. Dies sei eine «absurde Erwägung», die auf die Verneinung des Lebensrechts behinderter Kinder hinausliefe.

Dieser Beitrag erschien in der Legal Tribune online.

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