Offener Brief an Bundespräsidentin Widmer-Schlumpf
Der Bundesrat hatte das Stimmvolk «hinters Licht geführt», urteilte das Bundesgericht. Grund: Er hatte im Abstimmungskampf die «Unternehmenssteuerreform II» den Stimmübergerinnen und Stimmbürgern schmackhaft gemacht, indem er behauptete, sie führe nicht zu Steuergeschenken für Grossaktionäre, sondern komme vor allem Kleinunternehmen zu gute. Die Praxis zeigt heute das Gegenteil.
Die Eidgenössischen Steuerverwaltung spielt die Angelegenheit herunter: Für 700 Milliarden aktuelle und künftige Dividendenausschüttungen wären lediglich 400 bis 600 Millionen Steuern geschuldet, die jetzt wegfallen.
Das bedeutet, dass im Normalfall auf 700 Milliarden Kapitaleinnahmen lediglich 0,7 Prozent Steuern anfallen.
«Solche Steuergesetze nagen an der Glaubwürdigkeit des Staates», heisst es im Offenen Brief an die Bundespräsidentin.
Die erstunterzeichnenden Journalisten Beat Allenbach und Werner Vontobel rufen alle auf, den Brief selber zu unterschreiben und an die Bundespräsidentin Widmer-Schlumpf zu schicken.
Entweder an
eveline.widmer-schlumpf@gs-efd.admin.ch
oder an
Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf, Vorsteherin des EFD, Bernerhof, 3003 Bern
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OFFENER BRIEF ZUM KOPIEREN
Im April 2012
Frau Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf
Vorsteherin des EFD, Bernerhof, 3003 Bern
Betrifft Unternehmenssteuerreform II
Sehr geehrte Frau Bundespräsidentin,
jetzt sind es schon 700 Milliarden Franken steuerfreie Dividendenreserven. Das ist gut das Zweifache der jährlichen Lohnsumme!
Der frühere Finanzminister Hans Rudolf Merz hatte die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger falsch informiert: Er behauptete im Abstimmungskampf, der Bund werde infolge der Unternehmenssteuerreform II nur geringe Steuerausfälle erleiden, und es handle sich um eine Reform zugunsten der kleinen Unternehmer, nicht um «Steuergeschenke für Grossaktionäre».
Doch ein noch grösserer Skandal liegt darin, dass die Eidgenössische Steuerverwaltung die Angelegenheit herunterspielt: Für 700 Milliarden aktuelle und künftige Dividendenausschüttungen wären lediglich 400 bis 600 Millionen Franken Steuerausfälle geschuldet, die jetzt wegfallen. Im Klartext heisst das: Kapitaleinkommen werden in der Schweiz kaum besteuert – ganz im Gegensatz zum Einkommen aus ehrlicher Arbeit. Solche Steuergesetze nagen an der Glaubwürdigkeit des Staates.
Wir fordern deshalb den Bundesrat auf, sicher zu stellen, dass Einkommen aus Kapital genau so besteuert wird wie Einkommen aus Arbeit.
Als ersten kleinen Schritt in diese Richtung sollte der Bundesrat mit einer ergänzenden Vorlage das riesige Steuerschlupfloch aus der Unternehmenssteuerreform 2 wenigstens teilweise schliessen. Wann wird er die entsprechende Vorlage dem Parlament unterbreiten?
Schliesslich warten wir immer noch darauf, dass sich der Bundesrat bei den Stimmbürgern dafür entschuldigt, dass er sie – wie das Bundesgericht festgestellt hat – «hinters Licht führte».
Anstelle eines rücksichtslosen Profitdenkens fordern wir eine Politik des Ausgleichs der Interessen. Der steigende Reichtum soll allen zugute kommen. Eine Gesellschaft, die zulässt, dass für einen Teil der Menschen ihr Lohn trotz vollem Pensum für den Lebensunterhalt nicht ausreicht, wollen wir nicht dulden.
In Erwartung Ihrer Antwort, grüssen wir Sie freundlich
Die Erstunterzeichner:
Beat Allenbach, Journalist, Torricella TI
Werner Vontobel, Journalist, Zürich
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine