Zweitwohnungen: TA erhebt komische Vorwürfe
Offensichtlich hatte der Tages-Anzeiger drei Jahre lang über Zweitwohnungen geschrieben, ohne zu wissen, um was es sich handelt. Denn so lange hatte er über Zweitwohnungen berichtet, die im Raumplanungsgesetz neu geregelt wurden. Seit zwei Jahren verlangt dieses Gesetz «ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Erst- und Zweitwohnungen», unter anderem dank einer «Beschränkung der Zahl neuer Zweitwohnungen».
Alle nur zweitweise bewohnten Wohnungen sind Zweitwohnungen
In der Botschaft zu dieser Gesetzesänderung hatte der Bundesrat den Begriff «Zweitwohnungen» stets mit «zeitweise bewohnte Wohnungen» synonym und gleichbedeutend verwendet. Es war damals immer klar, dass alle Wohnungen, die nicht permanent, sondern nur «zeitweise bewohnt» sind, eben Zweitwohnungen sind. Also auch Ferienwohnungen und Wohnsitze von Wochenaufenthaltern.
Während der Debatten um das Raumplanungsgesetz hat der Tages-Anzeiger diesen Begriff nie in Frage gestellt, wie es auch die andern Medien nicht getan haben. Schliesslich hatten sich auch Bundesrat und Parlament stets an den so definierten Begriff der Zweitwohnung gehalten.
Im letzten Jahr, als es um die Zweitwohnungs-Initiative von Franz Weber ging, waren TA und andere Zeitungen von der gleichen Definition der Zweitwohnungen ausgegangen, wie auch der Bundesrat: In der offiziellen Abstimmungsbroschüre schrieb die Landesregierung deshalb unmissverständlich: «Die Beschränkung der Zweitwohnungen auf einen fixen Anteil von 20 Prozent aller Wohnungen würde in zahlreichen Gemeinden zu einem abrupten Baustopp führen.» Es war also allen Abstimmenden klar, welche Folgen die Annahme der Franz-Weber-Initiative haben wird.
Der TA will nicht mehr wissen, worüber das Volk abgestimmt hat
Doch für TA-Redaktor Fabian Renz scheint irrelevant zu sein, von welchen Zweitwohnungen vor der Abstimmung dauernd und offiziell die Rede war. Er beruft sich auf Aussagen, welche einzelne Initianten nach der Abstimmung in einer Arena-Sendung oder einer Zeitung gemacht haben – als ob ein Verfassungsartikel in der Arena oder in einem Zeitungsinterview rechtsgültig ausgelegt würde.
Entscheidend bleibt der Verfassungsartikel selber, und dann, was Bundesrat und Parlament den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern zum Entscheid vorgelegt haben. Nie hatte jemand auch nur angetönt, dass mit Zweitwohnungen plötzlich etwas anderes gemeint ist, als was man wenige Jahre vorher im Raumplanungsgesetz festgeschrieben hat. Der Begriff war klar und bezog sich auf die Kriterien des Bundesamts für Statistik.
Wer bricht Versprechen?
Wenn Fabian Renz den Vorwurf erhebt, es seien «Versprechen gebrochen» worden, dann soll er diesen Vorwurf nicht an die Adresse des Franz-Weber-Teams richten, sondern an die Adresse all jener, für die Zweitwohnungen jetzt plötzlich fast nur noch leer stehende Wohnungen sind.
Klare Definition im Raumplanungsgesetz
Hier zur Erinnerung nochmals die Definition von Zweitwohnungen, wie sie für das Raumplanungsgesetz gilt:
2010 hat das Parlament dessen neue Bestimmungen zur «Beschränkung der Zahl neuer Zweitwohnungen» endgültig verabschiedet. Die Kantone sind jetzt verpflichtet, für ein «ausgewogenes Verhältnis zwischen Erst- und Zweitwohnungen» zu sorgen.
• Im Raumplanungsgesetzt gibt es also nur entweder Erst- oder Zweitwohnungen oder gar nicht bewohnte, und nichts dazwischen.
Bezüglich «Ferienwohnungen» verwies der Bundesrat in seiner Botschaft zum Raumplanungsgesetz auf eine Statistik der «zeitweise bewohnten Wohnungen in Gemeinden».
• Folglich: Nicht ganzjährig vermietete Ferienwohnungen sind «zeitweise bewohnte Wohnungen», also Zweitwohnungen. Nur wenn ein Mieter seinen Wohnsitz am Ort der Wohnung hat, ist die Wohnung eine Erstwohnung.
Unter dem Titel «Zweitwohnungsanteile» verwies der Bundesrat auf eine andere Statistik, welche die «Zeitweise bewohnten Wohnungen pro Kanton» erfasst. Er erläuterte, dass das zunehmende Pendeln zwischen Wohn- und Arbeitsort «auch in Städten zu einer wachsenden Nachfrage nach Zweitwohnungen» führe.
• Also sind auch Wohnungen von Pendlern und Studentinnen Zweitwohnungen.
Zur praktischen Umsetzung der neuen Gesetzesparagraphen stellte der Bundesrat fest, dass die Gemeinden auf die vom Bundesamt für Statistik erhobenen «zeitweise bewohnten Wohnungen» abstellen können. Als Datenquellen stünden zudem Kurtaxenabrechnungen oder die Steuerregister zur Verfügung: «Es hat sich gezeigt, dass der Vollzug keine grösseren Probleme bereitet, wenn die Gemeinden gewisse Begleitmassnahmen ergreifen, wie zum Beispiel die Führung eines Erstwohnungskatasters bei Erstwohnanteil-Plänen oder periodische Stichprobenkontrollen.»
• Also: Es geht doch.
Bundesrätin Leuthard beruft Arbeitsgruppe
Bundesrätin Doris Leuthard, die schon am Abend des Abstimmungstages behauptete, es sei «nirgends definiert, was eine Zweitwohnung überhaupt ist», hat eine 16-köpfige Arbeitsgruppe einberufen, die ab nächsten Dienstag eine Aufweichung des Begriffs «Zweitwohnung» vorschlagen soll. Doris Leuthard hat bereits die Hoffnung geäussert, dass der Verfassungsartikel «auf Gesetzesstufe gelockert werden» könne.
Bis heute hat sich die Bundesrätin um eine Begründung gedrückt, weshalb sie in Zukunft nicht von der gleichen Definition ausgeht, die ihr Departement drei Jahre lang vertreten und verteidigt hat, und die im Raumplanungsgesetz festgeschrieben ist.
Bundesverfassung ist nicht massgebend
In der Realpolitik hat Fabian Renz vom Tages-Anzeiger allerdings recht: Es spielt keine Rolle, worüber die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger abgestimmt haben und wie der Verfassungsartikel lautet. Denn in der Schweiz kann das Parlament Gesetze erlassen, welche die Bundesverfassung in keiner Weise respektieren. Wir sind eines der einzigen demokratischen Länder, in denen sich die Bürgerinnen und Bürger nicht dagegen wehren können, wenn Gesetze gegen die Verfassung verstossen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Besitzer einer auch mit Freunden gut besetzten Zweitwohnung