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Beznau-Hochwasser 2007: Was wäre bei der doppelten Wassermenge? © -

Endlich: Hochwasser-Risiko für AKWs wird geprüft

Kurt Marti /  Vor fast zwei Jahren hat Infosperber auf das Hochwasser-Risiko für das AKW Beznau hingewiesen. Jetzt ist der Bund aufgewacht.

Bereits im Februar 2012 hat Infosperber auf die Gefahren eines Hochwassers für das AKW Beznau hingewiesen. Doch erst jetzt hat der Bund sich entschlossen, unter der Leitung des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) das Hochwasser-Risiko der Aare für die Atomkraftwerke Mühleberg, Gösgen und Beznau I und II zu untersuchen. Besser spät als nie. Aus aktuellem Anlass stellt Infosperber den Beitrag vom 23. Februar 2012 noch einmal online:

Beznau-Risiko: Axpo rechnet nur mit Hahnenwasser

Kurt Marti / 23. Feb 2012 – Die Axpo rechnete für das AKW Beznau mit einem Hochwasser ohne Schwemmholz und Geröll.

Der Stromkonzern Axpo als Betreiber der beiden AKW-Blöcke Beznau I und II legte dem Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI eine Hochwasserstudie vor, welche mit reinem Wasser rechnet. Im schlimmsten Fall eines 10 000-jährlichen Hochwassers würde das AKW-Gelände laut Axpo bloss 37 Zentimeter unter Wasser stehen.

Der Rückstau könnte das AKW-Gelände wie ein Tsunami überfluten

Im Wasserschloss Brugg im Kanton Aargau strömen die drei Flüsse Limmat, Reuss und Aare zusammen. Kurz unterhalb des Zusammenflusses trifft die Aare auf die Insel Beznau, wo die beiden Reaktorblöcke des Atomkraftwerkes Beznau stehen. Direkt oberhalb der Insel steht der Stauwehr des Wasserkraftwerkes Beznau. Im Falle eines Hochwassers könnten sich hier grosse Mengen Schwemmholz anhäufen und zu einer Rückstauung der Aare und einem meterhohen See führen.

Ein Durchbruch würde das AKW-Gelände wie ein Tsunami meterhoch überfluten und im schlimmsten Fall zu einer atomaren Katastrophe führen würde. Dies befürchten die besorgten Menschen aus der Umgebung des Atomkraftwerkes, welche am letzten Dienstag bereits die 200. Mahnwache vor den Toren des ENSI in Brugg abhielten.

Axpo und ENSI verschleiern die unrealistischen Randbedingungen

Nach der Atomkatastrophe in Fukushima forderte das ENSI die AKW-Betreiber in der Schweiz auf, Berichte zur Erdbeben- und Hochwassersicherheit einzureichen. Ende August 2011 lieferte die Axpo einen ersten Teil-Bericht zur Hochwassersicherheit des Atomkraftwerkes Beznau ab. Darin verschweigt die Axpo, dass sie von einem Hochwasser mit reinem Hahnenwasser ausgeht, das überhaupt kein Schwemmgut (Holz, Autos, etc.) und kein Geschiebe (Geröll, Sand) mitführt. Und auch in der Stellungnahme des ENSI zum Axpo-Bericht ist nirgends von dieser wesentlichen Randbedingung die Rede.

Vielmehr verschleiert auch das ENSI diese Tatsache mit den Worten: «Es ist der deterministische Nachweis zu führen, dass eine Verstopfung oder eine Schädigung der Flusswassereinlaufbauwerke ausgeschlossen werden kann.» In der ENSI-Pressemitteilung vom 7. September 2011 heisst es dazu: «Das KKB hat den Nachweis der Beherrschung des 10 000-jährlichen Hochwassers unter den vom ENSI gesetzten Rahmenbedingungen erbracht.»

Dieser Behauptung widersprechen die Teilnehmer der Mahnwache in Brugg vehement. Zum Beispiel Heinrich Weigl, ehemaliger Professor an der HTL Brugg-Windisch: «Wie kann, ohne die Berücksichtigung von Geschiebe, eine Aussage über Verstopfung gemacht werden? Mit Reinwasser, wie in der Berechnung verwendet, entsteht nun einmal keine Verstopfung! Für das ENSI bedeuten die Resultate aber: Wenn das Wasser ohne die Berücksichtigung von Feststofftransport und Schwemmgut nicht hoch genug steigt, braucht man sich um die Verstopfungsgefahr nicht zu kümmern.»

Katastrophaler Verlauf erst durch Schwemmgut und Geschiebe

Dabei ist es nicht nur für den Laien klar, dass erst das Schwemmgut und das Geschiebe ein Hochwasser gefährlich machen, sondern auch der Wissenschaft. In den Kursunterlagen zum Thema «Hochwassermodellierungen: Einfluss des Sedimenttransports» von Dr. Roland Fäh an der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) kann man dazu lesen: «Erst durch die Interaktion von Strömung und Feststofftransport nahmen die Hochwasserereignisse ihren katastrophalen Verlauf. Wassertiefen und Fliessgeschwindigkeiten werden normalerweise auf der Basis von ein- oder zweidimensionalen Strömungsberechnungen bestimmt. Das heisst, man nimmt an, dass das Gerinne, in dem das Wasser abläuft, fixiert ist und kein Feststoff transportiert wird. Die Wirkung des Feststofftransportes wird oft vernachlässigt oder nur rudimentär abgeschätzt.»

Verstopfungen könnten zu einem Stausee führen

Der Energie-Ingenieur Heini Glauser, welcher regelmässig an den Mahnwachen teilnimmt, führte den ENSI-Verantwortlichen mit einem Vortrag bereits im August 2011 eindrücklich vor Augen, wie gefährlich ein Hochwasser sein könnte. Das Hochwasser 2007 führte eine Wassermenge von rund 2 600 m3/s, womit die Durchlasskapazität des Stauwehrs schon erreicht wurde (siehe Foto). Bereits bei einer Wassermenge von 3 000 m3/s würde der Stauwehr zum gefährlichen Stausee. Die Axpo geht bei einem 10 000-jährlichen Hochwasser von einer Wassermasse von maximal 4 200 m3/s aus. Laut Glauser würde sich die Aare durch die Verstopfungen mit Schwemmgut zu einem See von mehreren Metern Höhe über dem normalen Aare-Niveau aufstauen und bei einem Durchbruch das AKW Beznau mehrere Meter hoch unter Wasser setzen.

Axpo versucht die Gefahr durch Schwemmholz herunterzuspielen

Die Axpo spielt in ihrem Schlussbericht zum EU-Stresstest die Gefahr erneut herunter: «Das Szenario einer Totalverklausung von Wehröffnungen ist extrem unwahrscheinlich und hypothetisch.» Zwar könne im Einzugsgebiet des Atomkraftwerkes Beznau viel Schwemmholz anfallen, aber dieses werde von den oberhalb liegenden Kraftwerken und Seen zurückgehalten. Infolge des geringen, restlichen Einzugsgebietes könne die Verstopfung der Wehröffnung mit Schwemmholz «praktisch ausgeschlossen werden». Diese Annahme wird laut Glauser durch die kilometerlangen, stark bewaldeten Flussläufe der Limmat, der Reuss und der Aare im Raum Brugg klar widerlegt. Zudem müsse man von grossen Mengen Schutt und Geröll ausgehen, welche die Flussrinne beim Wehr auffüllen können. Glauser erinnert dazu an die Unwetterkatastrophe in Brig-Glis im Jahr 1993 (siehe Video).

«Der Weiterbetrieb von Beznau hätte keine Chance»

Ein Blick über die Grenze zeigt, dass die Atomsicherheitsbehörde in Deutschland bedeutend höhere Anforderungen an einen Stresstest im Falle eines Hochwassers stellt. Die AKW-Betreiber müssen für Flussstandorte die Wassermenge eines 10 000-jährlichen Hochwassers mit dem Faktor 1,5 erhöhen. Die Axpo rechnet mit einer Überschwemmungshöhe des AKW-Areals von 37 Zentimeter. Die Anlagen sind bis zu einer Höhe von 1,65 Meter gesichert.

Wenn die Axpo mit den deutschen Anforderungen rechnen müsste und zusätzlich das Schwemmholz und das Geschiebe einbezogen würde, könnte die Sicherheitshöhe von 1,65 Metern bei weitem übertroffen werden: «Das würde zu etwa plus fünf Metern über dem Beznau-Niveau am oberen Ende der Beznau-Insel führen. Mit einer Sicherheitshöhe von heute 1.65 Metern hätte der Weiterbetrieb von Beznau keinerlei Chance.»

Präsenz der Mahnwachen zeigte beim ENSI erste Wirkungen

Die ständige Präsenz der Mahnwache vor den Toren des ENSI und die Argumente der Kritiker zeigen beim ENSI erste Wirkungen. Gegenüber Infosperber erklärt ENSI-Kommunikationschef Sebastian Hueber: «Das Thema Verklausung war und ist für das ENSI ein Thema, welches bei der Hochwassersicherheit zu berücksichtigen ist.» Und er verweist auf den Länderbericht der Schweiz zum EU-Stresstest. Darin nimmt das ENSI an, dass eine vollständige Verstopfung des Stauwehrs mit Schwemmgut zu einer «Verschärfung der Risiko-Situation» auf dem AKW-Gelände Beznau führen könne. Eine totale Verstopfung habe «potentiell grössere Auswirkungen auf die Überflutungs-Situation».

ENSI taxiert Axpo-Studie als unzureichend

Laut ENSI-Bericht ist die Aufsichtsbehörde aufgrund der Axpo-Studie zum AKW Beznau nicht in der Lage festzustellen, welche Auswirkungen eine Verstopfung durch das Schwemmgut haben kann. Deshalb folgert das ENSI in seinem Bericht: «Folgende offene Frage erfordert weitere Abklärungen: Die vollständige Verstopfung der wasserbaulichen Einrichtungen».

Trotz dieses Misstrauensvotums behauptet das ENSI auf seiner Homepage: «EU-Stresstest bestätigt Sicherheit». Die Frage von Infosperber, wieso das ENSI das AKW Beznau als sicher bezeichnet, obwohl die Berechnungen zur Hochwassersicherheit auf offensichtlich unzureichenden Modellen beruhen, liess das ENSI offen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Kurt Marti war früher Beirat (bis Januar 2012), Geschäftsleiter (bis 1996) und Redaktor (bis 2003) der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES)

Zum Infosperber-Dossier:

Ensi

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Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat Ensi entscheidet darüber, ob AKWs noch sicher genug sind.

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