Der ideologische Überbau der NZZ
Martin Meyer, der Chef des NZZ-Feuilletons, kündigte den neuen Messias bereits zehn Tage vor seiner Niederkunft freudig an: Den britischen Historiker Niall Ferguson, welcher Anfang Februar in der Aula der Universität Zürich einen Vortrag zum Thema seines neusten Buches «Der Westen und der Rest der Welt» hielt.
Der Westen vernachlässigt die «Killer-Applikationen»
Meyer stellte das Buch von Ferguson auf einer NZZ-Seite lobend vor und stimmte die geneigte NZZ-Leserschaft auf Fergusons ziemlich simple und martialische Thesen ein: Der Westen verdankt seinen Erfolg in den letzten 500 Jahren der Anwendung von sechs «Killer-Applikationen»: Wettbewerb, Wissenschaft, Eigentum, Medizin, Konsum und Arbeit. Doch jetzt droht der Niedergang, weil China die meisten Killer-Apps «gedownloadet» hat und der Westen diese vernachlässigt. Der Niedergang drohe vor allem Europa und weniger den USA, wo die Anspruchshaltung der Bürgerinnen und Bürger an den Staat weniger ausgeprägt seien.
Meyers Buchbesprechung in der NZZ war Werbung in eigener Sache, denn Meyer leitet das Schweizerischen Instituts für Auslandforschung (SIAF), welches den Vortrag von Ferguson organisierte. Im SIAF traf Ferguson auf ein dankbares Publikum, welches seine neoliberale Sicht mehrheitlich teilte und sich gerne durch seine ausgefeilte Rhetorik blenden liess. In den Medien stiess das Referat auf ein bescheidenes Echo. Die NZZ und die NZZ online berichteten ausführlich darüber.
Auf den Spuren von Samuel Huntingtons «Kampf der Kulturen»
Wie Samuel Huntingtons «Kampf der Kulturen» (1996) beklagt Ferguson das «Nachlassen der Arbeitsethik» im Westen. Ferguson, der in den USA lehrt, unterstützte den Irak-Krieg. Gleichzeitig sprach er sich für die Kürzung der sozialen Ausgaben der USA aus, um das Staatsdefizit zu senken. Fergusons «Analyse» ist eine breite Auflistung von bereits Bekanntem. Bezeichnend für seine Sicht ist, dass unter den sechs Werten, welche den Westen erfolgreich gemacht haben, die soziale und ökologische Gerechtigkeit fehlt. Und bezüglich der Rolle des Christentums wärmt er bloss Max Webers Thesen über die protestantische Ethik auf.
Das SIAF hängt finanziell am Tropf der Wirtschaft
Der Vortrag passte ausgezeichnet ins neoliberale Programm der SIAF. Zwar bezeichnet sich das Institut als «ein politisch und wirtschaftlich unabhängiges Kompetenzzentrum». Die Partner, welche das SIAF finanziell unterstützen, vermitteln ein ganz anderes Bild: UBS, Credit Suisse, Bank Vontobel, Nestlé, Zürich Versicherungen, Holcim, Swiss Re, Swiss Life, Ernst & Young und Sanitas. Von politischer und wirtschaftlicher Unabhängigkeit keine Spur. Das SIAF, dieser ideologische Überbau der NZZ, hängt offensichtlich am Tropf der Finanzwirtschaft und der Industrie.
Im Vorstand tummelt sich die Lobby der Wirtschaft
Noch beeindruckender ist die Liste der Personen im SIAF-Vorstand und SIAF-Kuratorium: Vorstands-Präsident ist UBS-Präsident und Alt-FDP-Bundesrat Kaspar Villiger und Vizepräsident der NZZ-Redaktor Martin Meyer, welcher gleichzeitig als Institutsleiter auftritt. Im SIAF-Kuratorium sitzt der ehemalige NZZ-Wirtschaftschef Gerhard Schwarz, welcher inzwischen auf die Chefposition des neoliberalen Think-Tank Avenir Suisse aufgestiegen ist. Der Quästor (Kassier) des Instituts ist Josef Meier, Managing Director der Credit Suisse und VR-Präsident der Neuen Aargauer Bank. Auch das Präsidium des Kuratoriums ist mit einem FDP-Mitglied besetzt, nämlich mit der Zürcher Regierungsrätin Ursula Gut-Winterberger.
Weitere Vorstandsmitglieder sind: Markus Akermann, CEO der Holcim; Heinrich Christen, Ernst & Young; Philipp Hildebrand, Ex-Nationalbank-Direktor; Wolfgang Schürer, VR-Präsident der MS Management Service AG; sowie die Hochschul-Professoren Andreas Wenger, Daniel Thürer und Georg Kohler. Im Kuratorium sitzen weitere Vertreter der Wirtschaft: Urs Rohner, VR-Präsident der Credit Suisse Group; Bruno Gehrig, VR-Präsident der Swiss International Airlines; Thomas Wellauer, Chief Operating Officer der Swiss Re.
«Uni von unten» verhinderte Auftritt von Novartis-Chef Vasella
Das Institut veranstaltet im Jahr zwölf Vorträge, welche grösstenteils in den gesetzten Rahmen passen. Im Mai erhält wiederum ein Mitglied des SIAF-Kuratoriums eine Plattform, nämlich Urs Rohner, VR-Präsident der Credit Suisse. Daneben treten ab und zu auch Andersgesinnte auf, beispielsweise im März die Feministin Alice Schwarzer.
Im April 2009 verhinderte die linke Studenten-Gruppe «Uni von unten» einen Vortrag von Novartis-Chef Daniel Vasella und stellte die Abhängigkeit der Universität von der Wirtschaft zur Diskussion. Das SIAF sei ein «schlecht getarnter neoliberaler Think-Tank», kritisierte die Studenten-Gruppe.
Wenig Verständnis für die Studenten-Aktion zeigte Instituts-Leiter Meyer, welcher den Vorwurf der Unterwanderung der Uni durch die Wirtschaft als «absurd» bezeichnete. Und in der NZZ griff der damalige Wirtschaftschef Gerhard Schwarz empört in die Tasten: «Die Universität beugte sich einer Art Protestaufruf einer anonymen Gruppe.» Trotzdem wurde der Anlass durchgeführt, wenn auch in kleinerem Rahmen in einem Hotel in Zürich. Getreu rapportierte Schwarz anschliessend das Referat des Novartis-Chefs für die NZZ-Leserschaft.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine