Bundesratskandidaten «vor Hyänen schützen»
In der Geschichte der Wahl von Mitgliedern des Bundesrates hatte sich im Dezember 2011 wieder einmal gezeigt, dass eine Regierungspartei nicht in der Lage war, vor der Beschlussfassung über die Kandidatur die moralische Eignung eines von ihr vorgeschlagenen Kandidaten genügend abzuklären. Wenige Tage nach dessen offizieller Nominierung durch die Fraktion war in der «Weltwoche» zu lesen, Bruno Zuppiger habe im Rahmen der Willensvollstreckung eines Nachlasses in einer Art und Weise gehandelt, die strafrechtlich zumindest als nicht unbedenklich erscheint. Zuppiger hatte sich zwar mit den im Testament bedachten beiden gemeinnützigen Organisationen zivilrechtlich geeinigt und mit ihnen darüber eine Stillschweigevereinbarung abgeschlossen.
Doch der Anschein, dieser Politiker habe sich aus dem betreffenden Nachlass ungebührlich selbst bedienen wollen, führte nicht nur dazu, dass der Kandidat das Handtuch werfen musste. Er muss allenfalls auch in Kauf nehmen, deswegen noch einem Strafverfahren wegen einer Reihe strafrechtlicher Delikte unterworfen zu werden. Hätte der Bundeshausjournalist Urs Paul Engeler diese Story nicht veröffentlicht, wäre die Vereinigte Bundesversammlung, welche Mitglieder des Bundesrates zu wählen hat, dem Risiko ausgesetzt gewesen, möglicherweise einen Kandidaten zu wählen, dessen moralische Eignung für ein Regierungsamt zumindest fragwürdig gewesen wäre.
Ein Fehler des Systems
Im Politbetrieb unter der Berner Bundeshauskuppel kommt solcherlei immer mal wieder vor. Das ist auf einen bemerkenswerten Fehler des schweizerischen politischen Systems zurückzuführen: Meist ist der Zeitraum, innerhalb dessen die Parteien ihre Kandidaten für einen der sieben Ministerposten in der Bundesregierung vorschlagen können, verhältnismässig kurz, und die Zeit zwischen Bekanntgabe von Kandidaten und Wahltag noch viel kürzer.
Kandidat einen Tag vor der Wahl bekannt gegeben
Beispielsweise hatte die damalige katholisch-konservative Fraktion der Bundesversammlung ihren offiziellen Kandidaten für die Ersatzwahl in den Bundesrat am 22. Dezember 1953 gerade mal einen Tag vorher bekannt gegeben!
Prompt intervenierte damals gleichentags der Journalist Fritz Heberlein mit zwei Artikeln in Ausgaben der Basler «National-Zeitung». Er berichtete von einem internationalen Skandal, in welchem Bestechungsgelder über die vom Kandidaten geführte Privatbank gelaufen seien. Es frage sich deshalb, ob es klug wäre, ausgerechnet diesen Kandidaten zu wählen.
Damit wurden dessen Wahlchancen nachhaltig zerstört, ohne dass dies damals hinterher gross in die Medien geraten wäre.
Bundesratskandidat der CVP stand vor Gericht
Ähnliches ereignete sich im Jahre 1973. Auch dort ging es um den Kandidaten, der von der sich nunmehr «Christlichdemokratisch » nennenden KK-Fraktion (CVP) aufgestellt worden war. Nachdem dessen Name als möglicher Kandidat gehandelt wurde, legte der Journalist Ludwig A. Minelli dessen Fraktionspräsidenten ein Dossier über eine Affäre vor, in deren Verlauf der mögliche Kandidat vor Gericht gestanden hatte.
Es war ihm vorgeworfen worden, anlässlich einer Wahl im Kanton Tessin einem Bootsvermieter, von dem bekannt war, dass er der freisinnigen Partei angehört, zu verstehen gegeben habe, er sollte sich während der Zeit des Wahlganges verdrücken und so an der Wahl nicht teilnehmen, wenn er nicht riskieren wolle, dass er in seiner Eigenschaft als Gemeindepräsident von Muralto ihm dessen Konzession als Bootsvermieter nicht mehr erneuere.
Ist Wahlbestechung «Folklore»?
Im Strafprozess um diese Anklage wegen Wahlbestechung war zwar der Politiker 1962 vollständig freigesprochen worden. Doch Minelli konnte nachweisen, dass der Politiker damals von seinem Anwalt – einem bereits 1950 gescheiterten Tessiner KK-Bundesratskandidaten – mit dem Argument verteidigt worden war, Wahlbestechung gehöre im Tessin zur Folklore, und man solle so etwas nicht vor Gericht bringen, sonst schade man dem Ansehen der Justiz. Ausserdem habe der Politiker im Rahmen eines Vergleiches mit dem Bootsvermieter diesem eine Summe als Schadenersatz bezahlt, darüber aber Stillschweigen vereinbart.
Kein Wunder, hatte der Kandidat in der Wahl keinerlei Chance mehr. Erstaunlich war allerdings, dass dessen Fraktion trotz voller Kenntnis jenes Dossiers den «Kandidaten mit Risiken» auf den Schild erhoben hatte. Minelli hatte noch versucht, sich mit einem Schreiben an sämtliche Mitglieder der Bundesversammlung zu wenden. Doch das Ratssekretariat lehnte die Verteilung des Briefes durch die Ratsweibel mit dem Argument ab, die Verteilung eines solchen Briefes weniger als 48 Stunden vor der Wahl sei mit den Regeln einer fairen politischen Auseinandersetzung nicht vereinbar.
Minelli konterte diese Haltung dadurch, indem er die Briefe wenige Dutzend Meter vom Ratssaal entfernt dem dortigen Bundeshaus-Postamt übergab, so dass die Weibel die Briefe schliesslich als Postsendung zu verteilen gezwungen waren. Zudem war damit unausweichlich geworden, dass diese Risiken auch in der Presse bekannt gemacht werden mussten.
Haue für den Überbringer der schlechten Botschaft
Zwar wurde der Kandidat nicht gewählt. Heftige öffentliche Haue jedoch hatte vor allem Minelli einzustecken: Der damalige CVP-Generalsekretär Urs C. Reinhardt führte im CVP-Pressedienst nach der gescheiterten Wahl – bei welcher auch zwei andere «offizielle » Kandidaten unterlegen waren –, unter anderem aus, die zu früh erfolgte Nomination der Kandidaten sei von einer «bestimmten Sorte von Leuten aus Politik und Publizistik» dazu benutzt worden, um das Palaver- Klima «liebevoll» zu hegen und anzuheizen. Das seien diejenigen Leute gewesen, die «politische Transparenz fordern und Strip-Tease meinen, die von harter Kritik reden und ans ‚Killen’ denken, die nach ‚echten’ Wahlen schreien und darunter jedenfalls die Nichtwahl offizieller Kandidaten verstehen, die Sauberkeit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie predigen, sich aber wie Spitzbuben an jeder demokratischen Verfahrensregel und legitimen Ordnungskompetenz abreiben zu sollen glauben».
CVP: Kandidaten kurzfristig bekannt geben, um sie vor Hyänen zu schützen
Der CVP-Generalsekretär trat gar dafür ein, dass die Kandidaten für die Landesregierung deshalb inskünftig so kurz wie nur möglich vor dem Wahlgang nominiert werden. Denn jeder offizielle Kandidat laufe Gefahr, «von den vereinigten Hyänen und Mistkäfern aus Politik und Publizistik zur Strecke gebracht zu werden».
Frühere Durchleuchtung nötig?
Wäre allenfalls eine weit frühere Durchleuchtung von Personen nötig, die nach einem öffentlichen Amt streben? In allen Fällen, die hier dargestellt worden sind – 1953, 1973 und 2011 – handelte es sich um Kandidaten, die schon lange zuvor als Politiker ins Parlament gewählt worden waren, so dass durchaus Grund hätte bestehen können, sie schon anlässlich einer ihrer Parlamentskandidaturen unter die Lupe zu nehmen.
Nicht nur die Person, sondern auch das Amt würde Schaden nehmen
Doch die Empfindlichkeit in Bezug auf denkbare moralische Defizite ist bei der Wahl von Parlamentariern weit geringer, als wenn es um Regierungsmitglieder geht. So wird denn wohl auch in Zukunft der eine oder andere Journalist im Vorfeld einer Bundesratswahl das undankbare Amt eines Wachhunds der Demokratie auf sich nehmen und jeweils noch rechtzeitig bellen, auf dass nicht moralisch fragwürdige Figuren in die Regierung gewählt werden.
Werden nämlich erst nach einer Wahl durch das Parlament derartige Vorwürfe laut, würde dies zu einer nachhaltigen Beschädigung des Amtes, nicht nur eines Kandidaten führen. Vermeiden können dies nur die Kandidaten selbst, indem sie – wenn sie noch eine Leiche im Keller liegen haben – darauf verzichten, das hohe Amt anzustreben. Selbst wenn sie einem grossen Manitu ihrer Partei aus irgendwelchen geheimen Gründen in besonderem Masse verpflichtet sind.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
«Mensch und Recht» ist die Quartalszeitschrift der Schweizerischen Gesellschaft für die Europäische Menschenrechtskonvention sowie von Dignitas. Verantwortlicher Redaktor ist Ludwig A. Minelli.