Gesetze gegen die Käuflichkeit der Politik
In fast allen Staaten Europas ist die Finanzierung der politischen Parteien und der Wahlkampagnen gesetzlich geregelt. Dies zeigt eine rechtsvergleichende Studie des schweizerischen Bundesamtes für Justiz. Ausser in den Kantonen Genf und Tessin fehlen aber ausgerechnet in der Schweiz gesetzliche Regelungen der Parteifinanzen gänzlich. Europa bleibt gegenüber der Schweiz wachsam.
Hälfte / In allen 40 von der Staatengruppe des Europarats gegen Korruption (GRECO) untersuchten europäischen Ländern gibt es demgegenüber Gesetze über die Finanzierung der Parteien. Einzig in Schweden kennt man eine Art von Selbstregulierung, indem sich dort die Parteien einer freiwilligen Vereinbarung unterziehen. Nur noch in der Schweiz geht es bezüglich Parteifinanzen zu und her wie im wilden Westen.
Schweiz: wie im Wilden Westen
Die Schweizer Parteien sind die wichtigsten Akteure in der Politik. Sie stellen das gesamte politische Personal – vom Gemeinderat über die kantonalen Parlamentarierinnen bis zu den Mitgliedern der eidgenössischen Räte und des Bundesrats. Sie stehen ein für ihre politischen Programme, argumentieren entsprechend im Hinblick auf die Volksabstimmungen und organisieren in ihren Reihen die Wahlen auf den drei Ebenen Gemeinde, Kanton und Bund. Da funktioniert eigentlich alles wie geschmiert. Der Eindruck bestätigt sich, wenn man nach der Finanzierung dieser Aktivitäten zugunsten der Öffentlichkeit fragt. Die Parteien verweigern konsequent die Auskunft über Ausmass und Herkunft ihrer Finanzen. Besonders die bürgerlichen Parteien sprechen von Eigenverantwortung und Selbstkontrolle. Die Anonymität der grossen Spenden sei eine conditio sine qua non, eine Bedingung des Spenders: er sei nur bereit, einer Partei namhafte Beträge zur Verfügung zu stellen, wenn er dabei unbekannt und somit anonym bleibe. Damit sind schon nur einige Indizien für das Delikt der Geldwäscherei vorhanden. Solange aber die Parteien die Einsicht in ihre Buchhaltung verweigern, haben sie keinen Anspruch auf die Unschuldsvermutung.
Frankreich: Tradition der Politikregulierung
Wandert man etwa im Pariser Osten in der Nähe der Porte de Pantin, fällt einem an der Mairie des XX. Arrondissements ein Plakatierungsverbot (Édifice public / Défense d’afficher) auf. Es stützt sich auf ein am 29. Juli 1881 erlassenes Gesetz zur Regelung der Pressefreiheit. Dieses bestimmt u.a. auch Orte im öffentlichen Raum, an und in denen politische oder kommerzielle Werbung verboten ist.
Die Reminiszenz von einem Spaziergang im heutigen Paris weist darauf hin, wie alt in Frankreich die Regulierung der Schnittstellen von Kommerz und Politik ist. Die verfassungsrechtliche Aufgabenzuteilung an die Parteien ist hingegen jüngeren Datums. Die französische Verfassung vom 4. Oktober 1958 verweist die Parteien zum Respekt der nationalen Souveränität und der Demokratie. Darauf gestützt hat der französische Gesetzgeber das Gesetz Nr. 88-227 vom 11. März 1988 erlassen, das die finanzielle Transparenz der Politik schlechthin regeln soll. Hier werden nun die fünf wesentlichen Pfeiler der Politikfinanzierung aufgestellt:
– Vermögensdeklaration der gewählten Magistraten und Amtsträger
– Beschränkung der Ausgaben für die Wahlwerbung für Kandidaten bei den Parlaments- und Präsidentenwahlen
– Obergrenzen für Spenden an Kandidaten und Parteien
– Staatliche Teil-Finanzierung der Parteien
– Sanktionen bei Nichtbefolgung dieser Regeln
Im Rahmen dieser grundsätzlichen Bestimmungen regelt Artikel 11 die private Parteifinanzierung. Eine Barspende darf nicht direkt an eine Partei oder einen Parteirepräsentanten überwiesen werden. Jede Partei hat über einen externen Finanzmandatär – eine beauftragte Person oder eine Treuhandgesellschaft – zu verfügen, der die Spende unter gewissen Bedingungen entgegennimmt. Barspenden sind nur bis zum Betrag von 150 Euros erlaubt. Die Spende muss in jedem Fall von einer natürlichen Person stammen und sie darf pro Partei den Maximalbetrag von 7‘500 Euros nicht überschreiten. Der Spender muss durch den Finanzmandatär der Partei identifiziert werden. Spenden von ausländischen Staaten oder ausländischen Parteien sind verboten.
Die Ausgaben der Parteien unterliegen keiner Beschränkung. Es gilt die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit politischer Aktivitäten. Hingegen sind für die Finanzierung von Kampagnen bei Wahlen in Gemeinden und Kantonen ab 9‘000 Einwohnern sowie bei regionalen, nationalen und Präsidentschaftswahlen unterschiedliche Ausgabenplafonds vorgeschrieben, die jeweils für jede dieser Wahlen von der Aufsichtsbehörde neu definiert werden.
Eine Verwaltungsbehörde – die Nationale Rechnungskommission für die Finanzierung von Politik- und Wahlkampagnen (Commission Nationale des Comptes de Campagne et des Financements Politiques; www.cnccfp.fr) – kontrolliert das Finanzgebaren der Parteien und die finanziellen Aufwendungen für die Ausübung des allgemeinen Wahlrechts. Sie prüft unter vielem anderen, ob die Parteien ihre finanziellen und buchhalterischen Auflagen erfüllen und ob die Finanzmandatäre ihr Amt korrekt ausüben und sie gelangt an den Staatsanwalt, wenn sie Unkorrektheiten feststellt. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen publiziert diese Kommission im französischen Amtsblatt (Journal Officiel). Auf ihrer Website dokumentiert diese Kommission eine kleine Übersicht der finanziellen Regulierungen der Parteien in verschiedenen Ländern.
Deutschland: Anonyme Parteienfinanzierung als Delikt
Obschon die Bundesrepublik Deutschland seit dem 24. Juli 1967 ein Gesetz über die politischen Parteien kennt, welches u.a. die Transparenz und den Ausgleich zwischen öffentlicher und privater Parteienfinanzierung zum Inhalt hat, wurde das Land in den achtziger und neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts von verschiedenen Parteispenden-Skandalen erschüttert. Darauf ergingen verschiedene Urteile des Bundesverfassungsgerichts, nach denen dann das Parteiengesetz geändert wurde. Seit 2002 wird die Herkunftsverschleierung oder die unrichtige Angabe über die Einnahmen der Parteien unter Strafe gestellt. Die in der Schweiz gängige anonyme Finanzierung einer Partei ist also in Deutschland ein Straftatbestand.
Das deutsche Parteiengesetz definiert die politische Partei als «Vereinigung von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen.» Nach diesem Gesetz ist jede Partei verpflichtet, innerhalb ihrer Buchhaltung eine differenzierte Liste der Einkünfte zu führen. Diese unterscheidet zwischen Mitgliederbeiträgen und Beiträgen der Parteivertreter in Exekutiven, Legislativen und Gerichten. Im Weiteren hat diese Liste Spenden, Einkünfte aus kommerziellen Aktivitäten und aus Beteiligungen, Einkünfte aus dem Verkauf von Parteimaterialien, Einkünfte in Form von öffentlichen Zuwendungen, interne Subventionen sowie übrige Einnahmen aufzuführen. Die Wahlkandidaten der Parteien dürfen im Prinzip persönliche Spenden entgegennehmen. Solche Barspenden oder auch Naturalien sind deklarationspflichtig. Spenden über 5‘000 Euro pro Jahr sind unter den Angaben über deren Herkunft dem Präsidenten des Bundestags zu melden. Dieser veröffentlicht eine Liste aller Spenden an die Parteien, die den Betrag von 10‘000 Euro pro Jahr übersteigen. Erhält eine Partei eine Spende von über 50‘000 Euros, muss diese sofort dem Bundestagspräsidenten gemeldet werden, welcher diese sogleich auf der Bundestags-Website veröffentlicht (vgl. die aktuelle Liste der Parteispenden über 50‘000 Euro an die im Bundestag vertretenen Parteien: http://www.bundestag.de/bundestag/parteienfinanzierung/fundstellen50000/index.html).
Der Präsident des Bundestags ist auch zugleich die Aufsichts- und Kontrollbehörde über die Finanzierung der deutschen Parteien. In der Praxis übt die Bundestagsverwaltung diese Aufgaben aus. Für den Fall, dass eine Partei gegen die Bestimmungen des Parteiengesetzes verstösst, kann ihr der Bundestagspräsident Geldbussen auferlegen oder strafrechtliche Sanktionen gegen sie aussprechen.
Tessin und Genf kontrollieren erfolgreich Spenden für Politik
Wie Jean-Christophe Geiser vom Bundesamt für Justiz des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes in seiner Studie «Financement des partis politiques et des campagnes électorales / Rapport de droit comparé» feststellt, müssen die Parteien im Kanton Tessin Spenden über 10‘000 CHF bei der Staatskanzlei anmelden. Es besteht auch eine wirkungsvolle Sanktionsandrohung: Bei Zuwiderhandlung gegenüber dieser gesetzlichen Kontrollnorm können den Parteien teilweise oder ganz jene Entschädigungen gesperrt werden, welche ihre Fraktionen im Kantonsparlament von der öffentlichen Hand zu gute hätten. Noch strenger sind die Bestimmungen für KandidatInnen bei Wahlen und für Komitees von Initiativen und Referenden. Alle Spenden, welche die Summe von Fr. 5000.- übersteigen, müssen bei der Staatskanzlei angemeldet werden. Bei Zuwiderhandlung kann eine Busse von Fr. 7000.- ausgefällt werden.
Gemäss einem aus dem Jahre 1982 stammenden Gesetz müssen im Kanton Genf die Parteien, Vereine und Gruppierungen, welche Kandidaturen für die eidgenössischen, kantonalen oder kommunalen Wahlen präsentieren, jährlich ihre Rechnung sowie die Liste ihrer Sponsoren dem kantonalen Finanzinspektorat mitteilen. Anonyme Spenden oder Zuwendungen unter Pseudonymen sind nicht gestattet. Jede Gruppierung, welche sich während eines eidgenössischen, kantonalen oder kommunalen Wahlganges Stellung bezieht, muss innert 60 Tagen die entsprechenden Budgets für den Wahlgang und die Listen der SpenderInnen dem kantonalen Finanzinspektorat melden. Die den Behörden eingereichten Budgets und die SpenderInnenlisten dürfen von jeder Person eingesehen werden, die im Kanton ihre politischen Rechte ausübt. Die Spenden werden nur numerisch aufgeführt und können in ihrer Höhe nicht einer bestimmten Person zugewiesen werden.
Kontrollversuche in den Kantonen Bern, Luzern, Aargau, Basel-Stadt, Zürich und Solothurn
Grossrätin Nadine Masshardt von der SP-JUSO-PSA-Fraktion aus Langenthal im Kanton Bern reichte am 1. Juni 2010 eine Motion ein, mit der sie gesetzliche Grundlagen für die Parteifinanzen verlangte. Sie schlug einen jährlichen öffentlichen Rechenschaftsbericht vor und forderte, dass die Parteien ihre Ausgaben und Einnahmen bei kantonalen und nationalen Wahlen und bei Abstimmungskampagnen offen zu legen hätten. Der Regierungsrat des Kantons Bern unterstützte diesen Vorstoss. Am 1. Dezember 2010 lehnte ihn jedoch der Grosse Rat mit 71 zu 50 Stimmen ab.
Die Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP) des Kantons Luzern lancierte am 26. März 2011 eine kantonale Volksinitiative für eine transparente Politfinanzierung. Die Sammelfrist läuft bis zum 25. März 2012.
Eine kantonale Volksinitiative lancierten die JungsozialistInnen (JUSO) des Kantons Aargau im Mai 2011. Alle Parteien, politischen Gruppierungen und alle Kandidierenden für Legislativen und Exekutiven im Kantonsgebiet hätten demnach ihre Finanzierung offen zu legen. Alle Spenden über Fr. 5000.- für die Politik müssten öffentlich deklariert werden. Die Sammelfrist läuft im Mai 2012 aus.
Im Kanton Baselstadt hatte der Grosse Rat am 18. Mai 2011 eine Motion zur Erhöhung der Transparenz der Parteienfinanzierung von Grossrat David Wüest-Rudin (Grünliberale Partei, und andere) dem Regierungsrat unterbreitet. In seiner Antwort vom 9. August 2011 lehnte dieser die Motion ab, beantragte aber dem Grossen Rat, den parlamentarischen Vorstoss als unverbindlichen Anzug zu übernehmen. Im November 2011 behandelt der Grosse Rat dieses Geschäft.
Mit einer parlamentarischen Initiative verlangte am 29. August 2011 die Zürcher SP-Kantonsrätin Hedi Strahm (et al.) eine Offenlegungspflicht für alle Parteien im Kanton Zürich, die im Parteienregister nach Art 76a des Bundesgesetzes über die politischen Rechte eingetragen sind. Ausgenommen von dieser Kontrolle sind jährliche Einzelspenden, welche den Betrag von Fr. 5000.- nicht übersteigen.
Im Kanton Solothurn beauftragte am 12. Dezember 2010 Kantonsrat Markus Knellwolf (Grünliberale Partei) den Regierungsrat damit, das kantonale Gesetz über die politischen Rechte so anzupassen, dass eine Offenlegung der Finanzierung von Parteien und von Abstimmungskampagnen eingeführt wird. Knellwolf führte in seiner Begründung vor allem aus, dass sich 2002 in einer UNIVOX-Umfrage 78% der Stimm- und Wahlberechtigten für eine Offenlegung der Parteispenden aussprachen; im Jahr 2007 waren es sogar 87%. Tendenz also zunehmend. Wenn sich nun eidgenössische ParlamentarierInnen immer noch gegen eine Offenlegungspflicht stemmen, so vertreten sie rund einen Fünftel der Bevölkerung. Dieser extremen Minderheitsmeinung schloss sich der Regierungsrat des Kantons Solothurn am 16. August 2011 an und erklärte den Vorstoss Knellwolf als nicht erheblich. Voraussichtlich im Januar 2012 wird der Kantonsrat den Vorstoss behandeln.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Oswald Sigg war von 2005 bis 2009 Vizekanzler der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Sein Artikel ist zuert erschienen in: Hälfte. Unabhängiger Mediendienst zur Arbeit und zur Erwerbslosigkeit.
@Oswald Sigg, natürlich haben Sie Recht. Und Wie! Aber die Parteien werden von sich aus nicht in der Lage und auch nicht Willens sein, hier mehr als bloss Kosmetik zu betreiben. Sie sind korrupt (=käuflich), die einen mehr, die ander weniger, aber alle sind korrupt. Eine nachvollziehbare Offenlegung des wesentlichen Fianzquellen würde die Parteien weitgehend vom Geruch der Korruption befreien. Aber nicht einmal dafür sind sie bereit, Klarheit über ihre Finanzierung zu geben. So lange die Parteien nicht von der Oeffentlichkeit zur Offenlegung gezwungen werden, wird es nur kosmetische Gsetzli dazu geben. Die Medien könnten hier Druck machen, aber nicht bloss mit ein, zwei Artikeli pro Jahr. Aber dafür sind sie zu lahm. Lendenlahm.