Guatemala: Die Herrschenden haben Mayas im Griff
«Zum ersten Mal», verkündete Rigoberta Menchú in einem Interview vor den Wahlen vom letzten Sonntag in Guatemala, «haben wir Maya unsere eigene politische Partei geschaffen, mit der wir den Staat neu aufbauen wollen.» Obwohl offiziell als Kandidatin einer linken Koalition angetreten, versuchte die indigene Nobelpreisträgerin erstmals in der Geschichte des Landes die Stimmen der Maya-Bevölkerung mit einer Maya-Partei, Winaq («Volk»), zu mobilisieren.
Das Ziel des Projektes war klar: Mit einem guten Wahlergebnis sollte die politische Stellung der indigenen Maya-Bevölkerung gestärkt werden, die – obwohl sie die Mehrheit bildet – in allen gesellschaftlichen Bereichen benachteiligt und von der politischen Macht ausgeschlossen ist.
Anstoss aus Bolivien und Ecuador
Die Ereignisse der letzten Jahre in Bolivien und in geringerem Masse in Ecuador, wo sich indigene Politiker Zugang zu höchsten staatlichen Ämtern verschaffen konnten, zeigen, was die politische Mobilisierung historisch benachteiligter Gruppen bewirken kann.
Auch in Guatemala, das wie kaum ein anderes Land die ethnischen Ungleichheiten Lateinamerikas widerspiegelt, ist mit dem Ende des genozidären Bürgerkriegs eine indigene Bewegung erstarkt, bestehend aus einer Unzahl zivilgesellschaftlicher Organisationen, die sich für die Rechte der Maya-Bevölkerung einsetzt und am letzten Sonntag in die zweite Kandidatur Menchús an der Spitze einer Maya-Partei mündete.
Indigene Bewegung mit inneren Widersprüchen
Guatemala mit seiner indigenen Bevölkerungsmehrheit gleicht innerhalb Lateinamerikas am ehesten Bolivien. Doch das Wahlergebnis hat gezeigt: Was sich in Bolivien abspielte, wird sich hier in absehbarer Zeit nicht wiederholen. Die Bewegung leidet an tiefgreifenden inneren Widersprüchen, und das politische Establishment des Landes, für das ein indigener (oder linker) Präsident wie Evo Morales nach wie vor ein Schreckensszenario darstellt, hat es verstanden, diese Schwächen zu nutzen.
Viele der indigenen Organisationen konzentrieren sich in ihrer Arbeit ausschliesslich auf ein angestammtes Politikfeld – Land, Bildung, Menschenrechte – ohne gemeinsam ein Ziel zu verfolgen. Deshalb bleiben die Kräfte verzettelt und die Bewegung verliert an politischer Kraft.
Auch ideologische und parteipolitische Flügelkämpfe verhindern ein gemeinsames Vorgehen: Während der traditionalistische Flügel sich weiterhin als Teil der politi-schen Linke betrachtet (die sich selbst wiederum seit der Zeit des Bürgerkriegs als einzig wahre Verfechterin der indigenen Rechte darstellt), wollen andere Organisationen sich von Parteipolitik ganz fernhalten oder vertreten neuerdings auch alternative, rechte Ideen.
Dazu kommen die kulturellen und sprachlichen Trennlinien zwischen den verschiedenen Maya-Untergruppen, die sich aus historischen Gründen teilweise misstrauisch gegenüberstehen.
Strategie des «Teile und Herrsche»
Diese inneren Brüche in der Maya-Bewegung werden vom guatemaltekischen Staat und der herrschenden Klasse, die sich ihrer prekären demographischen Lage durchaus bewusst ist, geschickt ausgenutzt, indem sie die verschiedenen Sektoren der Bewegung gegeneinander ausspielen. Ein Teil dieser klassischen Strategie des «Teile und herrsche» besteht darin, einzelne indigene Führer an das bestehende System zu binden, indem man sie mit relativ unbedeutenden Posten in der Bürokratie ausstattet.
Diese Privilegierten wollen das System von innen heraus reformieren und erhalten dabei die rhetorische (wenn auch kaum praktische) Unterstützung des Staates, der ihnen bereitwillig das Etikett der «guten Indigenen» verleiht. Tatsächlich werden sie jedoch durch die Aufnahme ins System politisch neutralisiert.
Wie sich im abgelaufenen Wahlkampf zeigte, rekrutieren auch die traditionellen politischen Parteien, die unterdessen alle den Diskurs der Multikulturalität pflegen, bewusst Vertreter der Maya auf lokaler oder regionaler Ebene. Vor allem auf dem Land blickten auffällig viele indigene Gesichter von den Wahlkampfplakaten der Parteien. Tatsächlich aber mussten die Maya-Kandidaten auch diesmal mit den hinteren Plät-zen auf den Wahllisten Vorlieb nehmen, so dass es erneut nur wenige ins Parlament schafften.
Bereits von den 158 bisherigen Abgeordneten waren gerade mal etwas mehr als ein Dutzend indigener Herkunft, die sich überdies unfähig zeigten, eine gemeinsame politische Agenda zu entwickeln und voranzutreiben.
Ein zweites Element der staatlichen Strategie ist die scheinbare Aufnahme der indi-genen Themen in die politische Agenda des Landes. Sowohl die Regierung als auch der Kongress reagieren auf die Forderungen der Maya, wenn sie denn lautstark genug ertönen, mit Verhandlungsbereitschaft – ohne aber wirkliche Zugeständnisse zu machen. Ein Beispiel ist der Gesetzesentwurf für eine neue landwirtschaftliche Entwicklungspolitik, der zuerst in langwierigen Verhandlungen ausgearbeitet, dann jedoch vom Kongress ignoriert wurde.
Gleichzeitig setzen radikalere Organisationen auf die «Politik der Strasse» und versuchen aus der Opposition heraus und über die Mobilisierung der Massen grundlegende Veränderungen zu erwirken. Die Folge ist ein Streit innerhalb der Maya-Bewegung und ihrer Führer über die legitime politische Vertretung der Gruppe. Die verschiedenen Fraktionen nehmen alle für sich in Anspruch, die «wahren» Vertreter der Maya-Bevölkerung zu sein.
Zweifel an Menchús Legitimität
Die Reaktionen auf die Gründung von Winaq und die zweite Kandidatur Menchús waren bezeichnend für die Spaltungen innerhalb der Bewegung: Während die No-belpreisträgerin in manchen gebildeten Kreisen der Mittel- und Oberschicht gewisse Sympathien geniesst, fehlt ihr an der Basis weitgehend der Rückhalt. Viele Sektoren lehnten ihren Führungsanspruch ab. Sie warfen ihr wahlweise vor, schon lange den Kontakt zur Basis verloren zu haben, sich von der Linken benutzen zu lassen oder einen viel zu exklusiven Freundeskreis zu pflegen. Ganz anders in Bolivien: Dort vermochte Morales als anerkannter Führer der bedeutenden Kokabauernbewegung die Masse der indigenen Bevölkerung zu mobilisieren.
Auch von den wenigen indigenen Parlamentariern bekam die Nobelpreisträgerin kaum Unterstützung. Deren Loyalität gilt in erster Linie den jeweiligen Parteien, de-nen sie ihren Sitz im Kongress verdanken. Guatemalas teurer Wahlkampf und intransparente Parteienfinanzierung bevorteilen diese traditionellen (und üblicherwei-se rechten) Parteien, die von reichen Unternehmern finanziert und gesteuert werden und die Wähler mit Geschenken und materiellen Versprechungen ködern. Ein Engagement in der finanziell schlecht ausgestatteten neuen Aussenseiterpartei Winaq konnte ehrgeizigen indigenen Politikern deshalb kaum verlockend erscheinen.
Gerade weil Rigoberta Menchú und ihre Partei gegen finanziell ungleich mächtigere Gegner kämpften, wäre – vielmehr als eine politische Vereinigung der Linken – eine Vereinigung der indigenen Bewegung für einen gemeinsamen Wahlkampf nötig gewesen. Ohne dieses gesellschaftliche Bündnis, wie es in Bolivien zu Stande kam, fehlte Winaq die Mobilisierungskraft, um das angestrebte Ziel zu erreichen.
Deshalb werden die politischen Ungleichheiten in Guatemala weiterhin bestehen bleiben.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine