Von Energiewende profitiert regionale Wirtschaft
Das Erdöl, das unsere Häuser heizt und Autos antreibt, importieren wir aus Afrika oder dem Nahen Osten, Erdgas vorwiegend aus Russland, Uran wahlweise aus Australien, Kanada oder dem Niger. Die Versorgung mit nicht erneuerbarer Energie ist global und zentralisiert in den Händen von wenigen international tätigen Grosskonzernen.
Nachwachsendes Brennholz hingegen stammt meist aus nahen Wäldern. Sonnenenergie lässt sich auf dem eigenen Dach ernten, und wer Heizenergie sparen will, beauftragt Bau- oder Installationsfirmen aus der Region. «Dezentrale Strukturen sind geradezu das Markenzeichen von erneuerbarer Energie und Energieeffizienz», konstatierte die Schweizerische Energiestiftung (SES) einleitend zu ihrer Jahrestagung «Wege in die regionale Energiezukunft».
Dezentrale Energieernte
Die Referate und Beispiele, die an der von 250 Personen besuchten SES-Tagung in Zürich präsentiert wurden, bestätigten diese These zumindest teilweise: «Die Umstellung der weltweiten Energieversorgung auf 100 Prozent erneuerbare Energie ist in wenigen Jahrzehnten machbar und notwendig», prophezeit etwa Hans-Josef Fell, der für die Grünen/Bündnis 90 im Deutschen Bundestag sitzt. Und er konstatiert: «Den Löwenanteil wird die dezentrale und lokale Energieproduktion bringen.»
Einige ländliche Gemeinden oder Regionen haben sich bereits aufgemacht, um die Selbstversorgung mit erneuerbarer Energie auf ihrem Gebiet zu verwirklichen. Das «Energietal Toggenburg» mit seinen 45 000 Einwohnern zum Beispiel setzt sich das Ziel, bis 2034 gleich viel erneuerbare Energie regional zu produzieren, wie Haushalte und Wirtschaft verbrauchen. Dazu bietet ein Förderverein in Zusammenarbeit mit dem lokalen Gewerbe Energieberatung an, um den Energieverbrauch erstens zu senken und zweitens vermehrt mit erneuerbaren Ressourcen wie Holz und Sonnenenergie zu decken. Ähnliche Ziele peilen auch Modellgemeinden in Deutschland und Österreich an, und erste Erfolge sind schon sichtbar. Der Anteil an erneuerbarer Energie am Energiemix ist in diesen Gebieten grösser als im nationalen Durchschnitt.
»Energieautarkie leitet einen umfassenden strukturellen Wandel ein», sagte Bruno Abegg von der Alpenschutz-Kommission Cipra. Denn sie diene nicht nur dem Klimaschutz, sondern schaffe auch regionale Wertschöpfung und Arbeitsplätze. Die Cipra vernetzt die lokalen Initiativen und strebt Energieautonomie für den ganzen Alpenraum an. Ein Strukturwandel zeichnet sich auch in der Stromwirtschaft ab: Regionale Elektrizitätswerke, die sich auf die Stromverteilung beschränkten, erhalten neue Geschäftsfelder, etwa im Contracting oder in der Vernetzung von Kleinkraftwerken.
Globale Produktionstechnik
Sind damit globale Energiekonzerne dem Untergang geweiht? Auf diese Nachfrage differenziert Hans-Josef Fell: Dezentralisiert werde primär das Geschäft mit den Ressourcen. Doch die Herstellung der technischen Mittel – vom Solarmodul bis zur Stromautobahn – werde sich bei global tätigen Firmen konzentrieren, denn diese können dank grosser Serien (Skaleneffekt) wettbewerbsfähiger produzieren.
Auch bei der Nutzung der erneuerbaren Energie zeichnen sich neben dezentralen weiterhin grossräumige Konzepte ab: Windparks in der Nordsee etwa bleiben kapitalkräftigen Stromkonzernen vorbehalten, ebenso die grossen Pumpspeicher-Kraftwerke in den Alpen. Selbst bei der der Solarenergie gibt es zentrale Projekte, zum Beispiel «Desertec», das Europa mit Solarstrom aus der Sahara versorgen will.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Vergleiche dazu auch die grundlegende, sachbezogene Analyse «Strom ist Macht – zentral oder dezentral» vom 7. Juni auf «Infosperber» ! N.R.