Roger Schawinski ist wieder da – auf SF!
Nun hat er ihn also wieder, seinen Auftritt. Man sieht ihn von hinten, auf dem Weg ins Studio. Man sieht gross seinen Namen, der auch Titel der Sendung ist. Und dann sieht man ihn selber gross, en face, und er begrüsst das Publikum. Roger Schawinski ist wieder da, im Schweizer Fernsehen, mit der Talk-Show, der wir alle so heiss entgegen gefiebert haben. An diesem «tropischen Abend», wie er sagt. Ganz aktuell.
Dann sieht man auch den Gast. In diesem Falle Konrad Hummler, Privatbankier und Verwaltungsrats-Präsident der Neuen Zürcher Zeitung NZZ. – Eine gute Wahl. Der Mann hat Geld, der Mann hat Macht, der Mann hat Charme und er ist redegewandt. Vor allem aber: Konrad Hummler steht für mindestens ein, zwei, drei Themen, die uns heute brennend interessieren: Die Wirtschaftskrise, die Rolle des Geldes, sprich: des Finanzkapitals; die krisenhafte Entwicklung der Presse; die Medienordnung in der Schweiz.
Fragen über Fragen.
Schawinski macht Tempo und Komplimente: der «bekannteste Schweizer Privatbankier…. der wortgewaltigste… Präsident der wichtigsten Zeitung» – wer bei Schawinski sitzt, ist Superlativ (Die Herren Bär, Hentsch und Vontobel lassen grüssen, und auch die Konkurrenzblätter der NZZ).
Schawinski springt: Sie sind «Money, Money»? Der «falsche Gott Geld»? Herkunft, Familie? Als Student «extrem rechts»? Studium, Militär, Grossbank? Vater? Die edle Privatbank? Der persönliche Reichtum?
Schawinski drückt den Knopf. Einspielungen unterstützen die Themensprünge, mal ein schwarz-weiss-Foto, mal ein knapper Einspielfilm, professionell gemacht, nichts zu lang, Schawinski holt sie selber per Knopfdruck auf den Bildschirm und kommentiert live. Das ist «Premium class».
Schawinski ist präsent: die Kamera zeigt ihn gross, leicht präsenter als den Gast weil frontaler, mit mehr Augenkontakt, auch im «two-shot», wo beide, Hummler und Schawinski, im Bild sind (es ist eine gute, unaufdringliche Regie und Bildführung).
Irgendwann wirft meine Fernsehgenossin ein: «Ich möchte eigentlich gerne etwas weniger den schönen Schawinski sehen – das wissen wir ja -, und etwas mehr den interessanten Herrn Hummler, von dem ich auch gerne mehr hören würde. Dass Schawinski ein gebildeter, wohl vorbereiteter Mensch ist, der immer schon weiss, was der andere sagt, ist ja sowieso klar.»
Schawinski macht, was er immer macht: er macht Tempo. Er provoziert so verbindlich, dass die Provokation an Hummler abgleitet wie Wasser auf Öl, und seine schnell hingeworfenen, scheinbar kritischen Fragen platzen wie Seifenblasen in der heissen Luft des schnellen Gesprächs. Es ist das Gespräch zweier erfolgreicher Herren, die beide wissen, wie man sich inszeniert, und die einander auch angesichts der gewaltigen Probleme nicht weh tun wollen, mit denen wir uns im gesellschaftspolitischen Alltag herumschlagen. Man trifft sich ja hinterher wieder, irgendwann, irgendwo auf dem gesellschaftlichen Parkett. Und die Sorgen der Welt sind weit entfernt bei «Schawinski».
Brauchen wir das im Service Public? Ist das relevant?
Ernsthaft wird eigentlich nur Konrad Hummler, und nur bei dem einen Thema: dem Bankgeheimnis, zu dem er sich erklären will. Er insistiert und tut das gegen Schawinskis Widerstand, der das Gespräch pausenlos weiter treibt. Und ganz ohne Denkpause. Es wäre von Interesse, was Hummler zu sagen hat: über unseren Schweizer Umgang mit Legalität und Illegalität, über die Gründe der Geldflucht in unserer Banktresore. Es ist Herrn Hummler offenkundig ein Anliegen.
Aber was ist Roger Schawinskis Anliegen?
Will er mehr als nur eine unterhaltende Unterhaltung, die er auf Sat1 oder Tele Züri genauso führen könnte wie im Schweizer Fernsehen SF?
Warum verpasst er systematisch jede Chance, die ihm der wortgewandte Hummler bietet? Wenn Konrad Hummler zum Beispiel davon spricht, dass sich das Geld in seiner Form als Finanzkapital von den realen Gegebenheiten entfremdet habe, also von der realen Wertschöpfung. «Entfremdet» – ein Begriff, den der alte Marx von der Philosophie in die Ökonomie überführt hat.
Oder davon, dass auch am Banker «die Schuldenkrise zehrt»? Oder davon, dass er versucht, «die Zukunft vorstellbar zu machen».
Konrad Hummler war eine gute Wahl – «sympathisch», sagt die Fernsehgenossin, «ich hätte ihm gerne alleine noch eine Weile zugehört.»
Vor «Schawinski» habe ich mir ein paar Fragen notiert, die sich bei Konrad Hummler schnell und zügig stellen: Was sagt er zur Wirtschaftskrise? Zur Schere zwischen arm und reich? Zur Verstaatlichung der Schulden? Zum Verlust von Arbeitsplätzen in Griechenland und Portugal und anderswo, damit – wie Charles Moore im «Daily Telegraph» bemerkt – die Banker in London, Frankfurt und Zürich ruhig schlafen können?
Was ist, für den Präsidenten der NZZ, die Zukunft der NZZ? Wie will er sie wirtschaftlich sichern? Wieder auf Kosten der Redaktion und der publizistischen Inhalte? Mit kommerziellem Auftritt im Internet (Hummler: «Dort legen wir ja zu»)? Und wie sieht er eine «liberale Medienordnung», die Stellung der SRG?
Wie stellt sich der «Privatbankier und Präsident der wichtigsten Zeitung» die Zukunft der Schweiz in der Welt vor?
Das sind viele Fragen. Zu viele für dreissig Minuten. Aber eine oder, zwei, vielleicht sogar drei, hätte er stellen können, Roger Schawinski. Auf SF. Am Montagabend um 22.50 Uhr.
Jetzt war es nett – «nice to have». Aber wenn es so weiter geht, werden wir in Zukunft nicht einschalten müssen. Ausser aus Spass am gehobenen Small Talk. Aber nicht aus relevantem gesellschaftspolitischem Interesse. «Brisant», so Roger Schawinskis Selbstankündigung, brisant war an diesem «Schawinski» nichts.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Sehr einverstanden. Ich weiss nicht, was es bringen soll, den Gast mit Fragen zu befeuern und kaum Raum für Antworten zu lassen. Das geht an mir als Zuschauerin vorbei, und so gesehen habe ich den Eindruck, dieser Talk ist nich für die ZuschauerInnen gedacht, sondern für Schawinski. Hauptsache, er findet die Sendung und sich gut – schade, ich hatte mich auf diesen Talk sehr gefreut.
http://twitter.com/#!/seglias/status/105749753937149952
Ein Missverständnis? Man redet hier von Interview und Talk-Show und übersieht, dass es einzig oder zumindest primär um die Selbstdarstellung des «Interviewers» geht. Damit werden die «Interviewpartner» zu Statisten degradiert. Was zugegebenermassen ebenfalls einen gewissen Unterhaltungswert hat. Aber was hat das mit Respekt zu tun? Mit ehrlichem Interesse am Gegenüber? Mit Journalismus? Wollen wir das?