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SP-Ständeratskandidatin Pascale Bruderer hat zu viele Freunde. © Screenshot

«Leider hat sie zu viele Freundschaftsanfragen»

Philipp Probst /  Pascale Bruderer nutzt Facebook für den Wahlkampf vorbildlich. Doch nicht alle Politiker nehmen die Chancen der Social Media wahr.

Mühsame Strassenaktionen? Podiums-Diskussionen vor leeren Sälen? Teure Werbekampagnen mit grossem Streuverlust? Zum Glück gibt es das Internet. Auf einer eigenen Website kann man praktisch zum Nulltarif alles veröffentlichen, was man der Welt, beziehungsweise dem Wähler, schon immer sagen wollte. Aber wie bekommt der Politiker seine potentielle Wählerschaft dazu, seine Website zu besuchen?

Mit wenigen Klicks in die schöne neue Welt

Da gibt es doch Facebook & Co., sagt sich manch Politikerin, manch Politiker. Das geht schnell und kostet nichts. Also hurtig einen Account bei Facebook einrichten. Mit wenigen Klicks ist man bereits in der Neuzeit angekommen. Ein vorteilhaftes Foto von sich selbst hochladen – fertig ist die schöne neue Welt. Da sich bereits viele Bekannte auf Facebook tummeln, findet man schnell Anschluss an seine mehr oder weniger guten Freunde. Zudem suchen viele Facebooker das Netzwerk nach prominenten Persönlichkeiten durch. So kommt es, dass Facebook-Neumitglieder wie beispielsweise SRG-Chef Roger de Weck innert weniger Monaten zu über 3000 Facebook-Freunden kommen – ohne irgendetwas Sinnvolles zu posten, notabene. Also ohne auf seine Freunde einzugehen, sie persönlich anzusprechen oder Themen zu aktuellen Ereignissen zu kommentieren. Nicht einmal der berühmte Facebook-Button «Gefällt mir» müssen solche bekannte und offenbar beliebte Persönlichkeiten anklicken.

Die Präsenz alleine bringt noch keine Wähler

Doch selbst der unbedarfteste Facebook-Nutzer registriert schnell, dass dies eine Nullnummer ist und sich Herr de Weck für seine Anliegen gar nicht interessiert. Das mag für den SRG-Boss nicht dramatisch sein, für den Politiker allerdings schon. Denn ein Politiker hat stets ein offenes Ohr für seine Wähler, oder behauptet es zumindest. Einfach auf Facebook präsent zu sein, gibt noch keine Stimme.
Äusserst interessant ist dazu der Ständeratswahlkampf im Kanton Aargau. FDP-Frau Christine Egerszegi-Obrist, bereits gestandene Ständerätin, ist bei Facebook zwar zu finden, doch ihre Anhängerschaft verliert sich im für die Wahlen unbedeutenden Nullkomma-Bereich. Nationalrat Ulrich Giezendanner, der den Ständeratssitz der SVP von Abgänger Maximilian Reimann beerben möchte, hat Facebook erst vor wenigen Tagen entdeckt beziehungsweise ein klares und eindeutiges Profil erstellt. Doch beschränkt er sich vorerst darauf, fleissig Freunde zu sammeln. Auffällig dabei: Viele Freunde bedanken sich an Giezendanners Pinnwand für die Aufnahme als Freund. Leider hat Ulrich Giezendanner seine Freunde noch nicht mit dem beglückt, worauf seine Anhänger wohl hoffen: Markige Aussagen zur aktuellen Politik. Facebook wäre eine ideale Plattform dazu.

Pascale Bruderer hat zu viele Facebook-Freunde

Diese nutzt Kontrahentin Pascale Bruderer von der SP vorbildlich. Sie teilt ihren Freunden Interessantes aus ihrer Arbeit mit und verrät, wie das unter echten Freunden üblich ist, auch mal ein paar private Sachen. Pascale Bruderer hat aber ein grosses Problem: Sie leidet unter zu grosser Fan-Attacke. Bruderer, die sich in ihrem Jahr als höchste Schweizerin mit Bravour zum Schätzchen der Nation emporgearbeitet hat, wird durch Facebook gnadenlos geblockt. Ab 5000 Freunden geht nichts mehr. Wer mit Pascale Bruderer zurzeit befreundet sein möchte, wird von den Facebook-Administratoren mit der Meldung «Leider hat dieser Nutzer bereits zu viele Freundschaftsanfragen» abgekanzelt. Allerdings hat Pascale Bruderer noch eine sogenannte Facebook-Seite. Und diese gefällt bereits über 1000 Leuten. Doch haben solche Seiten nicht die gleiche Intimität wie «Freundschaftsseiten». Der Informationsaustausch ist einseitig.

Twitter: Markige Aussagen auf 140 Zeichen

Sehr viel gnadenloser ist der virtuelle Wahlkampf auf Twitter. Dort nützt es im Vergleich zu Facebook noch weniger, sich einfach mal anzumelden. Präsenz alleine bringt einem noch nicht den erwünschten Wählerboom. Wer bei Twitter um Anhänger buhlt, muss hart arbeiten: Er sollte tagtäglich gescheite, interessante und humorvolle Mitteilungen, sogenannte Tweets, ins weltweite Gezwitscher mischen. Denn die Freunde – bei Twitter sind dies Followers – bekommt man eigentlich nur, wenn man regelmässig auf maximal 140 Zeichen etwas mitteilt. Kurze, prägnante Aussagen zu machen, wie von den Politikern bei Radio und Fernsehen gefordert, wäre eigentlich ein ideales Training für die Polit-Karriere.

Kampf um Follower – und um Wähler

Doch hier herrscht unter den sonst so mitteilungsfrohen Politikern Stille: Selbst Pascale Bruderer hat bisher nur 23 Mal getwittert, bringt es aber immerhin auf 430 Follower. Ihr SP-Parteichef Christian Levrat ist ein bisschen fleissiger: 59 Tweets. Er kommt aber immerhin auf 1008 Anhänger. Bei der FDP twittert vor allem die Parteizentrale, hackte schon 331 Tweets ins Netz, konnte aber nur 847 Fans für das «follow me» gewinnen. Ein sehr aktiver FDP-Parteivertreter ist Christian Wasserfallen. Er brachte es bisher auf 109 Tweets und 359 Verfolger. Damit liegt er weit vor seinem Mitbewerber für einen Berner Ständeratssitz, dem SVP-Mann Adrian Amstutz. Dieser lächelt zwar auch auf Twitter, ist aber stumm wie ein Fisch: 0 Tweets. Die CVP dagegen gibt sich alle Mühe – ihr Präsident Christophe Darbellay ist sogar zweimal zu finden –, möglicherweise einmal echt und einmal gefälscht, das ist manchmal nicht hundertprozentig ersichtlich. Die BDP taucht in der Schnellsuche nirgends auf, die Grünliberalen sind dafür fleissig, haben sogar schon doppelt so viele Followers wie die Grünen, nämlich über 900, und liegen damit mit der SVP auf Augenhöhe.

Twitter bietet sich als neuer Stammtisch an

Diese Zahlen vom Sonntag, 17. Juli 2011 sagen jedoch nicht das Geringste über eine Wahltendenz aus. Denn Twitter funktioniert nach dem Chaos-Prinzip, alles ist irgendwie möglich, vieles bleibt aber unklar. Dafür erstrahlt die Kreativität der Nutzer: Wer twittert, er sei XY und wolle in den Nationalrat, findet kaum Beachtung. Wer dagegen seine Phantasie auslebt, kommt schnell mit anderen ebenso sprachgewandten Twitterern in Kontakt. Zudem ist Twitter die schnellste Dialog-Plattform: Wer eine Frage loszwitschert, bekommt ratz-fatz eine Antwort. Auch Diskussionen können in Echtzeit geführt werden, so, als würde man mit seinen Wählern am Stammtisch sitzen. Doch dies wird praktisch von keinem Politiker genutzt. Ebenso haben die wenigsten von ihnen Twitter als Recherche-Instrument entdeckt.

Google plus ist noch politisches Niemandsland

Ganz finster sieht es in der neusten und buntesten Social-Media-Plattform Google+ mit den Auftritten der Schweizer Politiker aus. Da muss der interessierte Wähler seine Suche sehr akribisch führen, um überhaupt einen Vertreter zu finden. Allerdings ist Google+ noch ein sehr junges Medium und wird für den diesjährigen Wahlkampf kaum von Bedeutung sein, dürfte aber – so die Prognosen – in Zukunft neben Facebook und Twitter zur dritten Macht im Internet werden.
Überhaupt gehen viele Experten davon aus, dass die Auftritte bei Social-Media-Plattformen nicht nur für Politiker, sondern auch für Firmen immer wichtiger werden. Bedeutender sogar als die Betreuung der eigenen Website. Deshalb engagieren viele Unternehmen bereits Leute, die explizit den Informationsfluss auf den Social-Media-Seiten in Gang halten.
Für Politiker bedeutet dies möglicherweise, dass sie auf mühsame Standaktionen in den Städten und Dörfern ihres Wahlkreises verzichten können. Doch der Aufwand im World Wide Web ist keinesfalls kleiner. Eher sogar grösser. Und anspruchsvoller. Und kreativer.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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