Damit Banken die Regierungen weniger manipulieren
Philipponnat war in London bei der UBS für Options- und Derivatsgeschäfte zuständig. Er arbeitete auch bei der französischen Bank Paribas und an der Börse Euronex: Ein intimer Kenner der Branche.
Vor fünf Jahren wechselte er die Fronten und engagierte sich bei Amnesty International. Dort habe er das Management einer Non-Profit-Organisation (NGO)kennen gelernt. Dann machte er sich daran, eine Art Greenpeace für den Finanzsektor auf die Beine zu stellen. Am 1. Juli wurde «Finance Watch» formell gegründet und der Ex-UBS-Banker Philipponnat für fünf Jahre zum ersten Generalsekretär dieser neuen NGO gewählt. Über eine Webseite werden jetzt Finanz-, Verwaltungs- und Lobby-Spezialisten gesucht. «www.finance-watch.org» ruft auch zu Spenden auf.
Banken sollen der Gesellschaft dienen
«Making finance serve society» lautet das Motto von Finance Watch. Die Ziele sind hoch gesteckt. Es gehe nicht darum, die Finanzbrache zu verteufeln, erklärt Philipponnat. In den Statuten ist festgeschrieben, dass Kapital und Finanzdienstleistungen für die Gesellschaft äusserst wichtig seien. Nur müssten Banken und Finanzdienstleister so organisiert werden, dass sie der Gesellschaft dienen und nicht bloss Eigeninteresse verfolgten.
«Bankenprofis sollen Kritiker ernst nehmen müssen
«Zehn Jahre lang habe ich mir keine besonderen Gedanken über meine Arbeit gemacht», räumt Phlipponnat in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau ein. Mit der Zeit habe er jedoch begriffen, dass Banken- und Börsengeschäfte «starke Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft haben – manchmal durchaus negative».
Er habe viele kritische Texte über den Banken- und Finanzsektor gelesen und die Kritik oft für berechtigt gehalten. «So wie sie formuliert war und vermittelt wurde, hatte sie jedoch keine Chance, sich in der Branche Gehör zu verschaffen», realisierte der ehemalige Banker.
Die Kritiker würden die technischen Vorgänge meistens nicht durchschauen, weshalb sie von Bank-Profis nicht ernst genommen würden. Deshalb brauche es unter den Bankenkritikern ebenfalls Profis. Sein Vorbild ist Greenpeace: «Die haben Experten der Nuklearwirtschaft und -technologie, die mit den Vertretern der Industrie auf Augenhöhe sprechen können.»
David gegen Goliath
Allein in Brüssel beschäftigt die europäische Finanzbranche rund 700 Lobbyisten. Philipponnat schätzt deren Budget auf über 350 Millionen Euro pro Jahr. Dagegen wird Finance Watch vorerst bescheidene zwölf Leute beschäftigen und über ein Budget von zwölf Millionen Euro verfügen. Den Vergleich von David mit Goliath nimmt Philipponnat mit Humor: «David hat Goliath ja besiegt».
Immerhin hat Finance Watch 57 Mitglieder, darunter grosse Organisationen wie verschiedene NGOs, Gewerkschaften, Konsumentenverbände, Forschungsinstitutionen und Vertreter von Kleinanlegern. Einige Mitglieder hätten intime Kenntnisse der Finanzbranche, sagt Philipponnat.
Endlich unabhängige Informationen über die Bankenbranche
Für den Gründer der Finanz-Greenpeace ist es entscheidend, Regierungsmitgliedern und Parlamentariern mit Analysen und Expertisen zu versorgen, die unabhängig von der Finanzbranche erstellt sind: «Da setzt unsere Lobby-Arbeit ein. Wir wollen, dass Gesetzgeber und Experten bei jedem Gesetz das öffentliche Interesse im Auge behalten». Erfolg verspricht sich Philipponnat wenigstens bei jenen Politikern, die sich weder von Banken noch von Versicherungen finanzieren lassen. Weil die Bankenlobby häufig sehr technisch argumentiert, hätten Politiker häufig weder die Zeit noch die Vorkenntnisse, um die Argumente der Finanzbranche zu durchschauen.
Sämtliche Analysen und Informationen will Finance Watch auf ihrer Webseite auch der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen.
«Privates Interesse als öffentliches Interesse getarnt»
Eine erstes Positionspapier ist bereits online, nämlich das über ungedeckte Credit Default Swaps oder CDS. Wer staatliche Obligationen, zum Beispiel von Griechenland, gekauft hat, konnte sich mit solchen Papieren gegen eine Zahlungsunfähigkeit des griechischen Staates absichern. Das Problem: Auch Investoren, die gar keine Staatsobligationen besitzen, können solche CDS kaufen und damit gegen Griechenland spekulieren.
Gegen ein Verbot solcher ungedeckter CDS wehrte sich die Finanzbranche mit einer Reihe technischer Argumente und Behauptungen im Sinne, dass ein Verbot Griechenland (und andern überschuldeten Ländern) schade.
Für Philipponnat ein klassischer Fall: «Firmen, die vom Verkauf von CDS profitieren, haben ihr privates Interesse als öffentliches getarnt.»
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PS. In der Schweiz haben bisher erst der Walliser «Le Nouvelliste» und die Freiburger «La Liberté» über den Start von Finance Watch informiert. In der deutschen Presse berichteten mehrere grosse Zeitungen darüber.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine