125mal die Schweiz: Landwirtschaft und Spekulation
Der Planet Erde steht zum Verkauf. Jedenfalls die fruchtbaren Flächen. Gesucht ist Boden von guter Qualität, der Export muss einfach und Wasser muss vorhanden sein. Dann wird Land zur Ware wie jede andere. Investiert wird in Lateinamerika, Ozeanien, in Asien, auf den Philippinen und in Pakistan und vor allem in Afrika. Europa und Zentralasien sind ebenfalls im Visier.
Eine neue Weltordnung
Es entsteht eine neue landwirtschaftliche Weltordnung. «In nur zwei Jahren haben bereits fünfzig Millionen Hektar Land den Besitzer gewechselt. Und mehrere Dutzend Millionen werden gerade auf den internationalen Märkten gehandelt.» Das schreibt Arte zu der Dokumentation: «Dritte Welt im Ausverkauf». – 50 Millionen Hektar: das ist die Fläche von Deutschland, Frankreich, Grossbritannien und Italien zusammen genommen, oder 125mal die Schweiz.
Es sind keine Bauern, die diese Ländereien kaufen. Es sind Investoren aus dem Agro-Business, vor allem aber Finanzkapitalisten aus Amerika und Europa, aus den reichen Golfstaaten, Unternehmen aus Japan oder aus Schwellenländern wie Südkorea, China, Indien. Gesucht und in hohem Mass schon aufgekauft ist Land in Lateinamerika, Asien und zunehmend Afrika.
Finanzkapital als Kolonialmacht
Die Investoren sind mit Billionen Dollars unterwegs. Sie holen sich das Land nicht nur in den Schwellenländern wie Brasilien, Uruguay, Argentinien oder Indien und Pakistan, sie suchen auch die besten Nutzungsflächen in den ärmsten Ländern der Welt. Madagaskar zum Beispiel, wo die Regierung heimlich die Hälfte des Bodens an ausländische Investoren vergab – und damit einen Volksaufstand und ihren eigenen Abgang provozierte. Oder in mehreren Ländern Ostafrikas, wo die Saudis und andere Golfstaaten die Ernährung ihrer eigenen Bevölkerung sichern und zugleich das grosse Geschäft mit der Lebensmittelproduktion anpacken.
Es ist eine neue Kolonisierung. Die alten Kolonialmächte sind weg, die neuen Herren der Welt übernehmen die Herrschaft. Ihr Herrschaftsmittel ist das Finanzkapital. Bei den Saudis stammt es aus den anderen Rohstoffen: Öl und Gas. Bei europäischen und amerikanischen Investoren stammt es häufig aus früheren Aktienanlagen. Bei dem indischen Agro- und Florikulturunternehmen «Karuturi Global Limited» wächst es aus Rosenplantagen: am Anfang war die Rosenproduktion (Ziel: 1.5 Millionen Stück/Tag), jetzt folgt die weltweite Reis- und Mais- und Lebensmittelproduktion, mit einer wichtigen Basis in Äthiopien. Karuturi hat dort 311’000 ha Land für zweimal vierzig Jahre gepachtet – zu 10 Dollar pro Hektar und Jahr, die ersten vier Jahre frei. Keine weiteren Verpflichtungen. Schulen und Unterkünfte baut der Hindu Karuturi freiwillig, «weil es unsere Philosophie ist».
Enteignung der Einheimischen
Aber die einheimischen Viehhirten verlieren den Zugang zum Land, auf dem ihre Kühe weiden konnten, und den Zugang zum Wasser des Flusses, der jetzt auch Karuturi gehört. Sie dürfen zwar bei den Behörden Klagen einreichen, aber sie laufen Gefahr, im Gefängnis zu verschwinden, wenn sie es wirklich tun.
Karuturi produziert für den Export und verkauft auch an internationale Hilfsorganisationen. Das ist auch dringend notwendig. Die äthiopische Regierung folgt einer total-liberalen Wirtschaftsideologie – eine Art liberaler Einparteiendiktatur -, die alles tut, um Investoren anzuziehen. Als Eigentümer aller Böden – Erbe der sozialistischen Diktatur – wird der äthiopische Staat bald 3 Millionen ha für ausländische Investoren ausweisen (zurzeit: 1.6 Mio ha). Gleichzeitig verlangt die Regierung internationale Nahrungsmittelhilfe für die eigene hungernde Bevölkerung.
Vom Bauernbetrieb zur Hochleistungslandwirtschaft
Es ist ein wirklich globales Geschäft. Sai Ramakrishna Karuturi, der Gründer und Managing Director der Firma, beschreibt es so: »Wir haben Bagger aus Korea, Gewächshäuser aus Ecuador, Bewässerungsanlagen aus Israel, Motoren aus Deutschland, Pflanzen aus Indien, Plastik aus China und Kapital aus Indien. Und die Blumen gehen nach Europa. Ich glaube, noch globaler kann es gar nicht werden.»
Rosen waren nur der Anfang. Die Zukunft liegt in der Produktion von Reis, Mais, Palmöl, Soja und anderen landwirtschaftlichen Massenprodukten. Auch in Lateinamerika. Dort haben europäische und amerikanische Investoren die Umwandlung von Bauernfarmen in Hochleistungslandwirtschaft längst an die Hand genommen. Argentinien, Uruguay, Brasilien sind die Investitionsfelder. Der Agrar-Konzern Monsanto erprobt seine Samensorten. Gentechnologisch modifizierte Produkte sind in Lateinamerika Standard.
«Raus aus den Aktien – rein in die Landwirtschaft»
Die Gründe für diese Entwicklung liegen auf der Hand. Bis 2050 erwartet die UNO eine Zunahme der Weltbevölkerung auf 9.2 Milliarden (heute: 6.9 Milliarden). Und die Menschen in den Schwellenländern verlangen heute schon mehr und qualitativ gesicherte Nahrung. So werden für dieses Geschäft der Gegenwart und Zukunft laufend neue Finanzierungsfonds gegründet. Sie verfügen über mehrere Billionen Dollars. Denn nach der Finanzkrise gilt auch das Motto: »Raus aus den Aktien – rein in die Landwirtschaft.»
Für die einheimischen Bauern heisst das: das Land wird teurer, die Pachtzinsen und die Produktionskosten steigen, die Farmer werden zu kleinen Subunternehmern für das Agro-Business, und so tragen sie das Risiko (Wetter usf.). Den Investoren bleibt der Gewinn. Bis sie bei bester Gelegenheit wieder verkaufen.
Folgenlose Prinzipien-Debatte
Der Senegalese Jacques Diouf, Generaldirektor der UNO-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft FAO, hält bei all dem fest, dass nicht die Grosskonzerne sondern die kleinen und mittleren Bauern die Versorgung mit Lebensmitteln sicherstellen – wenn man ihnen die nötigen Bedingungen schafft.
Und NGOs wie GRAIN bekämpfen den modernen Landraub, das «land grabbing», nach dem Motto: Landraub muss verboten, nicht «verantwortungsvoll» gemacht werden. Sie richten sich damit an die jährliche «Conference on Land and Poverty» der Weltbank, die zurzeit (vom 18. – 20. April) in Washington DC stattfindet und Prinzipien für verantwortungsvolle landwirtschaftliche Investitionen diskutiert (Principles for Responsible Agricultural Investment (RAI). Diese Diskussion hat vor drei Jahren begonnen. Seither sind mehrere Millionen Hektar an die neuen Herren der globalen Landwirtschaft übertragen worden. Weitgehend steuerfrei und ohne Verpflichtung zu Gegenleistungen für Staat, Gesellschaft und Bevölkerung.
Hinweis: Die neue Kolonisierung der Welt durch das Kapital war auch Thema auf dem Weltsozialforum 2011 in Dakar, Senegal. «infosperber» hat darüber berichtet.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine