Mehr Strassen und Schienen führen in Sackgasse
Das Departement von Bundesrätin Doris Leuthard (Uvek) hat anfangs Jahr eine Initiative lanciert, die zu reden gibt. Die Mobilität im Lande soll schrittweise verteuert werden. Das hat ganz zentral mit Ökonomie zu tun.
Bisheriges Rezept stösst an Grenzen
Die Mobilität der Schweizer ist hoch und steigend. Wohnen, Arbeit und Freizeit finden an unterschiedlichen Orten statt. Im Fachjargon wird von einer «räumlichen Entmischung» der Lebensbereiche gesprochen, die einerseits durch verbesserte Transportmöglichkeiten genährt wird, zugleich aber auch zu steigenden Mobilitätsansprüchen führt. Bislang wurden diese durch einen Ausbau der Infrastruktur zu bewältigen versucht. Mehr und schnellere Bahnverbindungen, mehr Tunnels und breitere Autobahnen lautete das zentrale Rezept.
Dass dieses an seine Grenzen stösst, wird allmählich klar. Denn die Infrastrukturkosten führen zu Defiziten (vor allem im öffentlichen Verkehr) und aufgrund der Platzverhältnisse sind die Ausbaumöglichkeiten vor allem in den verkehrsmässig ohnehin belasteten Agglomerationen begrenzt.
Mehr Bahnen und Strassen liefern also weder finanziell, noch technisch eine nachhaltige Lösung. Das hätte man schon längst erkennen können, denn es gelten zwei Gesetzmässigkeiten des Verkehrswesens:
1. Engpässe in Verkehrswegen lassen sich nie beheben, sondern immer nur verlagern.
2. Die Wegzeiten und Distanzen der Tagesmobilität nehmen zu.
Das erste Phänomen kennen viele Pendler aus eigener Anschauung. Sobald ein Flaschenhals – wie der Baregg- oder der Gubristtunnel – beseitigt wird, kommt es an einem anderen Ort zu Staus. Mittelfristig ändern die Autofahrer zudem ihr Verhalten (wozu auch die Wahl von Arbeits- und Wohnort zählen), sodass der Stau oft früher oder später wieder zurück kommt. – Freie Fahrt lockt stets neuen Verkehr an.
Distanzen und Wegzeiten nahmen zu
Gemäss Statistik haben von 1984 bis 2005 sowohl die mittlere Tagesdistanz (von 30 km auf 40 km) als auch die Wegzeit (inkl. Wartezeit, von 70 auf 100 Minuten) zugenommen. Betrachtet man den Verkehrszweck, fällt auf, dass vor allem die tägliche Freizeitmobilität der Gesamtbevölkerung stark gestiegen ist. Bei den Erwerbstätigen nahmen Zeitbedarf und Distanzen der Arbeitswege zu.
Erwerbstätige scheinen bereit zu sein, bis zu etwa einer guten Stunde für das Pendeln je Weg und Tag in Kauf zu nehmen. Dies gilt fast unabhängig von der Verkehrsanbindung und hat zur Folge, dass sich die Reisedistanzen ausdehnen, wenn die Reisegeschwindigkeit bzw. Erreichbarkeit verbessert wird. Schnellere Züge und breitere Strassen beseitigen Engpässe auch deshalb oft nur vorübergehend.
Statt von Zürich von Chur nach Bern pendeln
Würde beispielsweise die Reisezeit zwischen Zürich und Bern auf 30 Minuten gesenkt, könnte dies die «Zupendler-Reichweite» von Bern bis nach Winterthur oder gar bis nach Chur erweitern (sofern Chur – Zürich in 30 Minuten machbar wäre). Berner Beamte, die heute als Wochenaufenthalter in der Hauptstadt tätig sind und die Züge am Montag Morgen und Freitag Nachmittag scharenweise beleben, würden den Weg aus dem schönen Bündnerland oder anderen Ecken der Schweiz dann täglich unter die Räder nehmen können.
Der Ausbau der Zürcher S-Bahn hat es möglich gemacht, täglich bequem von Uster ins Zentrum von Zürich zu pendeln. Dies hat auch Folgen für die Siedlungsmuster, vor allem in den Agglomerationen.
Aus obigen Aspekten ergibt sich, dass eine Erhöhung der Verkehrskapazitäten die Mobilität steigert, aber generell nicht zu einem Verschwinden der Verkehrsprobleme führt. Kapazitäten, Mobilität und Kosten steigen im Gleichschritt. Allerdings muss ein weiterer Aspekt berücksichtigt werden, nämlich der Preis der Mobilität. Obwohl manchen Reisenden die Preise für Benzin und Billette heute schon hoch erscheinen mögen, ist sich die Fachwelt darin einig, dass weder Schiene noch Strasse all ihre Kosten decken. So wird der öffentliche Verkehr von Bund, Kantonen und Gemeinden jährlich mit etwa 6 Milliarden Franken aus Steuergeldern subventioniert. Gemäss einer Studie der SBB müsste zum Beispiel ein Erstklass-Generalabonnement gegen 10‘000 Franken kosten, um kostendeckend zu sein. Die zu tiefen Fahrpreise erhöhen die Nachfrage nach Mobilität massiv, was wiederum erhöhte Infrastruktur- und Betriebskosten nach sich zieht.
Beim Strassenverkehr ist die Lage in sofern etwas anders, als dieser seine internen Kosten durch Mineralölsteuern, Motorfahrzeugsteuern, Autobahnvignette und Schwerverkehrsabgaben (LSVA) weitgehend deckt. Nicht gedeckt sind hingegen die externen Kosten des Strassenverkehrs, welche von der Allgemeinheit getragen werden und auf etwa 5 Milliarden Franken pro Jahr geschätzt werden.
Steuerzahler subventionieren Penlder und Vielfahrer
Sowohl der Schienenverkehr als auch der Strassenverkehr tragen die entstehenden Kosten nur unvollständig, sodass vom Missstand der subventionierten Mobilität gesprochen werden kann. Schon früher hatte ich die Forderung der Verkehrsökonomen nach «Kostenwahrheit im Verkehr» aufgegriffen und eine Stärkung der Nutzungsgebühren gefordert: Im Hinblick auf die Engpässe im Agglomerationsverkehr bedeutet dies, dass nur solche Systeme eine ökonomisch und ökologisch nachhaltige Entwicklung erlauben, die durch eine Erhebung von Gebühren direkt bei den Nutzern und zu Preisen, die auch die negativen externen Wirkungen berücksichtigen, finanziert werden. Wer aufgrund seiner Wahl von Arbeits- und Wohnort eine bestimmte Strasse oder Bahn zur Stosszeit benutzen will, verursacht Stau- und Infrastrukturkosten, die massgeblich durch andere getragen werden. Würden diese Kosten auf die Preise überwälzt, indem die Verursacher der temporären Spitzenlast zur Kasse gebeten werden («peak-load pricing»), käme es zu einer zeitlichen Glättung der Nachfrage nach Verkehrsleistungen und zugleich zu höheren Einnahmen.
Von «Abzocker-Staat» keine Rede
Dieser für Ökonomen alte Hut hat das Verkehrsdepartement Uvek teilweise aufgenommen. Die drohende Finanzierungslücke bei den Strassen soll durch Einnahmenerhöhungen bei den Mineralölsteuern und der Vignette geschlossen werden und auch bei den Billetten soll es weitere Erhöhungen geben . Auch sollen zusätzliche Beiträge an Eisenbahngrossprojekte geleistet werden. Vom «peak-load pricing» war allerdings nichts zu hören.
Erwartungsgemäss fiel die Reaktion eher negativ aus. Im Blick war vom «Abzocker-Staat» die Rede und die Leserbeiträge in der Printausgabe lassen auf grosses Unverständnis in der Bevölkerung schliessen.
Pendler, die auf dem Land wohnen, sind schliesslich auf günstige Mobilität angewiesen und können sich weder teures Benzin, noch eine Wohnung in der Stadt leisten. Uneingeschränkte und kostengünstige Mobilität wird zu einer Art Menschenrecht erhoben.
Zwar ist diese Haltung in der gegebenen Situation verständlich, doch wird dabei verkannt, dass die heutige Situation – d.h. insbesondere der «Zwang zur Mobilität» aufgrund der Entmischung der Lebensbereiche – erst durch eine an ihren Kosten gemessen zu günstige Mobilität herbeigeführt wurde. Wie so oft werden Ursache und Wirkung verwechselt und die Entwicklung, welche zum heutigen Zustand geführt hat, wird verkannt. Es wird eine schwierige und langfristige Aufgabe der Politik sein, die Zusammenhänge sachgerecht zu vermitteln und das richtige Rezept umzusetzen. Dieses lautet: Mehr Ökonomie statt einfach nur mehr Strassen und Schienen!
Ökonomisch gesehen scheint klar: die Preise für Mobilität wie für Boden sind heute zu tief und müssen steigen, um die effektiven Knappheitsverhältnisse zu reflektieren. Tun sie dies, lenken sie unser Verhalten (fast) automatisch in die gesellschaftlich optimale Richtung.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine. Professor für Volkswirtschaftslehre in St. Gallen und Winterthur
So lange die ALV die Arbeitslosen zu Arbeitswege von 2 Stunden zwingen kann, muss man keine Verkürzung der Arbeitswege ewarten. Wann wird endlich gehandelt?