Gegen wachsenden Stromkonsum wächst kein Kraftwerk

Hanspeter Guggenbühl /  AKWs oder erneuerbare Energie? Diese Produktions-Frage dominiert die Energie-Debatte. Entscheidend aber ist das Konsumwachstum.

Der Stromproduzent BKW korrigierte am Montag sein Ziel zum Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung nach unten: Im Jahr 2030 werde die BKW 0,4 Milliarden Kilowattstunden (kWh) weniger Strom als geplant aus den sogenannt «neuen erneuerbaren Energien» (Solar-, Wind- Biomasse- und kleinen Wasserkraftwerken) produzieren. Diese Ankündigung mit einem Zeithorizont von 20 Jahren machte Schlagzeilen in Berner und Zürcher Medien.

Produktion contra Konsum

Die 0,4 Milliarden kWh Minderproduktion für 2030 entsprechen einem Anteil von 0,6 Prozent am heutigen Schweizer Stromverbrauch. Zum Vergleich: Der Stromkonsum in der Schweiz stieg allein in den ersten neun Monaten des Jahres 2010 um 1,6 Milliarden kWh. Das zeigen die neusten Daten des Bundesamtes für Energie, die weit weniger Schlagzeilen machten. Im ganzen Kalenderjahr 2010 wird die Schweiz schätzungsweise 64 Milliarden kWh Strom verbrauchen; das sind rund drei Prozent mehr als im Vorjahr und sogar 14 Prozent mehr als vor zehn Jahren.

Noch stärker als der Konsum wuchs der Aussenhandel mit Strom. So hat die Schweiz 2010 rund 60 Milliarden kWh Strom importiert und exportiert (bei einem kleinen Importüberschuss). Das ist ein Drittel mehr als vor zehn Jahren. Damit sind Import und Export heute nahezu gleich gross wie der Stromverbrauch im Inland.

Die Vergleiche zeigen: Das Wachstum von Konsum und Aussenhandel ist für die Schweizer Stromversorgung viel bedeutender als die Produktion von Strom aus neuen erneuerbaren Energien. Das gilt auch dann, wenn man den Blick über die Berner BKW hinaus auf die nationale Ebene erweitert: Die Schweiz setzt sich im Energiegesetz das Ziel, die Produktion von Strom aus Wasser-, Wind- und Solarkraft sowie Biomasse bis zum Jahr 2030 um 5,4 Milliarden kWh oder um rund acht Prozent des heutigen Verbrauchs zu erhöhen.

Erneuerbarer Strom begrenzt

Falls der Stromkonsum bis 2030 weiter wächst wie in den letzten zehn Jahren, bleibt der zusätzliche Beitrag der erneuerbaren Energie ein Klacks. Zudem ist ungewiss, ob das «ambitiöse Ziel» (BKW-Chef Kurt Rohrbach), zusätzlich 5,4 Milliarden kWh Strom im Inland erneuerbar zu produzieren, sich überhaupt erreichen lässt. Denn nicht nur die BKW krebst zurück. Die Verstromung von erneuerbaren Energieträgern stösst auch an ökologische Grenzen. Selbst bei Umweltorganisationen, die sich im allgemeinen für die Förderung von erneuerbarer Energie einsetzen, regt sich in konkreten Fällen Widerstand. Beispiele:

o Die Stiftung für Landschaftsschutz stellt Anforderungen an den Bau von Windkraftwerken, die viele der projektierten Anlagen im Jura und in den Alpen verunmöglichen.

o Pro Natura und WWF bekämpfen Kleinwasserkraftwerke, die Bächen und kleinen Flüssen zuviel Wasser abgraben oder Schutzgebiete beinträchtigen. Damit wird auch hier ein Teil der Projekte in Frage gestellt.

o Biogas- und Biomasse-Kraftwerke stossen bei Anwohnern auf Widerstand, wenn sie Gestank erzeugen.

Weitgehend unbestritten ist einzig die Förderung von Solarkraft auf Hausdächern. Doch Strom aus Photovoltaik ist teuer und die Einspeisevergütung für Solarstrom ist begrenzt. Darum beträgt der Anteil von Solarstrom heute erst 0,1 Prozent an der Schweizer Stromproduktion.

Neue Atomkraftwerke ungewiss

Die Widerstände gegen Naturstrom könnten den Druck zum Bau von neuen Atomkraftwerken erhöhen. Doch selbst wenn das Volk den aktuellen Plänen zustimmen sollte, liesse sich in der Schweiz bis 2030 maximal ein neues grosses AKW realisieren. Zieht man die Produktion in den kleineren Altreaktoren in Mühleberg und Beznau ab, die ums Jahr 2020 stillgelegt werden, bliebe eine zusätzliche Produktion von 4,5 Milliarden kWh Atomstrom. Wächst der Stromkonsum weiter wie bisher – etwa durch die Förderung von Wärmepumpen, Elektromobilen und andern Geräten – reicht auch die zusätzliche Atomenergie nicht aus, um den Schweizer Stromverbrauch im Inland zu decken.

Damit bleiben zwei Möglichkeiten: Entweder begrenzt die Schweiz das Wachstum ihres Stromverbrauchs. Oder sie wird – wie schon bei der Versorgung von Nahrung, Erdöl und Erdgas – zunehmend von Importen abhängig.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

SolaranlageBauernhof-1

Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke

Erstes, zweites und drittes Gebot: Der Stromverbrauch darf nicht weiter zunehmen.

Bildschirmfoto20111221um18_39_50

Führt Wachstum zu Glück oder Crash?

Geht uns die Arbeit aus, wenn wir nicht ständig mehr konsumieren? Oder sind die Renten in Gefahr?

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.